Alexander Nolte und Oliver Spies sind Menschen, für die das Wort Tausendsassa erfunden wurde. Mit ihrem Label Langbrett verknüpfen sie nachhaltig produzierte Kleidung mit zeitlosem Design. Zudem engagieren sie sich für Umweltpolitik und stellen eine umweltfreundliche Alternative zu handelsüblichen Surfwachsen her.
Das 2008 gemeinsam gegründete Label Langbrett „für surfende Stadtbewohner“ und die daraus entstandene gemeinnützigen Organisation STOP! Micro Waste sind hierzulande wegweisend in punkto Mikroplastik-Bekämpfung. Wir haben mit Alexander Nolte über die Notwendigkeit von umweltfreundlichem und ressourcenschonendem Design gesprochen. Über verantwortungsbewusste Unternehmensführung, sowie das Suchen und Finden von nachhaltigen Lösungen.
Das Thema Mikroplastik und Plastikverschmutzung ist seit einiger Zeit allgegenwärtig. Plötzlich scheint sich auch der Mainstream für das Thema zu interessieren.
Alexander Nolte Ja, allerdings springen derzeit auch viele Unternehmen auf den Zug auf. Und machen aus marketing-strategischen Gründen Falschaussagen, statt an konkreten Lösungen zu arbeiten.
Magst du ein Beispiel nennen?
Alexander Nolte Fakt ist, dass man Plastik aus dem Meer derzeit nicht soweit recyceln kann, um daraus ein Garn herzustellen. Man muss immer noch andere Materialien hinzumischen, um daraus brauchbare Textilien herstellen zu können. Es ist technisch nicht möglich, einen Schuh herzustellen, der zu 100 Prozent aus Meeresmüll besteht. Selbstverständlich ist es sinnvoll, Meeresplastik zu recyceln. Aber dann sollte dabei ein Produkt herauskommen, das sich nachher auch wieder problemlos in den Produktionskreislauf zurückführen lässt. Stattdessen werden beispielsweise nur Teile eines Schuhs aus recyceltem PET hergestellt. Während der restliche Schuh komplett aus umweltschädlichen Materialien besteht und nicht wiederverwertet werden kann. Das halte ich für verlogen.
Wie könnte es besser gehen?
Alexander Nolte Wir brauchen Unternehmen, die wirkliche Innovationen entwickeln. Die transparent arbeiten und den Kunden so ehrlich wie möglich informieren. Hersteller sollten mitteilen, wie viel Prozent Meeresplastik wirklich in einem Produkt enthalten ist. Außerdem könnte man die Sohlen aus Naturkautschuk statt aus umweltschädlichen Materialien wie EVA oder PU herstellen, wie es bisher auch bei vielen angeblich nachhaltigen Herstellern der Fall ist. Wir müssen ganzheitlicher denken.
„Es ist gefährlich, die Menschen glauben zu machen, dass sie etwas Gutes tun, wenn sie Produkte aus Meeresmüll kaufen.“
Es ist gefährlich, die Menschen glauben zu machen, dass sie etwas Gutes tun, wenn sie Produkte kaufen, die aus Meeresmüll gefertigt sind. Oder in Bioplastik verpackt sind. Das verschlimmert das Problem nur noch. Weil sie dann konsumieren können, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Und denken „Hey, ich tue ja noch was Gutes dabei“.
Warum sind nicht schon längst viele Firmen konsequenter und transparenter?
Alexander Nolte Meist stehen finanzielle Interessen im Konflikt zur wirklich nahhaltigen Produktion. Für Kunden ist es praktisch unmöglich, sich in jedem Thema ganzheitlich zu informieren. Aber kritischer gegenüber den Versprechungen der Industrie sollten wir auf jeden Fall sein.
Für welche Werte steht Langbrett?
Alexander Nolte Was viele nicht wissen: Neben dem Abrieb von Autoreifen sind synthetische Textilien die größten Verursacher von Mikroplastik überhaupt. Plastikverschmutzung und der Klimawandel hängen unmittelbar miteinander zusammen. Mit Langbrett wollen wir Produkte herstellen, die weder Mensch noch Umwelt Schaden zufügen. Oliver und ich produzieren Textilien und Schuhe ohne Plastik und Chemikalien als Alternativen. Und wir suchen in der Eco-Nische permanent nach neuen Lösungen.
