Marijana Braune hat ihren Job als Psychologin bei der Lufthansa aufgegeben, um mit „Don’t waste, be happy“ einen Podcast „für moderne Weltretter“ ins Leben zu rufen. Sie möchte Menschen helfen, durch Nachhaltigkeit und Minimalismus mehr Leichtigkeit in ihr Leben zu integrieren.
2016 kam deine Tochter zu Welt, kurz darauf hast du dein Leben auf den Kopf gestellt. Wie kam es dazu?
Marijana Braune Da war ein starkes Gefühl der Überforderung. Ich habe mich nach mehr Struktur, Klarheit und Zeit gesehnt. Als ich auf Facebook einen Post zu Bea Johnsons Buch „Zero Waste Home“ entdeckte, dachte ich, „Wenn das die Lösung ist, dann bin ich dabei“. Du tust etwas Gutes für die Umwelt und lebst gleichzeitig so minimalistisch, dass sich automatisch mehr Zeit, Leichtigkeit und Raum einstellen. Ich habe das Buch in einem Schwung durchgelesen und danach unser Leben umgestellt.
„Vor jeder Neuanschaffung habe ich mich gefragt ‚Brauche ich das wirklich?’ Dieser Schritt ist der Wichtigste überhaupt.“
Wie sah diese Umstellung aus?
Marijana Braune Zunächst habe ich alte Produkte aufgebraucht und sie dann nach und nach eingetauscht – angefangen bei Produkten, bei denen es mir leicht fiel, sie zu ersetzen. Vor jeder Neuanschaffung habe ich mich gefragt ‚Brauche ich das wirklich?’ Dieser Schritt ist der Wichtigste überhaupt und sollte der erste sein. Wir denken sofort an Alternativen, dabei kann man meistens einfach das benutzen, was man bereits hat. So lautet die Antwort meistens „Nein, eigentlich nicht“.
Gab es Aspekte, die dir im Zuge deiner Zero Waste-Lifestyle-Umstellung besonders schwer gefallen sind oder heute noch schwer fallen?
Marijana Braune Wer sich mit dem Thema beschäftigt, stellt mit der Zeit immer mehr Verknüpfungen zu anderen Themen her, denn es greift ja alles ineinander. Nicht nur mein Müllverbrauch, sondern auch meine Ernährung hat einen großen Einfluss auf die Umwelt. Der Verzicht auf Käse und Milch fiel mir anfangs sehr schwer. Heute bereite ich meine Hafermilch selbst zu, aber sie schmeckt ehrlicherweise lange nicht so gut wie gekaufte.
Aber der Umwelt zuliebe verzichtest du trotzdem konsequent?
Marijana Braune Nein, auch ich mache mal eine Ausnahme und kaufe Hafermilch im Supermarkt. Beispielsweise wenn wir Besuch bekommen und ich es besonders schön haben will. Viele Menschen gehen ja irrtümlicherweise davon aus, dass Yogis immer ausgeglichen sind oder sich Ernährungswissenschaftler rund um die Uhr gesund ernähren. Dementsprechend nehmen sie an, dass ich keinen Müll produziere. Das ist natürlich Blödsinn.
Im Zuge deines Lebens- und Bewusstseinswandels hast du deinen sicheren Job als Psychologin bei der Lufthansa aufgegeben. Wie kam es dazu?
Marijana Braune Ich habe mit der Zeit gespürt, dass ich mich immer weniger mit dem Wertesystem des Unternehmens identifizieren konnte. Vor allem in den Momenten, in denen ich dafür gesorgt habe, dass KollegenInnen für einstündige Termine quer durch Deutschland fliegen, häufig mehrmals in der Woche. Das wollte und konnte ich nicht länger aktiv unterstützen. Stattdessen habe ich mich stark danach gesehnt, wirklich etwas beizutragen und meine positiven Erfahrungen entlang eines nachhaltigen, einfacheren Lebens an andere weiterzugeben.
„Alles wurde buchstäblich leichter, weil wir uns im Außen befreit hatten. Und damit fing dann auch ein spannender innerer Weg an.“
Das klingt, als sei es dir nicht schwer gefallen, deinen Job aufzugeben?
