Wer sein Leben ändert, fühlt Wehmut, Zauber und Zuversicht. Die Pflanzenforscherin Kille Enna verlässt Küche und Garten für etwas Neues. Und verfolgt die Verbindung von Duft und Geschmack mit unbändiger Kraft.
Was Kille Enna, zu Hause in Schweden und geboren in Dänemark, seit ihrer Kindheit erlebt hat, klingt wie ein verführerischer Traum. Und zeigt gleichermaßen einen Menschen mit enormer Willenskraft und Zielstrebigkeit, getrieben von der Idee, alles, was sie anpackt, besser zu machen. Davon ist sie, im positiven Sinn, besessen.
Viele Jahre war das Kochen das Wichtigste in ihrem Leben. International unterwegs und bekannt für ihre außergewöhnliche Herangehensweise, den hohen Qualitätsanspruch und für ihre Jugend. Mit 21 war sie Küchenchefin in London, verfasste zehn Kochbücher, darunter das weltweit meistverkaufte. Bereiste die Welt, um besondere Gewürze an den Originalorten zu finden. Beriet Lebensmittelunternehmen, fotografierte und schrieb.
Und ließ sich vor 14 Jahren im südlichen Schweden nieder, um zurückgezogen zu arbeiten und zu forschen. Jetzt hat sie das Vorhaben, dieses Paradies, wie sie es nennt, zu verlassen, um einen neuen Plan zu verfolgen. Der sich zwar noch nicht in allen Details zeigt, aber aus ihrem Inneren heraus kompromisslos nach Verwirklichung ruft.
Ich bin sehr gut darin, Aromen in Pflanzen zu entdecken. Und freue mich dann unglaublich darüber
Ihr Paradies besteht aus einem sehr schönen Nutz wie Ziergarten, verbunden mit ihrem Studio-Atelier, einem Haus mit angeschlossenem Gewächshaus, das eigentliche Wohnhaus gerade noch in Sichtweite. Eingebettet in ein kaum bewohntes Naturschutzgebiet, eine ruhige Landschaft mit sanften, grasbewachsenen Hügeln, das Meer und der nächste Ort nur zehn Autominuten entfernt. Ein Idyll.
Überall summt es, und Killes Begeisterung für jegliche Pflanze wirkt ansteckend. Sie berührt sie sanft und entschlossen zugleich. „Hier das Balsamkraut – wie es duftet! Der Eibisch! Die Zistusrosen und die Tasmanische Myrte – so viel Schönheit!“ Nichts ist zufällig in Haus und Garten, jede Pflanze, jeder Gegenstand wurde bewusst ausgewählt. Kaum ein Gewächs, dessen Charakter sie nicht kennt wie den eines nahen Lebewesens. „Wenn ich mich mit Vetiver beschäftige, ist es, als besuche ich ein großartiges Theater!“ Wer will so etwas aufgeben?
Im schwedischen Hochsommer 2019 sitzt eine Frau, zierlich von Statur, zwischen Kräutern, Sträuchern und Bäumen und erzählt. Leichter Wind bewegt die Blätter, auf einem runden Tischchen steht ein Kuchen aus Schwarzen Johannisbeeren, Dinkel und Ingwer, dazu Kaffee und Tee.
Passion und Pläne
Wer Kille zuhört, ist fasziniert und muss sich konzentrieren. Sie lächelt, ist freundlich, sympathisch und spricht viel. Vom ersten Wort an vermittelt sie Inhalte, verschwendet keine Minute an Small Talk, und ihre Sätze sind wichtig, um alles zu verstehen: ihre Vergangenheit, ihre Leidenschaft und vor allem ihre Pläne.
Der Eindruck von Zierlichkeit tritt in den Hintergrund, und man erlebt einen selbstbewussten Menschen, getragen von hohen Werten und Überzeugungen. Von etwas, das mehr ist als eine Passion, sondern eher ein unerbittlicher Ruf. Eine Frau, die Tage später trotz intensiver Gespräche ein Gefühl von Rätselhaftigkeit, vielleicht Geheimnis, hinterlässt.
Duft, Geschmack, Aroma
Zu Beginn war es ein renovierungsbedürftiges Häuschen mit Grundstück. In das sie sich verliebte, wegen eines indischem Totems, das heute noch an einer Wand im Inneren hängt. In dem sie wohnten und arbeiteten. Heute gibt es, ein Stück entfernt, ein Wohnhaus und ein Areal, auf dem Kille Enna ein Laborgebäude und einen Garten für ihre Forschungsarbeit an Medizinpflanzen aufbauen will.
Denn Duft, Geschmack, Aroma sind ihre Leidenschaft, ihre Berufung geworden. Das Gefühl, der Wissensdurst und die Beschäftigung mit der Wirkung von Pflanzenextrakten auf unser Geruchs- und Geschmacksempfinden sind mindestens so stark, wie die Leidenschaft für das Kochen war. „Was wir zu uns nehmen, hat immer Wirkung“, erklärt sie, und dass sie damit der Natur einen neuen Klang geben möchte. Was war zuvor?
