Werde Magazin - Manadrinen

Sonnen an Bäumen

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Im äußersten Süden Brasiliens wachsen köstliche Bio-Mandarinen wie die Bergamota Montenegrina. An Bäumen, um die sich die Demeter-Landwirte Joao und Marcia sorgen.

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Ökopioniere

Es geht bergauf. Auf einem erdigen Weg vorbei an Wiesen und dichtem Wald, aus dem hier und da Palmen aufragen, als wollten sie sich einen Überblick verschaffen. Über Bananenstauden, Avocado- und gestutzte Feigenbäume, über Mandarinenhaine und über die Lichtung oben am Kamm, wo das Land von Márcia und  João  Kranz, zwei Ökopionieren Süden Brasiliens, im  Vale do Caí, endgültig zur Wildnis wird. „Hier weht oft ein mächtig kalter Wind“, sagt der Landwirt, der gemeinsam mit seiner Frau Mandarinen nach den strengen Richtlinien der biodynamischen Landwirtschaft anbaut.

Es ist Zeit, für heute aufzuhören: Die Sonne steht tief und leuchtet direkt auf die vielen gepflückten Früchte, die sorgfältig in Kisten geschichtet im Anhänger von Joãos Traktor liegen. Am nächsten Morgen kommt Darwin Kochenborger, um auch die Ernte dieses Tages zur Fabrik der Kooperative Ecocitrus zu bringen. Dort werden Bio-Mandarinensaft und duftendes Mandarinenöl in Bioqualität gewonnen.

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Das war nicht immer so. Früher baute hier jeder für sich an und versuchte, seine Früchte am Markt zu verkaufen. Das war mühsam. Könnte man nicht gemeinsam mehr erreichen? 1990 stellten die ersten Zitrusfruchtfarmer auf ökologische Landwirtschaft um, vier Jahre später gründeten einige Familien Ecocitrus, das seit 1998 als Kooperative agiert: eine für alle. Heute sind 60 Familien dabei, auch die von Joao und Marcia.

Den ganzen Tag Natur

„Gesundheit war uns immer schon wichtig.“ Márcia und Joao bauen auch ihr eigenes Gemüse an, knackigen Ruccola etwa, außerdem Brokkoli, der als Rohkost auf den Tisch kommt, dazu gibt’s selbstgemachten Traubenessig, außerdem gekochte Cara, die kantige Urkartoffel, die Joãos Bruder zieht, nebenan. „Sich hinsetzen und Tee trinken ist nicht unser Ding“, sagen beide, und man fragt sich, ob die körperliche Tätigkeit an der frischen Luft oder die grüne Kost sie so fit machen: Der 56 Jahre alte dunkelhaarige João ist klein und drahtig und erzählt gern. Die zehn Jahre jüngere Márcia ist eher still „Ich bin am liebsten draußen“, sagt die Frau mit dem dunkelblonden, schulterlangen Haar, und ihr 22 Hektar großes Grundstück bietet dazu mehr als genug Gelegenheit: Von Sonnenauf- bis untergang kümmern sie und ihr Mann sich um 13 Hektar mit Obstbäumen, insgesamt 4600 Stück, die meisten davon Mandarinen.

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Man kann sich kaum vorstellen, dass Márcia mal eine Ausbildung in einer Bank absolviert hat und wie es ihr mit einem Bürojob ergehen würde.  João war Mathematiklehrer und statt Kinder zu fördern, bringt er heute Bäume zum Blühen. Mit den anderen biodynamischen Anbauern trifft er sich, um Präparate gemeinsam herzustellen. Viel Zeit allein mit seinen Bäumen zu verbringen, ist ihm wichtig. Um ihre Bedürfnisse genau wahrzunehmen. „Die Natur muss sagen, was das Beste ist!“ So achtet er auf den Wuchs der Bäume, darauf, wie sie aussehen, ob sie zu viele Triebe haben oder zu wenig. Sein Geheimtipp: genügend Schatten. „Von Januar bis März, wenn bei uns Sommer ist, wird es viel zu heiß für die Mandarinen“, sagt João.

Alles braucht Zeit

Die Früchte lieben den Wechsel aus kalt und warm, aus feucht und trocken und leiden unter der beständigen Hitze oder einem Übermaß an Feuchtigkeit.  Als Sonnen- und Regenschirme haben Márcia und er deshalb auch viele hohe Bäume gepflanzt. Extra auch an dem Hang, den sie erst roden mussten. Wo einst Naturwald wucherte, gedeiht jetzt ein prächtiger Mandarinengarten, mit vielen Reihen  kräftiger, rund drei Meter hoher Bäume, in deren dunkel glänzendem Laub die Mandarinen wie Lampions leuchten. Am Boden breitet sich ein dichter Teppich von hellgrünem Klee und Gras aus, der die Erde auflockert, weil eben keine Unkrautvernichtungsmittel alles Leben im Keim erstickt.