Marijana Braune Nein, überhaupt nicht. Denn es hatten sich bereits auf so vielen Ebenen positive Effekte eingestellt. Alles wurde buchstäblich leichter, weil wir uns im Außen befreit hatten. Und damit fing dann auch ein spannender innerer Weg an. Für mich stellt Nachhaltigkeit die beste Persönlichkeitsentwicklung überhaupt dar. Ein weiterer positiver Nebeneffekt war, dass sich das Geld auf unserem Bankkonto zu der Zeit magisch vermehrt hat. Einfach, weil wir sehr viel weniger konsumiert haben. Ich habe mich immer wieder gefragt, warum das kaum ein anderer weiß? Von dem Moment an konnte ich meinen alten Job nicht mehr weitermachen.
Warum hat Zero Waste nichts mit Verzicht zu tun, sondern ist im Gegenteil ein großer Gewinn?
Marijana Braune Wir befinden uns in der unfassbar luxuriösen Situation, frei entscheiden zu können, wie wir leben möchten. Zero Waste ist eine bewusste Entscheidung für ein besseres Leben und für ein Weniger, kein Verzicht im negativ konnotierten Sinne. Es ist befreiend, von Mangeldenken wegzukommen und zu merken, dass man diesen Konsumkram überhaupt nicht braucht, um glücklich zu sein.
„Zero Waste ist eine bewusste Entscheidung für ein besseres Leben und für ein Weniger, kein Verzicht im negativ konnotierten Sinne.“
Wie würdest du in wenigen Worten erklären, was du unter einem ‚Zero Waste-Lifestyle’ verstehst?
Marijana Braune Übersetzt bedeutet Zero Waste ‚Null Müll’, was ein ziemlich dogmatischer und utopischer Terminus ist. Für mich bedeutet Zero Waste, so wenige Ressourcen wie möglich zu verbrauchen. Mir also bei jeder Entscheidung, die ich treffe und bei jeder Handlung, die ich vollziehe, zu überlegen, ob das gut ist und was es für mein Leben und für das Leben anderer bedeutet. Jeder Kauf ist ein Stimmzettel: Bei jedem Kauf eines Lebensmittels, Kleidungsstückes oder technischen Gerätes gebe ich aktiv meine Stimme dafür ab, wie ich mir die Welt wünsche.
Was rätst du Menschen, die sich schwer damit tun, sich von bestimmten Verhaltensweisen, etwa von Fast-Fashion-Einkäufen zu verabschieden?
Marijana Braune Als Psychologin weiß ich, dass Abschreckung eine wirksame Methode ist. Bei Fast Fashion funktioniert das gut anhand von Dokumentationen wie „The True Cost“, die z.B. auf Netflix frei verfügbar sind. Sich bewusst zu machen, wie wir die Umwelt, andere Menschenleben und letztendlich auch unsere eigene Gesundheit gefährden, wenn wir Fast Fashion tragen, ist schon mal ein guter Start und die beste Grundlage für ein Umdenken.
„Jeder Kauf ist ein Stimmzettel: Bei jedem Kauf gebe ich aktiv meine Stimme dafür ab, wie ich mir die Welt wünsche.“
Wir müssen uns von innen nach außen arbeiten. Wir müssen erst unser Mindset ändern, um unser Verhalten langfristig und ernsthaft zu verändern. Außerdem kann man ganz bewusst Orte wie Kleidungsgeschäfte vermeiden, die einen zum Konsum anregen würden. Lifestyle-Zeitschriften abbestellen und in den sozialen Medien niemandem mehr zu folgen, der einem zeigt, was er alles gekauft hat.
Wie lassen sich Impulskäufe vermeiden?
Marijana Braune Werdenden Müttern rate ich beispielsweise, dass sie erst mal abwarten sollen, bis ihr Kind da ist. Und in der jeweiligen Situation zu gucken, was das Kind wirklich braucht. Statt zu kaufen, was einem in den Sinn kommt. Mein zweiter Rat lautet, sich darüber bewusst zu werden, dass einem all das, was man besitzt, früher oder später mit großer Wahrscheinlichkeit Arbeit machen wird. Denn man muss die Sachen wegräumen, ausmisten, verkaufen oder verschenken.
„All das, was man besitzt, wird einem früher oder später Arbeit machen.“
Welchen Zero Waste-Tipp würdest du gerne mit möglichst vielen Menschen teilen?
