
Die Rauhnächte zwischen Weihnachten und Dreikönig gelten als besondere Zeit des Innehaltens, der Geschichten und kleinen Rituale. Aber wie nutzt man diese zwölf Nächte bewusst – ohne sich in komplizierten Anleitungen zu verlieren? Wir haben mit Stefanie Thanhäuser, Fachärztin für Neurologie und Expertin für Pflanzenwissen und Räucherkultur, gesprochen. Sie erklärt, welche Kräuter und Harze wirklich sinnvoll sind, wie man Rituale unkompliziert in den Alltag einbindet und warum die Rauhnächte auch heute noch eine Gelegenheit zum Innehalten bieten – wissenschaftlich fundiert und praxisnah.
Die Rauhnächte sind ja eine ganz besondere Zeit im Jahr. Welche Rituale empfiehlst du, um diese Zeit bewusst zu nutzen?
Stefanie Thanhäuser: Grundsätzlich würde ich jedem erstmal empfehlen es locker zu sehen. Rituale sollten für einen selbst sinnvoll sein und man sollte sich dabei wohl fühlen. Mittlerweile kursieren im Netz unendlich viele Anbieter für Rauhnachtsrituale und diverse teils sehr dogmatisch anmutende Anleitungen für jede der 12 Nächte. Häufig muss ich darüber schmunzeln, denn das meiste hiervon sind moderne Erfindungen, oder Interpretationen der Rauhnächte, vollgestopft mit komplizierten Abläufen und wurden so nicht durchgeführt.
Hast du ein Beispiel?
Das Ritual mit den 13 Wünschen ist eine moderne Erfindung. Hierbei schreibt man 13 Wünsche auf kleine Zettel, faltet sie und verbrennt sie, einen jeden Abend. Der letzte Zettel enthält den Wunsch, den man sich selbst erfüllen muss. Wir wissen natürlich, dass die meisten Menschen zu früheren Zeiten nicht lesen und schreiben konnten, schon gar nicht in den ländlichen Regionen. Gerne werden die Rituale auf keltische, oder germanische Bräuche zurückgeführt. Belegt ist dies jedoch nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass sie uns keinerlei Niederschriften hinterlassen haben. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Rauhnächte wohl sehr unterschiedlich zelebriert wurden, je nach Region und woran man geglaubt hat. Bei den einen zog Wotan über das Land, in anderen Regionen war es Frau Holle, oder die Percht. Daher würde ich einen stressfreien und individuellen Umgang mit den Rauhnächten empfehlen. Das schöne sind doch die Geschichten die sich darum ranken. Vielleicht beschäftigt man sich ein bisschen damit, oder liest den Kindern, oder dem Partner/ der Partnerin jeden Abend hierzu eine Geschichte vor. Dazu noch eine Kerze anzünden, Handy weg und mal 12 Tage einen Gang runter schalten. Denn was wir sicher wissen ist, dass die „Räder“ still standen in dieser Zeit. Es wurden nur die nötigsten Arbeiten verrichtet – und geräuchert wurde natürlich auch!
Gibt es Kräuter oder Harze, die in den Rauhnächten besonders beliebt oder wirksam sind?
Vor allem in den ersten Rauhnächten bedankte man sich für das vorrausgegangene Jahr, verabschiedete sich hiervon und man gedachte den Ahnen. Hierfür verwendete man Kräuter die man in der Umgebung sammeln konnte, bspw. Wacholder, Holunderblüten, Erdrauch, Angelikawurzel und Eichenmoos. Beim Eichenmoos handelt es ich um eine wohlriechende Flechte. Aber auch „Waldweihrauch“ kam zum Einsatz. Damit sind die Harze der Nadelbäume gemeint wie Tanne, Fichte und Lärche. Echten Weihrauch, oder Myrrhe konnten sich die wenigsten Menschen leisten. Das wohl am häufigsten verwendete Räucherkraut wird aber der Beifuß gewesen sein. Es war das letzte Kraut was man im Jahr noch geschnitten hat. In fast allen Kulturen auf dieser Welt werden die Artemesia-Arten zum Räuchern genutzt, ob als Moxakraut in China, oder der Steppenbeifuß bei den amerikanischen Natives. Es gilt als „Grenzgänger“ zwischen den Welten. Man sagte dem Beifuss z.B. nach, dass er den Übergang in das Totenreich erleichtert.
„Die Düfte der Natur kann man sich am besten mit dem Räucherstövchen nach Hause holen.„
Welche Mischung würdest du Einsteiger*innen empfehlen?
