„Ganz schön bitter“! Wer das erste Mal auf ein Löwenzahnblatt beißt, wird wahrscheinlich das Gesicht verziehen. Die meisten Wildkräuter sind – für unser Geschmacksempfinden – ungewohnt herb. Das liegt an den enthaltenen Bitterstoffen, die zur Gruppe der sekundären Pflanzenstoffe gehören. Dazu zählen ganz unterschiedliche chemische Verbindungen wie zum Beispiel Saponine und Flavonoide im Gänseblümchen, Terpenoide im Löwenzahn. So verschieden sie auch sind, sie haben einen gemeinsamen Zweck: Sie schützen die Pflanze vor Fressfeinden.
Auch unser Gemüse schmeckte früher herber – bis die Bitterstoffe nach und nach herausgezüchtet wurden. Je milder Rosenkohl, Kürbis oder Zucchini wurden, desto besser ließen sie sich verkaufen. Die Milde bringt aber einen Nachteil mit sich: Ohne Abwehrstoffe ist das Gemüse Schnecken und Raupen gegenüber wehrlos, man braucht mehr Pflanzenschutzmittel.
Dass noch ein Bitter-Rest in unserem Gemüse schlummert, kann vielleicht der ein oder andere Hobbygärtner bestätigen. Wer Kürbisse, Zucchini oder Gurken aus eigenen Samen anpflanzt, hat vielleicht schon ungewohnt bitter schmeckende Exemplare geerntet. Wenn die Pflanzen Hitzestress – wie diesen Sommer – ausgesetzt sind, kann es zu Mutationen kommen. Die Bitterstoffe, die vorher rausgezüchtet wurden, sind dann wieder da – und zwar als hochgiftige Cucurbitacine. Dann unbedingt die Finger davon lassen!
Bei Kindern unbeliebt
Warum mögen wir aber Süßes lieber als Bitteres? Wie so oft ist das evolutionsbiologisch bedingt. „Süß ist grundsätzlich ein Sicherheitsgeschmack“, erklärt die Ernährungswissenschaftlerin Dr. Karolin Höhl. „Es gibt in der Natur fast keine süß schmeckenden Substanzen, die für uns giftig sind. Umgekehrt gibt es viele bittere Substanzen, die für uns giftig sind.“ Deshalb lehnen Babys erst mal alles ab, was bitter schmeckt. Sie sind ja auch das süßlich schmeckende Fruchtwasser in Mamas Bauch und die süßliche Muttermilch gewohnt. „Süß signalisiert: Hier ist energiereiche Nahrung, die satt macht und ein wohliges Gefühl gibt. Bitter sendet dagegen: Achtung – Gefahr!“, weiß Dr. Karolin Höhl. Je älter wir werden, desto mehr gewöhnen wir uns daran – bestes Beispiel ist der Kaffee, der von Schluck zu Schluck besser schmeckt.
Bitter im Mund ist im Magen gesund
Obwohl wir sie vielleicht nicht auf Anhieb mögen – Bitterstoffe tun uns gut! Schon Hildegard von Bingen schwor im Mittelalter auf die Bitterkräuter. Und im Gegensatz zum überzüchteten Gemüse haben sich die Wildkräuter nicht verändert. Deshalb sollten wir uns auch Jahrhunderte später ihre positiven Eigenschaften nicht entgehen lassen: „Vor allem der Magen-Darm-Trakt profitiert von den verdauungsfördernden Bitterstoffen in den wilden Kräutern“, sagt Dr. Karolin Höhl.
Das Spannende dabei: Die Bitterstoffrezeptoren, mit denen wir schmecken, sind nicht nur im Mund, sondern im ganzen Körper zu finden: im Magen-Darm-Trakt, auf Herz und Lunge, auf Immunzellen. Dort docken die Bitterstoffe dann an. „Sie regen die Darmmuskulatur zu mehr Aktivität an, stimulieren die Magen- und Gallensaftproduktion und sind vermutlich auch in der Lage, hormonelle Prozesse zu beeinflussen, zum Beispiel Appetit und Süßhunger“, weiß Ernährungsexpertin. Einige Studien zeigen sogar Hinweise auf positive Effekte der Bitterstoffe bei Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs oder Hautproblemen – hier steckt die Forschung aber noch in den Kinderschuhen.
Auch Pflanzenwissenschaftlerin Elisabeth Teufner ist von den Eigenschaften der Bitterstoffe überzeugt und rät, sie so oft wie möglich in den Speiseplan zu integrieren: „Wenn unsere Verdauung gut arbeitet und aus unserem Essen viele Nährstoffe herausholen kann, dann geht es uns gut, wir haben mehr Energie.“ Die meisten ihrer Teilnehmer würden sich mit der Zeit an den bitteren Geschmack der Wildpflanzen gewöhnen. Das ist aber nicht immer der Fall. „Einige Menschen reagieren von ihrer Genetik her anders auf bitter. Ihre Rezeptoren sind hochempfindlich. Selbst ein Brokkoli oder ein Weißkohl wird dann als extrem herb wahrgenommen“, erklärt Dr. Karolin Höhl.
Tipps zum Anfreunden
Wer Wildkräuter in seine Ernährung einbauen will, kann das Schritt für Schritt tun! Um Bitternoten abzumildern, helfen kleine Tricks. Die Ernährungsexpertin rät, einen Schuss Sahne in die Speisen zu geben, oder eine Prise Zucker, wie es in der Gastronomie üblich ist. Oder die Wildkräuter in Dinge zu verarbeiten, die man schon kennt und gerne isst – zum Beispiel Löwenzahn in einen Kräuterquark mit dem bekannten Schnittlauch und Dill. Dann koppelt sich das gewohnte Aroma mit der neuen Geschmacksqualität.
Ein Comeback bahnt sich an
Seit einiger Zeit zeichnet sich aber auch eine gegenläufige Tendenz ab: Der herbe Geschmack gewinnt wieder Fans! Rucola, Radicchio und Spitzkohl sind in Mode gekommen und mittlerweile in jedem Supermarkt zu haben. Auch Craft-Biere mit intensiven Bitteraromen sind – nach den Jahren der milden Sorten – wieder beliebt. Deshalb: Wer ab und zu Giersch und Löwenzahn über Suppe oder Salat streuselt, liegt absolut im Trend!
Zur Person

Dr. Karolin Höhl ist Vertretungsprofessorin für Ernährung und Gesundheit an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. Die Ernährungswissenschaftlerin forscht seit vielen Jahren zu Bitterstoffen und hat darüber ihre Doktorarbeit geschrieben.
Text: Angela Murr
Foto: Pixabay/congerdesign