Marijana Braune Es gibt zwei Dinge, von denen man nie genug im Haus haben kann: Gläser und Tücher. Spüllappen, Bienenwachstücher, Windeln, Handtücher – all diese Funktionen stecken in einem Mulltuch. Das Gleiche gilt auch für Gläser. Sie dienen nicht nur als Trinkglas, sondern sind Kerzenhalter, Salatschleuder, Behältnis für Lebensmittel, Vase, Dessert- und Dekoglas in einem.
Das klingt nach maximaler Nutzung von minimalen Ressourcen.
Marijana Braune Ja, wir sollten uns trauen, unserer Fantasie wieder mehr freien Lauf zu lassen und die Dinge kreativ umzufunktionieren.
War es schwierig, deinen Mann davon zu überzeugen, nachhaltiger und bewusster zu leben?
Marijana Braune Mein Mann unterstützt diesen Lebensstil, weil er ihm einleuchtet und die innere Überzeugung da ist. Bei anderen greifen finanzielle Argumente oder die Aussage ‚Wir wollen doch eine tolle Zukunft für unsere Kinder’.
Deine Tochter ist mittlerweile drei Jahre alt. Wie schwer ist es, Klein- und vor allem ältere Kinder für das Thema Konsum zu sensibilisieren und dafür zu sorgen, dass sie im Vergleich zu anderen Kindern nichts vermissen?
Marijana Braune Es ist einfacher, wenn ein Kind von vornherein in einem nachhaltigen, bewussten Umfeld aufwächst, als wenn man einem Teenager erklärt, dass es den in Plastik verpackten Frischkäse ab heute nicht mehr gibt. Grundsätzlich sind Kinder und Jugendliche wesentlich intuitiver als Erwachsene. Ihre Naturverbundenheit ist nicht wissensbasiert, sondern intuitionsgesteuert.
„Grundsätzlich sind Kinder wesentlich intuitiver als Erwachsene. Ihre Naturverbundenheit ist nicht wissensbasiert, sondern intuitionsgesteuert.“
Eltern sollten ihre Kinder langsam an das Thema heranführen und gemeinsam mit ihnen lernen. Etwa Dokumentationen gucken oder Bücher zu dem Thema ausleihen. Außerdem können Eltern dafür sorgen, dass ihre Kinder Spielzeuge mit Freunden tauschen. Sie können sie darin bestätigen, dass es cool ist, dass der eine ein Trampolin hat und die andere dafür die Schaukel. Es muss nicht immer jedes Kind alles haben. Ganz gleich, ob Partner oder Teenagerkinder – wichtig ist, nicht mit der Moralkeule zu kommen. Das funktioniert einfach nicht.
Du schreibst nicht nur zu dem Thema, sondern hast auch einen Podcast und bietest Nachhaltigkeits-Online-Coachings an. Wie genau laufen diese ab?
Marijana Braune Mein Motto, das über allem steht, lautet ‚Mehr Zeit statt Zeug’. Ein Großteil meiner Coaching-Tätigkeit besteht darin, Menschen dabei zu helfen. Sich wieder auf das Wesentliche in ihrem Leben zu konzentrieren, beispielsweise Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen. Und durch vereinfachte Strukturen mehr Leichtigkeit in den Alltag zu integrieren. Und da Veränderung immer von innen nach außen stattfindet, versuche ich, das Mindset der Menschen positiv zu stärken. Wegzukommen von einem ständigen Mangeldenken und hin dazu, die Fülle wieder neu zu entdecken.
„Ich würde mir wünschen, dass viel mehr Menschen mit dem zufrieden sind, was sie haben.“
Erst danach folgt die praktische Umsetzung im Außen. Es geht um Routinen, feste Gewohnheiten und den (Familien-)Alltag. Außerdem biete ich ein privates Mentoring-Programm an, indem ich Menschen sehr persönlich und intensiv über mehrere Monate hinweg begleite.
Wie kann es uns gelingen, uns in einer von Reizen und Konsumgütern überfluteten Welt auf das Wesentliche zu besinnen?
Marijana Braune Indem wir vermehrt nach innen blicken. Dazu gehört auch ein bewusster Verzicht in Bezug auf soziale Medien, Informationen und Werbung.
Wenn du dir eine Sache wünschen könntest, was wäre das?