Grundsätzlich würde ich in den Rauhnächten eine kräftige Hausräucherung empfehlen mit Beifuß, Salbei, Lavendel und Fichtenharz, oder einem klaren hellen Weihrauch. Das kann ein schönes alljährliches Ritual werden, dass man auch spielerisch mit Kindern durchführen kann. Wenn man Kräuter verwendet, sollten diese unbedingt vollständig getrocknet sein. Alternativ biete ich die Mischung „Reinigung“ aus meinem Sortiment an. Der Provence-Lavendel stammt aus Vogtsburg, hier aus der Rheinebene, der Salbei und der Beifuß sind aus meinem Garten.

Welche Düfte eignen sich besonders für Meditation oder einfach zum Wohlfühlen?
Die Düfte der Natur kann man sich am besten mit dem Räucherstövchen nach Hause holen. Hiermit gelingt das rauchfreie Räuchern. Viele Düfte haben dabei einen sehr entspannenden Effekt, den man sich am Abend gut zu Nutze machen kann. Wie wäre es z.B. mit einer Abendmeditation mit Kerzen und dem Duft von Lavendel, Myrrhe, Rosenblüten und Zirbenholz? Aber auch Styrax mit Kakaoschale mögen viele Leute. Aber Duftempfinden ist immer sehr individuell. Jemand der Lavendel nicht mag, wird sich kaum hierzu entspannen können.
Gibt es Düfte, die speziell die Intuition oder innere Ruhe fördern?
Entspannend und erdend sind allgemein die Düfte des Waldes wie Fichte, Tanne, Wacholder. Ich persönlich liebe auch die wilde Myrrhe, sie ist dunkel, würzig, aber auch balsamisch. In Kombination mit dem Königsweihrauch (Weirauch Maydi) wohl eines der schönsten Duftkombinationen in der Natur. Die Bäume welche diese Harze produzieren, wachsen quasi nebeneinander. Die Intuition stärken helle und klärende Düfte wie von Mastix, Copal blanco, Lorbeer, Salbei, Kalmuswurzel, aber auch Rosmarin.
Rauhnächte – kurz erklärt
Die Rauhnächte sind zwölf besondere Nächte zwischen Weihnachten und dem 6. Januar, denen in vielen europäischen Regionen eine magische und symbolische Bedeutung zugeschrieben wird. Traditionell gelten sie als „Zeit zwischen den Jahren“, in der das Alte abgeschlossen und das Neue begrüßt wird. Früher ruhte in diesen Tagen die Arbeit, man räucherte Haus und Hof, erzählte Geschichten, gedachte der Ahnen und nutzte die Zeit für Reinigung, Innenschau und einen bewussteren Umgang mit sich selbst. Heute werden die Rauhnächte vor allem als Einladung verstanden, langsam zu werden, Rituale zu pflegen und das neue Jahr klar und kraftvoll zu beginnen.
Was unterscheidet heimische Kräuter von exotischen Harzen in Bezug auf Wirkung oder Einsatzmöglichkeiten?
Die Harze enthalten von Natur aus einen höheren Anteil an ätherischen Ölen. Hervorzuheben sind hierbei die Balsambaumgewächse wie Weihrauch, Myrrhe, Palo Santo, oder Copal. Der Duft ist deutlich intensiver. Daher werden viele Harze, bzw. die ätherischen Öle daraus in der Parfumindustrie verwendet. Schon vor über 2000 Jahren wurden diese Harze hoch gehandelt. Sie sind kostbar und sollten auch heute so gesehen und wertgeschätzt werden. Unsere heimischen Kräuter sind aber auch nicht zu verachten. Wacholderbeeren, die man bitte nicht in der Natur sammeln sollte, denn sie stehen unter Naturschutz, sind unglaublich intensiv- süßlich. Man sagt der Duft zentriert und lenkt den Geist auf das Wesentliche. Auch die Alantwurzel mit ihren Duft nach gebackenem Brot mit Banane überrascht. Sie hebt die Stimmung und verbreitet Harmonie. Grundsätzlich können unsere heimischen Aromapflanzen genauso eingesetzt werden wie die exotischen Harze.
„Auf keinen Fall von täglichen Ritual-To-Dos stressen lassen! Lieber entspannt das tun, worauf man Lust hat.“
Viele kennen Räucherstövchen nur als Dekoration. Welche Tipps hast du, damit es richtig effektiv genutzt wird?
Wichtig ist hierbei, dass man Harze nur auf die Edelstahlplatte auflegt. Das gilt auch für fertige Räuchermischungen mit Harzanteilen. Baumharze schmelzen und sind teilweise sehr leicht brennbar. Wer ganz auf der sicheren Seite sein möchte, schneidet sich ein Stück Alufolie zu (die man immer wieder benutzen kann) und legt diese direkt auf das Räuchersieb. Dann kann nichts durchtropfen. Direkt auf das Sieb, aber vorsichtig an den Rand, lege ich nur Wurzeln und Hölzer.