Den nötigen Schatten spenden immergrüne Araukarien, die in Brasilien heimisch sind. „Für unsere Kinder“, erklärt Márcia. Denn die Andentanne braucht Jahrzehnte, bis sie Früchte trägt, aber sie denkt wohl eher auch an die vielen Mandarinen, die hier noch zu ernten sein werden. Die elfjährige Flavia „will davonfliegen“, lächelt Márcia, und berichtet, dass ihr jüngere Tochter von einem eigenen biodynamischen Restaurant in Paris träumt. Sie probiert schon jetzt Rezepte in der großen Küche aus. Ihre 15 Jahre alte Schwester Joaña hingegen möchte einmal den elterlichen Hof übernehmen und wird im kommenden Jahr dazu einige Zeit bei einem Demeterbetrieb im hessischen Bad Vilbel verbringen. „Vorher muss sie aber noch ein bisschen die Sprache lernen“, sagt João stolz und ein wenig kritisch, auch sich selbst gegenüber: „Wir müssen selbst mehr Deutsch mit ihr sprechen“, sagt Kranz, „wir stammen aus dem Hunsrück!“

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Brasilien zählt heute zu den größten Produzenten weltweit. Doch nur aus dem Ort Montenegro stammt eine Rarität, die Bergamota Montenegrina, die aus einer spontanen Mutation entstand, besonders aromatisch duftet und schmeckt und später reif wird als die übrigen Sorten – eben im August. Wenn Márcia und João  den ganzen Tag ernten, essen  auch sie zwischendurch  ihre Früchte und es duftet verlockend.

Duftende Rarität

Die Arbeit ist anstrengend: den ganzen Tag lang mit erhobenen Armen konzentriert in die Bäume greifen, drei Früchte mit rechts packen, drei mit links und noch zwei in die Mitte zwischen die Hände, sie hinunter in die umgehängte Schürze geben und sich bücken, um diese unten zu öffnen und die prallen, orangefarbenen Kugeln in Kisten kullern zu lassen. Sich wieder aufrichten, weiter geht’s.

Und man muss den Dreh raushaben: Zieht man am Obst, geht es nicht ab. Reißt man an der Frucht, hält man sie schließlich in der Hand, doch der grüne Ansatz ist noch am Zweig. „Sie geht leicht ab, wenn man sie etwas dreht“, verrät Márcia. Man kann es sogar hören: Löst sich die Frucht richtig vom Stiel, entsteht ein leise knallendes Geräusch. Dann rascheln die Blätter nicht gar so wild, wenn die Zweige zurückschnellen. Und die Schale hat oben in der Mitte kein Loch, so dass das zarte Fruchtfleisch im Inneren geschützt bleibt.

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Der 24 Jahre alte Darwin Kochenborger, der die Joaos Früchte zur Kooperative bringt, kennt die Arbeit mit Mandarinen seit seiner Kindheit. Mit Laster fährt er morgens auf dem Fabrikgelände zwischen Wald und Fluss vor. Ein Mitarbeiter hält hinten die Ladeklappe fest, damit die Früchte nicht alle auf einmal, sondern nach und nach auf das Förderband fallen, das sie hinauf ins Gebäude trägt. Drinnen ist es laut, ein unablässiges Stampfen kündet davon, dass der Extraktor am Arbeiten ist: Eine hohe Maschine, die die zuvor gewaschenen und von Hand sortierten zweigleisig verarbeitet: In automatischen Pressen wird nicht nur der Saft gewonnen, sondern auch das wertvolle, ätherische Öl aus den Kammern der Schale.

Werde Magazin - ManadrinenDer Mandarinensaft fließt zum Pasteurisieren in einen Nebenraum, das Öl muss in mehreren Zentrifugen noch von Wasser, Schalenrückständen und deren natürlichem Wachsgehalt getrennt werden. Am Ende tropft das kräftig orangefarbene, „rot“ genannte, Mandarinenöl in einen Stahlbehälter und wird stündlich im eigenen Labor auf Reinheit untersucht, eh es in große Fässer abgefüllt wird. Die Qualität gleicht der höchsten bei Olivenöl: nativ, also naturbelassen, da kaltgepresst. Aus einer Lasterladung von 13 Tonnen Früchten lassen sich etwa 15 Kilogramm Öl gewinnen, rund vier Wagenladungen kann die Fabrik täglich verarbeiten. An einem Tag Orangen, am anderen Mandarinen, deren Öl reichhaltiger, aber auch lieblicher duftet, da es mehr Aromastoffe enthält.

Zwei Jahre lang hat João die Produktion in der Fabrik geleitet, dann hat er diese Arbeit abgegeben. Nicht nur die Ernte wurde für Márcia zu viel, wenn er nur am Wochenende half. Er hatte sich danach gesehnt, wieder mehr in der Natur zu sein. Bei seinen Bäumen.

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Duftendes Mandarinenöl

In ihrem Ursprungsland China gelten Mandarinen bis heute als segensreich für das neue Jahr. Einst soll ihr Genuss hohen Würdenträgern des Kaisers, den Mandarin, vorbehalten gewesen sein. Auch wir schätzen sie im Winter, wenn die kleinen Zitrusfrüchte uns mit viel Vitamin C und ihrem positiv stimmenden Duft stärken. Heute wachsen Mandarinen in fast allen subtropischen Zonen der Erde sowie am Mittelmeer: Der immergrüne, bis zu sechs Meter hohe Baum mit seinen lanzettartigen Blättern trägt im Frühjahr weiße, duftende Blüten.

Je nach Sorte werden die Früchte noch grün geerntet oder leuchtend orangefarbenen bis in den Herbst hinein. Eine besonders aromatische Variante ist die brasilianische „Bergamota Montenegrina“. Vor Ort werden ihre Früchte aufwendig von Hand gepflückt und ebenso rasch wie schonend verarbeitet: Ihr ätherisches Öl sitzt in Drüsen in der Schale, wird  – ähnlich wie bei hochwertigem Olivenöl – kalt gepresst und sofort abgefüllt, um die wertvollen, flüchtigen Inhaltsstoffe zu bewahren. Für einen Liter Öl werden rund 60 Kilogramm Fruchtschalen benötigt.

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