Eine dieser Lösungen ist der Guppyfriend. Ein Waschbeutel, den ihr konzipiert habt, um den Abrieb von Mikroplastik zu verringern.
Alexander Nolte Als wir erkannt haben, dass die synthetischen Fasern, die unter anderem in Outdoor-Textilien eingesetzt werden, ein massives Problem darstellen, wollten wir dies gerne thematisieren. Und wir dachten, der beste Weg ist es, direkt eine Lösung zu präsentieren. Also haben wir bei Langbrett den Guppyfriend Waschbeutel entwickelt. Das hat zunächst wesentlich länger gedauert, als wir gedacht hatten, da wir jede Menge Materialien testen mussten.
„Neben dem Abrieb von Autoreifen sind synthetische Textilien die größten Verursacher von Mikroplastik überhaupt.“
Wie genau funktioniert der Waschbeutel?
Alexander Nolte Laut Fraunhofer Institut reduziert der Beutel den Abrieb synthetischer Fasern um durchschnittlich 86 Prozent. Kleidung bleibt länger haltbar, weniger Fasern brechen ab und das, was abbricht, wird zuverlässig vom Beutel zurückgehalten. Der Beutel selbst verliert keine Fasern. Der Waschbeutel ist für uns jedoch eher Mittel zum Zweck, um das Thema Mikroplastik zu kommunizieren. Und die Konsumenten dafür beim Kauf- und Waschverhalten zu sensibilisieren. Wer den Guppyfriend benutzt, guckt zuvor automatisch in sein Pflegeetikett und informiert sich über die jeweiligen Materialien. Außerdem informieren wir, welche Art von Waschmittel man am besten nutzt und wie man allgemein nachhaltiger wäscht. So wird man quasi aus Versehen zum Experten auf dem Gebiet.
Das Thema Aufklärung verfolgt ihr sehr engagiert mit eurer 2016 gegründeten Stop! Micro Waste NGO.
Alexander Nolte Ja, die Erlöse aus dem Waschbeutel-Verkauf gehen an unsere Initiative STOP! Micro Waste, damit wir verstärkt Aufklärungs- und Bildungsarbeit auf diesem Gebiet betreiben können. Mithilfe des Guppyfriend Waschbeutels können wir kommunizieren, dass Mikroplastik ein Problem ist. Natürlich lösen wir damit das Problem nicht in der Gänze, aber wir geben dem Kunden ein Tool in die Hand, mit dem er sofort etwas tun kann. Denn Oliver und ich möchten nicht nur Probleme aufzeigen, sondern vor allem Lösungen finden.
„Die Arbeit mit Kindern und Schülern stimmt mich auf jeden Fall optimistischer, als endlose Gespräche mit politischen Delegierten.“
In unserer STOP! Plastik Akademie bilden wir Coaches aus, die in Firmen und Bildungseinrichtungen umfassende Aufklärungsarbeit rund um die Themen Recycling, Mikroplastik, Bioplastik und synthetische Textilien betreiben. Die Coaches leiten die Schüler unter anderem an, sogenannte STOP! Stations zu errichten. Eine solche Station kann sein, dass sämtliche Strohhalme in einer Schule zusammengetragen und Unterschriften gesammelt, damit diese künftig ersetzt werden. Eben jede Aktion, die hilft, den Austrag von Plastik in die Umwelt zu verhindern.
Spätestens seit Greta Thunberg hat man das Gefühl, dass es der Jugend ein dringendes Anliegen ist, sich aktiv für unsere Umwelt einzusetzen. Damit ja auch für ihre Zukunft – und uns Erwachsene wach zu rütteln…
Alexander Nolte Ich muss gestehen, dass ich manchen Momenten Angst habe. Davor, dass es uns nicht mehr rechtzeitig gelingen wird, das Ruder herumzureißen. Die Arbeit mit Kindern und Schülern stimmt mich auf jeden Fall optimistischer, als endlose Gespräche mit politischen Delegierten. Weil Kinder und Jugendliche wirklich etwas verändern und anpacken wollen.