Kille Enna war schon als Kind ein entschlossenes Mädchen. Geboren im Süden Dänemarks, aufgewachsen in einer alternativen, naturnahen Atmosphäre. „Hätten wir mehr Geld gehabt, wäre ich bestimmt in einen Waldorfkindergarten und eine solche Schule gegangen“, lächelt sie.
„Meine heute 72-jährige Mutter, eine Malerin und Keramikerin, ist noch heute eine Quelle der Inspiration für mich, ein wunderbarer wichtiger Mensch, meine beste Freundin“. Sie waren in der Kindheit jeden Tag am Strand, nie im Urlaub, dafür viel mit den Rädern unterwegs, und zu essen gab es nur Hausgemachtes, vieles aus dem, was draußen wuchs.
Ihre Erziehung führte sie früh zu selbstständigem Handeln und stärkte ihre Persönlichkeit. „Ich wurde niemals für irgendetwas geschimpft, durfte alles ausprobieren, was ich für richtig hielt.“ So auch, nachdem sie mit 15 in einer großen Restaurantküche ein Schulpraktikum machte und schnell ganz genau wusste: Das will ich tun, das ist meine Welt.
Sie verließ mit Erlaubnis der Mutter die Schule und begann eine vierjährige Ausbildung zur Köchin, weit weg von zu Hause. „Es war der Auftakt zu etwas Großem“, beschreibt sie rückblickend, und ihr Gesichtsausdruck wird weich, „und ich liebte alles davon, die Geschwindigkeit, das Geschrei in der Küche, die Hitze, sogar die Erschöpfung – einfach alles“.
Ich durfte als Kind und Jugendliche alles ausprobieren, vieles entscheiden und wurde niemals für Misserfolge geschimpft. Meine heute 72-jährige Mutter, eine Malerin und Keramikerin, ist immer noch eine Quelle der Inspiration für mich. Ein wunderbarer, wichtiger Mensch, meine beste Freundin.
Es fühlte sich absolut stimmig an. Im Londoner Restaurant des bekannten BBC-Kochs Antony Worrall Thompson wurde sie zur Küchenchefin ausgebildet, mit 21 Jahren der jüngsten jemals. Er erkannte sofort ihre Ernsthaftigkeit, ihren Respekt vor dem Handwerk und ihr Talent. Auch wenn sie nie zufrieden mit einem bereits mehr als perfekten Ergebnis war.
Und schrieb Kochbücher, inzwischen sind es zehn, darunter das weltweit meistverkaufte, und ein ganz besonderes über Kartoffeln. „Meine Güte, Kartoffeln, gut, aber nichts Besonderes“, dachte Kille, bis ihr in La Paz, Bolivien, eine ungekannte Vielfalt an Erdäpfeln begegnete.
Es gibt mehr als 5000 Sorten. Sie fragte eine Genbank um Saatgut an, baute 32 Sorten im Garten an und entwickelte 80 Kartoffelrezepte. Wie immer, wenn sie etwas anpackt, widmete sie sich der Sache mit Leib und Seele. Auch beim Schreiben und Fotografieren für ihre Bücher.
Sie wollte keine Parfümeurin werden, ihre Themen sind Geschmack und Aroma. Dieselbe Leidenschaft, die sie immer für das Kochen empfunden hatte, spürt sie jetzt für die Forschung an Pflanzen. Kille, die Perfektionistin, kann virtuos und punktgenau mehrgängige, raffinierte Menüfolgen für sehr große Gesellschaften, erschaffen. „Ich glaube, meine Haltung der Pflanzenforschung gegenüber ist sogar noch künstlerischer und kreativer“, überlegt sie und strahlt Selbstsicherheit und Entschlossenheit aus.
Entstanden ist als letztes Werk in dieser Atelierküche das „Aroma Kochbuch“, für das sie 50 Aromamischungen für fast 300 Seiten voller Rezepte entwickelt hat. Etwa Lauch mit Zitrusnote, Kohlrabisalat mit Blutorange und Ingwer, in Apfelgelee eingelegtes Schweinefleisch, eisgekühlte Stachelbeerlimonade oder Lavendel-Kardamom-Joghurt.
Die Gerichte klingen einfach, haben wenige Zutaten, die jeder kennt. Die Aromamischungen, die das Menü verfeinern, kann jeder nach Killes Anleitungen selbst herstellen. Natürlich stammen die Fotos im Buch alle von ihr und auch das Wissen zu allen Lebensmitteln und Werkzeugen, die Interviews, die Erklärungen. Ein Küchenschatz für Menschen, die ihre Geschmacksnerven schulen und verwöhnen wollen.
Eine weitere Arbeit war die Entwicklung der Serie „The taste of a scent“, flüssige Pflanzenextrakte in Bioqualität, mit denen das Trinkwasser im Glas auf natürliche Weise unterschiedliche Aromen annimmt, etwa Damaszenerrose mit Heidekraut oder Usbekische Süßholzwurzel. Und einen, wie manchmal beim Riechen eines Duftes oder Wahrnehmen eines Geschmacks, an ein Erlebnis oder eine längst vergangene Zeit erinnert. Die Serie ist aktuell ausverkauft.