Marijana Braune Ich würde mir wünschen, dass viel mehr Menschen mit dem zufrieden sind, was sie haben.
Was können wir von Menschen älterer Generationen lernen?
Marijana Braune Einen natürlichen Umgang mit natürlichen Ressourcen. Für meinen Blog habe ich ein Interview mit einer 108-jährigen Frau geführt. Von ihr habe ich gelernt, dass es früher beispielsweise gar keine Mülleimer gab. Es gab bloß Ascheimer. Denn der einzige Müll, der entstand, war Asche. Und selbst die wurde verwendet, um damit die Scheiben vom Ofen zu putzen oder als Dünger genutzt. Und selbst meine Eltern erzählen mir, dass der Fisch im Supermarkt früher einfach in Zeitungspapier eingewickelt wurde. Dieser natürliche und intuitive Umgang mit der Natur war also bereits da. Wir dürfen uns erlauben wieder mehr dahin zurück zu kehren, wie es früher einmal war.
„Wir dürfen uns erlauben wieder mehr dahin zurück zu kehren, wie es früher einmal war.“
Wie kann es uns gelingen, zurück zu dieser Einfachheit zu finden und unsere Werte (neu) zu entdecken und diese auch zu leben?
Marijana Braune Zunächst sollten wir uns trauen, überhaupt mal hinzugucken und uns im Alltag zu fragen, ‚Wer will ich sein und was ist mir überhaupt wichtig? Lebe ich überhaupt das Leben, das ich leben möchte?’ Es kann sehr hilfreich sein, sich das in Ruhe aufzuschreiben. Denn je mehr du weißt, wer du eigentlich bist, was du beitragen möchtest und je mehr du dich lieben kannst, desto weniger hast du den Wunsch, dich im Außen zu orientieren und mitzuschwimmen im gesellschaftlichen Mainstream des Konsumwahns.
Warum, denkst du, ist der Zero Waste-Lifestyle kein Nischenthema mehr, sondern endlich im Mainstream angekommen?
Marijana Braune Erstens aufgrund von wunderbaren Menschen, die sich für das Thema einsetzen. Und zweitens aufgrund der katastrophalen Veränderungen, von denen Wissenschaftler bereits seit Jahrzehnten sprechen und die wir im Alltag spüren. Wir bereisen Urlaubsorte, in denen Strände wegbrechen, wir sehen, wie der Ostseestrand plötzlich immer schmaler wird. Wie die Dinge buchstäblich verschwinden und dass der Meeresspiegel tatsächlich steigt, dass zum Beispiel Sylt vielleicht irgendwann nicht mehr da ist. Der Klimawandel ist nicht mehr weit weg, sondern findet direkt vor unserer Haustür statt.
Gibt es neben Bea Johnsons Zero Waste-Philosophie noch weitere Menschen, Podcasts oder Projekte, die dich inspirieren?
Marijana Braune Aktuell beschäftige ich mich viel mit Themen wie Gewohnheiten und dem Schlaf. Deshalb kann ich das Buch „Magic Morning“ von Lina Jachmann sehr empfehlen. Das gleiche gilt für das Buch „Digitaler Minimalismus“. Außerdem beschäftige ich mich mit den Themen Business und Persönlichkeitsentwicklung. Wer sich ebenfalls für diese Themen interessiert, dem kann ich die Podcasts von Laura Malina Seiler oder Miss Moneypenny sehr ans Herz legen. Ansonsten finde ich es spannend, wenn Frauen wie Madeleine Alizadeh von Dariadaria sich trauen, sich für feministische Themen einzusetzen.
Zur Person
Marijana Braune lebt in Hamburg und hat sich mit der Geburt ihrer Tochter 2016 ganz bewusst für einen radikalen Lebenswandel entschieden. Seitdem klärt die studierte Diplom-Psychologin auf ihrem Blog und vor allem in ihrem Podcast über Themen wie Nachhaltigkeit, Minimalismus und Achtsamkeit auf. Ihr Credo lautet: ‚Verschwende weniger, lebe mehr’. Sie unterstützt andere, das Thema Nachhaltigkeit in den Alltag zu integrieren. Und bietet Online-Coaching-Programme speziell für Eltern an sowie für alle, die an Zero Waste interessiert sind.