„Materialien wie Bambus oder Algen stellen wieder ganz eigene Probleme dar.“
Warum arbeiten nicht viel mehr Unternehmen mit plastikfreien Materialien?
Alexander Nolte Viele Designer wissen oder hinterfragen nicht, wo die Materialien, die sie verwenden, herkommen. Deshalb möchten wir gerade auch in Unternehmen für mehr Aufklärung sorgen.
Gibt es Materialien wie etwa Algen oder Bambus, die eine gute Alternative darstellen? Können solche nachhaltigen Materialien langfristig gute Lösungen sein?
Alexander Nolte Letztendlich stellt jedes dieser Materialien wieder ganz eigene Probleme dar. Zwar ist Bambus ein nachwachsender Rohstoff, allerdings wird er oft mit Kunststoff verklebt. Zum Beispiel, wenn daraus ein Mehrweg-Kaffeebecher wird. Die Fasern würden ansonsten nicht zusammenhalten. Solange es sich um ein Material handelt, das man nicht sortenfrei trennen kann, ist es keine ökologische Lösung. Bambus wächst zudem größtenteils in Asien und die CO2-Belastung von Bambusprodukten ist entsprechend hoch.
Was wäre das Ziel in punkto Produktgestaltung?
Alexander Nolte Das Ziel muss sein, dass Materialien wiederverwendet werden können. Doch das ist ein langer Weg. Man kommt also um den Closed-Loop-Gedanken, also die Wiederverwertung aller Materialien, nicht herum. Außerdem gilt es generell, weniger zu konsumieren und Ressourcen wieder als Wert zu begreifen. Dazu zähle ich auch Plastik – so lange es sortenrein zu trennen ist.
„Reparieren und Selbermachen ist sowieso das Beste! Genau diese Werte müssen wieder cool werden.“
Apropos, wie genau funktioniert eure Closed Loop-Schuhproduktion?
Alexander Nolte Wir haben bei Langbrett ein System kreiert, bei dem wir aus Schuhresten neue Schuhe kreieren können. Dabei verwenden wir Materialien ohne toxische Zusätze. Also chromfrei gegerbtes Leder oder vegane Varianten. Und kreieren einen Wertstoffkreislauf, indem wir Produktionsreste und recycelte Schuhe zu neuen Schuhen verarbeiten. Wieder und wieder.
Außerdem stellt ihr derzeit eine umweltfreundliche Alternative zu handelsüblichen Surfwachsen her. Warum sind herkömmliche Wachse schädlich für die Umwelt? Und woraus setzt sich euer Wachs zusammen?
Alexander Nolte Normalerweise enthalten Surfwachse umweltschädliche Inhaltsstoffe wie Paraffine. Davon geht bei jedem Wasserkontakt etwas direkt ins Meer. Gerade Surfer haben natürlich Interesse daran, den Ort, in dem sie ihre beste Zeit verbringen, zu schützen. Deswegen machen wir unser umweltverträgliches Wachs aus einer Mischung natürlicher Materialien wie Bienenwachs, Kokosöl und Baumharz. Wir möchten das Rezept rausgeben, damit die Leute anfangen, die Sachen selber zu machen. Reparieren und Selbermachen ist sowieso das Beste! Genau diese Werte müssen wieder cool werden.
„Normalerweise enthalten Surfwachse umweltschädliche Inhaltsstoffe wie Paraffine. Davon geht bei jedem Wasserkontakt etwas direkt ins Meer.“
Was sollte die Politik tun?
Alexander Nolte Ich würde als erstes dafür sorgen, dass die Steuern angepasst werden und CO2- Emissionszertifikate den Ausstoß regeln. Es könnten Anreize für bestimmte Formen der Wiederverwertung geschaffen werden, nach dem Vorbild von Mehrwegsystemen, die ja auch wunderbar funktionieren. Eine Pfandflasche sollte steuerlich bevorzugt werden, im Vergleich zu einer Plastikflasche, die um die halbe Welt geschifft wurde. Wir müssen in lokalen und in Closed-Loop-Kontexten denken.
