„Nachhaltig allein reicht nicht.“

Beitrag Interviews

Der Geograf  Stefan Schwarzer will mit Hilfe der regenerativen Landwirtschaft das Klima retten. Im Ökodorf Schloss Tempelhof  zeigt er, wie die Landwirtschaft der Zukunft aussehen kann.

 

Stefan Schwarzer - Werde Magazin

Der Boden in Schloss Tempelhof gilt als schwierig zu beackern – wie fördert ihr das Bodenleben?
Stefan Schwarzer Indem wir die symbiotische Beziehung zwischen Pflanzen und Bodenleben fördern. Der Botaniker Raoul Francé postulierte das zwar schon vor hundert Jahren in seinem Buch „Das Edaphon“, aber dieses Wissen wurde vergessen, weil Maschinen, Chemiedünger und Pestizide die Landwirtschaft dominierten. Nun zeigen Untersuchungen, dass die Pflanzen bis zu 70 Prozent ihrer Fotosynthese- Produkte, vor allem Zucker, über die Wurzeln an das Bodenleben abgeben, insbesondere an Bakterien und Pilze, sie dieses also füttern. Dieses Bodenleben wiederum fungiert als der lebende Nährstoffpool der Pflanze – wenn sie Mineralien braucht, stehen diese immer zur Verfügung. Und dies wiederum führt zu einer gesunden Pflanze mit einer hohen Nährstoffdichte.

Diese jahrmillionenalte Symbiose versuchen wir zu unterstützen, indem wir den Boden möglichst immer mit lebenden Pflanzen bedeckt halten, mit Gründüngung und Mischkultur, aber auch mit „Unkräutern“, die den gleichen Effekt erzielen, wenn sie nicht ausgerupft werden. Oder indem wir die Wurzeln im Boden lassen – wo sie von den Bodenlebewesen verdaut werden und damit zu einem wachsenden Humusgehalt führen. Natürlich arbeiten wir auch mit Zugaben von Kompost und effektiven Mikroorganismen. Wenig Neues für Kleingärtner, aber diese Herangehensweise für einen Gemüsebetrieb mit mehreren Tausend Quadratmetern ist dann doch fast revolutionär neu.

Was ist „aufbauend“ in dieser Methode?
Stefan Schwarzer Mich stört der Begriff der „nachhaltigen“ Landwirtschaft, weil er zu unscharf ist. Im Englischen heißt es sustainable – bewahrend. Heutzutage sind viele natürliche Ressourcen wie Boden, Artenvielfalt oder Grundwasser gestört und stark übernutzt. Um zukünftigen Generationen eine gesunde Erde – im doppelten Sinne – zu hinterlassen, müssen wir Ressourcen wieder aufbauen: Bäume pflanzen, Insekten und Vögel Nahrung und Lebensraum anbieten, den Boden aufbauen, die Wasserinfiltration in den Boden erhöhen und damit auch Überschwemmungen entgegenwirken, Grundwasservorräte wieder auffüllen. Eben eine „Ressourcen aufbauende Landwirtschaft“ betreiben.

Wieso kann man Kohlendioxid über Humusaufbau im Boden speichern?Stefan Schwarzer Pflanzen nehmen CO2 aus der Luft auf und verwandeln es in Kohlenstoff. Sie pumpen einen Großteil davon in den Boden, um das Bodenleben zu nähren. Dieses wiederum setzt sich ja auch aus Kohlenstoff und zusätzlichen Mineralien zusammen. Bakterien können sich rasch vermehren – wenn sie sterben, bildet sich organische Substanz im Boden: Humus. Belässt man die Wurzeln geernteter Pflanzen im Erdreich, bleibt es als gespeicherte Biomasse zurück. Bodenorganismen verkompostieren sie und arbeiten sie weiter in den Boden ein. Man kann organische Masse auch von oben zuführen: Mulchmaterial wie Stroh, Heu, Blätter, Hackschnitzel, Bioabfälle oder Kompost.

Stefan Schwarzer - Werde Magazin

Kann man regenerative Agrikultur auch im heimischen Kleingarten anwenden?
Stefan Schwarzer Natürlich, etwa indem man den Boden mit Mulch bedeckt und ihm guten Kompost zufügt, der das Bodenleben füttert. Und indem man die Vielfalt der Pflanzen bewusst fördert. Vielfalt bedeutet Stabilität im System: Ein gefräßiges Insekt, welches Möhren liebt, wird sich nicht so weit verbreiten können, wenn seine natürlichen Feinde vor Ort sind. Nützlinge kann man durch Anlegen von Hecken, Sträuchern oder Insektenhotels unterstützen.

Was ist regenerativ beim Säen und Pflanzen?
Stefan Schwarzer Das Wichtigste ist, mechanische Eingriffe wie Umgraben, Pflügen, Hacken, Grubbern und Säen zu minimieren. Im Kleingarten kann man vieles schonend per Hand erledigen, etwa mit einem Grabstock oder mit einem Jab-Planter, der Pflanzlöcher macht und Samen dort einlegt. Auf großer Fläche ist das schwerer. Bei Direktpflanzung und -saat wird in eine Gründecke oder Heuschicht eingepflanzt oder gesät. Dafür bedarf es teurer Spezialmaschinen, die passionierte Tüftler entwickelt haben. In abgeerntete Felder kann man Unter- oder Zwischensaaten einbringen, um das Bodenleben zu fördern, bevor zum Beispiel Winterweizen gesät wird.

Wie wird es nach den Symposien weitergehen?
Stefan Schwarzer Zunächst: Die Resonanz darauf war super. Wir versuchen ja einen ganzheitlichen Ansatz zu Fragen der Landwirtschaft zu entwickeln. Dementsprechend bieten wir eine große Vielfalt an Themen an – vom pfluglosen Ackerbau über Agroforstwirtschaft und holistisches Weidemanagement, Kompostierung, Pilze im Boden, auch zu sozial-ökonomischen Themen.

Das Symposium ist auch ein Begegnungsraum: Mit Methoden der sozialen Permakultur versuchen wir, den Teilnehmenden einen gemeinsamen, kreativen Austausch zu ermöglichen. Auf gleicher Augenhöhe, über Altersgrenzen und Gräben zwischen konventionellen und Öko-Bauern hinweg, vom Klein-Berufsgärtner zum 300 Hektar großen Ackerbaubetrieb. Und das scheint den Nerv der Zeit zu treffen. Ende Januar 2019 wird das dritte Symposium stattfinden. Viele Redner haben wir schon gewinnen können. Da die Anfrage steigt, werden wir das Symposium live im Internet streamen. Und dass wir die Videos der Vorträge dann auch online später zur Verfügung stellen, ist ein zusätzlicher Bonus.


Zur Person

Stefan Schwarzer ist Physischer Geograf und Permakultur- Designer und lebt im Ökodorf Schloss Tempelhof. Er arbeitet seit 2000 für das Umweltprogramm der Vereinten Nationen in Genf, wo er sich mit globalen Umweltthemen beschäftigt. Sein Hauptanliegen ist die Verbindung globaler Ziele mit lokalen Handlungen, so wie es auch die Permakultur fordert.

Hier gibt es die ganze Geschichte