Kille Enna hat sich seit Jahren mehr und mehr zurückgezogen. Nur so konnte sie erkennen, wie es weitergehen soll, was jetzt für sie an der Reihe ist. Solch eine Art Einsamkeit ist manchmal nötig, um im Leben voranzukommen. „Ein soziales Wesen bleibe ich weiterhin. Aber ich will meine Zeit nicht bei Gesellschaften mit langen unterhaltsamen Gesprächen verbringen. Mir sind echte Inhalte wichtiger.“
Gleichzeitig versucht sie, nicht zu viel nachzudenken und sich lieber mehr auf ihre Arbeit einzulassen. Sich nicht mit den Ängsten anderer zu belasten. Ihre eigenen Probleme versucht sie kleinzuhalten, sich nicht damit zu beschäftigen. Und sie so hoffnungsvoll zum Verschwinden zu bringen. Einfach weiterzumachen.
Das ist nicht ihre erste große Veränderung, erzählt die schlanke Frau: „Bis 36 bin ich ein anderer Typ gewesen. Lange Zeit mit Haaren in drei Farben, Tattoos, Piercings, in riesigen Skatershirts und weiten Hosen. Meinen Körper wollte ich lieber verstecken.“ Kaum vorstellbar, wenn Kille Enna heute in einem Kleid in klarem skandinavischem Design vor einem steht.
Das Atelier-Studio ist schlicht und klar eingerichtet, mit Büchern, etwas Geschirr und Küchenutensilien in verschlossenen Glasschränken. Felle auf den Stühlen, ein Ledersofa, das sich in die Symmetrie des Raumes einfügt. Die wertvollen Keramiken auf den Tischen, die farbenfrohen Gemälde an der Wand stammen aus der Familie. Die Küche ist blitzblank, es gibt zwei Herde mit Backöfen, eine chromglänzende Espressomaschine mit passender Mühle, Edelstahlflächen und -regale.
Die Zeit des professionellen Kochens scheint jedoch vorüber. Kille bereitet jetzt oft auf einer transportablen Einzelherdplatte im Gewächshaus eine Mahlzeit zu, weil die Lebensmitteldüfte aus den Töpfen sie bei der Arbeit mit den Pflanzenauszügen, den Mazerationen, um die Aromen zu gewinnen, stören.
Bei der sensiblen Wahrnehmung der Eigenschaften von Kräutern, Blüten, Wurzeln. Ein großer Kühlschrank birgt unzählige Glasbehälter in allen Größen, gefüllt mit Extrakten. Von allem, was sie im Garten dafür anbaut, dazu gehören auch etliche seltene und exotische Gewächse. Ideal ist der Zugang vom Arbeitsraum direkt ins Gewächshaus, wo nicht nur Empfindliches wächst, wie etwa Aprikosen oder Nashi-Birnen, sondern auch ein großer Tisch dazu einlädt, sich niederzulassen. Wissenschaftliche Bücher aufzuschlagen. Oder doch etwas zu essen und zu trinken.
Ein Labor und ein größerer Garten
Was kommt? „Etwas Großes, das merke ich, und sehr viel Arbeit und Disziplin, aber darin bin ich ja gut“, schaut Kille in ihre Zukunft. Das Paradies, in dem sie viele Jahre geschrieben, fotografiert, angebaut und Geschmacksnoten entwickelt hat, ist inzwischen verkauft, denn die Zukunft kostet Geld. Über einen unterstützenden Mentor wäre Kille Enna froh.
In einem Gebäude nahe beim Wohnhaus soll bald ein professionelles Labor entstehen. Marmor, Glas, Edelstahl, ein Vakuum-Destillierapparat. Mit allem, was dafür nötig ist. Sie wird einen neuen, größeren Garten anlegen, ausschließlich mit Medizinpflanzen, und sie plant, Prototypen zu erarbeiten. Pflanzenextrakte, die die Natur abbilden, die Menschen erfreuen und ihnen helfen. Ein großes Vorhaben. Sie weiß, dass sie es schafft. Nur sprechen, das muss sie nicht so viel darüber.
Drei Fragen an Kille Enna
1
Warum machst du diese Arbeit?
Ich habe keine andere Wahl, ich muss das einfach tun.
2
Was ist deine Vision?
Ein Regentropfen auf einer Pflanze ist die natürlichste, einfachste und vollkommenste Form einer Verbindung. Sie besteht aus Pflanze, Geschmack, Duft und Gefühl. Ich möchte dieser Natürlichkeit eine neue
Bedeutung, einen neuen Klang geben.
3
Was willst du weitergeben?
Dass die Natur als Ganzes so schön ist, mit all ihren Eigenschaften. Sie ist manchmal auch brutal, naiv, intolerant und lebt so als freie Seele. Das alles zusammen ist das Gold, das Wertvolle, das Einzigartige.
Buchtipp
„Aroma Kochbuch“ von Kille Enna. Mit Anleitungen für 50 Aromamischungen zum Selbstherstellen. Und 300 Seiten dazu passende Rezepte. Erschienen im Verlag Prestel.
Dieser Beitrag ist erschienen in Werde 04 / 2019
Text: Ingrid Reißner Foto: Regina Recht