Die Politik setzt derzeit leider nicht die richtigen Anreize, damit Recycling gefördert und Abfall vermieden werden kann. Und die Firmen mit in die Verantwortung genommen werden. Transparenz auf allen Ebenen ist notwendig. Da passiert viel zu wenig und es dauert zu lange. Im Gegenteil: Fossile Brennstoffe, die für stoffliche Verwertung genutzt werden, sind in Deutschland von der Steuer befreit. Das bedeutet, originäres Plastik wird steuerlich gefördert und damit günstiger gehalten als recyceltes.
„Originäres Plastik wird steuerlich gefördert und damit günstiger gehalten als recyceltes.“
Warum passiert auf politischer Ebene nicht schon längst viel mehr?
Alexander Nolte Die Probleme sind nicht linear. Jeder hat seine eigene Agenda und verfolgt eigene Interessen, so lange es eben geht. Meiner Erfahrung nach funktionieren Dinge erst, wenn es Gesetze gibt. Wenn sich damit Geld verdienen lässt oder aber wenn der Kunde ein bestimmtes Verhalten abstraft. Das macht er aber nur, wenn er gut informiert ist. Da kommt STOP! Mirco Waste ins Spiel: Wir kreieren mit den STOP! Stations Innovationen für Bildungseinrichtungen und Unternehmen und klären auf diese Weise auf. In der Politik sind das leider wahnsinnig langwierige Prozesse. Meiner Meinung nach müssen wir weiter unten ansetzen und erklären, was jeder Einzelne tun kann. Damit weniger toxisches Plastik in die Umwelt abgeben und selbst aufgenommen werden.
Was konkret wäre das zum Beispiel?
Alexander Nolte Wir müssen mehr Bewusstsein entwickeln. Auch bei vermeintlich harmlosen Verhaltensweisen. Wer etwa seine Zigarette achtlos auf dem Boden austritt, schadet der Umwelt ebenfalls. Denn die Zigarettenfilter bestehen aus Celluloseacetat. Dort sammeln sich jede Menge Giftstoffe wie Nikotin und Co, die dann direkt ins Grundwasser gelangen. Es geht darum, grundsätzlich achtsam zu sein. Nimm deine Lieblings-Baumwolltasche zu jedem Einkauf mit, genau wie deine eigene Trinkflasche oder deinen Mehrwegbecher, wenn du das Haus verlässt. Beachte einfache Regeln der Mülltrennung: Zum Beispiel haben Netze, Etiketten, Papier- oder Bioplastiktüten im Biomüll nichts zu suchen. Fange im Kleinen an, deine Verhaltensweisen zu überprüfen und wenn nötig und möglich zu ändern.
„Leider suchen Menschen und Unternehmen nach einfachen Lösungen – aber die wird es nicht geben.“
Woher resultiert euer unermüdlicher Forscher- und Kämpfergeist?
Alexander Nolte Uns war es immer schon wichtig, Zusammenhänge zu begreifen. Schon in meinem früheren Job bei Volkswagen habe ich Innovationsprojekte angestoßen. Diesen Drang, die Sachen besser zu machen und die Zusammenhänge zu verstehen, teilen Oliver und ich. Leider suchen Menschen und Unternehmen nach einfachen Lösungen – aber die wird es nicht geben.
Zur Person
2006 haben sich die beiden Langbrett-Gründer Alexander Nolte und Oliver Spies kennengelernt. Bevor die passionierten Surfer 2008 ihr gemeinsames Unternehmen ins Leben riefen, reiste Alexander Nolte rund um den Globus. Über 15 Jahre lang war er für internationale Firmen tätig und hat dort neue Ideen und Produkte entwickelt. Zunächst für Volkswagen, später dann mit seiner eigenen Innovationsfirma. Inzwischen setzt er seinen Forscher- und Innovationsdrang für Langbrett und die STOP! Micro Waste NGO ein. Oliver Spies kam 1993 erstmals mit Eco-Textilien in Berührung und hat als einer der ersten hierzulande Kleidung aus Biobaumwolle produziert. Mit seiner Frau und seinen beiden Kindern verbringt er die meiste Zeit des Jahres im Wohnmobil. Für Langbrett hat er seine Designagentur aufgegeben.
In den kurzen Filmen von Stop! Microwaste TV erfährt man mehr über Microplastikverschmutzung und den Guppyfriend.