Gibt es Produkte, die sich besonders gut als Geschenk für die Rauhnächte eignen?
Für Einsteiger würde ich das Rauhnächte Räucherset empfehlen. Darin enthalten sind drei Räuchermischungen die sich an den überlieferten Räuchertraditionen orientieren. Die waldige Mischung „Stille“ für die Ahnen und zum Loslassen, die Reinigungsmischung für eine Hausräucherung und um das neue Jahr zu begrüßen, die Mischung „Harmonie“.
Wer etwas mehr experimentieren möchte, kann sich an den 12 Nächten bei der Herstellung einer eigenen Räuchermischung ausprobieren. 12 Einzelstoffe können beliebig kombiniert werden. Rezeptideen gibt es im beigelegten Booklet.
Meine Räuchersets kommen mit Räucherkohle, Sand und Anleitung. Natürlich sind sie plastikfrei verpackt.

Welche Fehler sollte man vermeiden, wenn man zum ersten Mal räuchert oder ein Kräuterritual ausprobiert?
Weniger ist mehr würde ich sagen. Bevor man in viel Equipment investiert, sollte man eher klein anfangen und eher das Räucherwerk im Fokus haben. Als Räucherschale eignet sich eine Keramikschale, die spülmaschinenfest ist. Dies steht meist auch unten auf der Keramik. Auch kleine Auflaufformen, oder alte Bratpfannen sind geeignet. Am Wichtigsten ist es Sand in das Gefäß zu füllen. Der Sand reduziert die Hitze und schützt das Gefäß. Niemals die Kohle direkt auf die Keramik legen. Das Gefäß kann springen. Man kann Vogelsand, Quarzsand, oder auch zerstampfte Muschelschalen verwenden. Dann zündet man die Kohle an, platziert sie auf dem Sand und lässt sie durchglühen, bis sie außen grau ist. Und dann geht es auch schon los mit dem Räuchern. Zu Beginn tastet man sich langsam ran und gibt erstmal nur eine Drei-Finger-Priese Räucherwerk auf. Ist es verbrannt, schiebt man es mit einem Teelöffel von der Kohle. Damit das Räucherwerk nicht so schnell verbrennt, gebe ich gerne etwas Sand direkt auf die Kohle und dann erst das Räucherwerk. Man muss auf alle Fälle dabei bleiben und immer wieder das verbrannte Material von der Kohle schieben, frisches Material nachlegen. So kann man bspw. auch durchs Haus, oder die Wohnung gehen und den Rauch verteilen. Ein gefalteter Papierfächer ist hierbei hilfreich. Der Rauch neutralisiert Gerüche und man sagt schlechte Energien werden beseitigt. Natürlich sollten die Feuermelder hierbei ausgeschaltet sein. Danach wird kräftig gelüftet.
Was würdest du jemandem raten, der zum ersten Mal bewusst die Rauhnächte erleben möchte?
Auf keinen Fall von täglichen Ritual-To-Dos stressen lassen! Lieber entspannt das tun, worauf man Lust hat. Man muss auch nicht jeden Tag Räuchern. Die Rauhnächte beinhalten Geschichten und sehr unterschiedliche Bräuche, die viel Interpretationsspielraum bieten. Vielleicht nutzt man die Tage etwas für sich, zum Innehalten, dekoriert vielleicht ein Plätzchen in der Wohnung mit Kerzen, Zweigen und Dingen, die einem wichtig sind und die sich stimmig anfühlen. Dazu eine Schale mit Sand für Räucherwerk, oder Räucherstäbchen? Vielleicht entzündet man draußen ein Lagerfeuer im Schnee, gibt etwas zermörserte Wacholderbeeren, oder Rosmarin in die Glut, bedankt sich bei seinen Ahnen und bei sich selbst natürlich auch!
Zur Person
Stefanie Thanhäuser ist Fachärztin für Neurologie und bringt einen naturwissenschaftlichen Hintergrund in ihre Arbeit mit ein. Seit über acht Jahren betreibt sie „Schwarzwald Rauch“ als Kleingewerbe, vor allem in den Wintermonaten. In ihren Workshops vermittelt sie reines Pflanzenwissen sowie kulturelle und geschichtliche Aspekte des Räucherns – ganz ohne esoterischen Anspruch.
Freitags ist ihre Räuchermanufaktur geöffnet, ein Ort für Beratung und Ausprobieren. Alle Produkte stellt Stefanie Thanhäuser selbst her. Viele der Aromapflanzen stammen aus ihrem eigenen Garten, Harze bezieht sie über fairen Handel direkt aus den Ursprungsländern.
Mehr Infos unter www.schwarzwald-rauch.de