Die Unternehmerin Lisa Jaspers möchte die Fashion Industrie verändern und setzt in der Leitung ihres Unternehmens Folkdays auf die Kraft weiblicher Führungskultur.
Die Berlinerin Lisa Jaspers kooperiert mit ihrem 2013 gegründeten Unternehmen Folkdays mit Produzenten aus aller Welt. Auf die Weise leistet sie Entwicklungszusammenarbeit der besonderen Art. Wir haben die Unternehmerin gefragt, wie politisch Unternehmen sein sollten, was gute Führung ist, und welche Macht Verbraucher
Du sagst von dir selbst, dass du eine schlechte Angestellte bist. Warum?
Lisa Jaspers: Ich konnte mich noch nie gut unterordnen. Wenn ich etwas machen sollte, was meiner Meinung nach keinen Sinn ergeben hat, ist mir das immer schon sehr schwer gefallen.
Was reizt dich an der Selbstständigkeit?
Ich liebe es, komplett selbstbestimmt zu sein. Keinen Chef zu haben, finde ich großartig. Denn das, was ich mache, tue ich nicht, weil mich irgendjemand dazu zwingt, sondern weil es mir Freude bereitet und weil es einen Sinn erfüllt. Ich frage mich keinen Tag und keine einzige Minute ‚Was mache ich hier eigentlich? ‘ Das habe ich mich in meinen vorherigen Jobs regelmäßig gefragt.
Wie bist bei der Gründung deines Unternehmens vorgegangen?
Vor Folkdays habe ich in einer Beratung gearbeitet und habe mich mit Entwicklungsthemen beschäftigt. Dort habe ich eines Tages gemerkt, dass ich nicht so richtig glücklich bin. Was mir beispielsweise sehr gefehlt hat, waren kreative Elemente. Außerdem wollte ich mich stärker auf das Thema Armutsbekämpfung fokussieren und so kam nach und nach die Idee zu Folkdays.
Wie wichtig ist dir das Zusammenspiel von Ästhetik und Nachhaltigkeit?
Ich würde mich als Mensch bezeichnen, der sehr hohe ästhetische Ansprüche hat. Die Gründung von Folkdays war dementsprechend auch mit der Beobachtung verbunden, dass es im Fair Fashion Bereich vergleichsweise wenig wirklich schöne Produkte gibt. Das hat mir total gefehlt. All diese Beobachtungen haben dazu geführt, dass ich gedanklich verschiedene Businessmodelle durchgespielt und Zielgruppen definiert habe und dass ich noch während meines Angestelltendaseins einen Businessplan geschrieben habe. Schließlich habe ich meinen Job gekündigt und 2013 gemeinsam mit Kimon Haars Folkdays gegründet.
Welchen Part nimmt Kimon bei Folkdays ein?
Kimon hat ganz viel Struktur in unser Unternehmen reingebracht. Er ist der Stratege von uns beiden und kümmert sich um Buchhaltungsprozesse und um wichtige operative Aufgaben. Als studierter Jurist und Betriebswissenschaftler hat Kimon mir sehr dabei geholfen, ein Verständnis für Finanzen zu entwickeln, Gewinn- und Verlustrechnung aufzustellen.
Was war für dich als Unternehmerin bisher die größte Herausforderung?
Eine Vorstellung davon zu entwickeln, welche Art von Unternehmen ich aufbauen und wie ich dieses führen möchte. Dafür musste ich sehr an mir arbeiten und lernen, was es bedeutet, ein Team aufzubauen und wie ich mich meinen Mitarbeitern gegenüber wertschätzend verhalte. Das war ein spannender, teils auch schmerzhafter Lernprozess. Zudem handelt es sich bei Folkdays um ein sehr schwieriges und komplexes Geschäftsmodell, da wir uns in einem hart umkämpften Markt befinden. Da wir kein großes Marketingbudget haben, sind wir darauf angewiesen, engagiert und kreativ zu sein. Das ist zwar grundsätzlich toll. Aber manchmal wünschte ich mir, wir hätten einen finanziellen Puffer. Was viele unterschätzen, ist die Problematik der Kapitalbindung in Produkten: Wir haben aktuell zwar Ware im Verkaufswert von etwa 100.000 Euro auf Lager. Aber das ist Kapital, das wir nicht für andere Dinge und Maßnahmen nutzen können. Genau das ist eine ständige Herausforderung.
Wie viele Mitarbeiter habt ihr derzeit und wonach suchst du diese aus?
Aktuell haben wir sieben Mitarbeiterinnen. Mir ist wichtiger, dass unsere Mitarbeiter verstehen, was wir hier machen und dass sie große Lust darauf haben, als dass sie besondere Fähigkeiten mitbringen. Vieles von dem, was wir hier machen, kann man eigentlich relativ schnell lernen.
Was macht eine gute Führungskraft aus?
Ich schreibe gerade gemeinsam mit Naomi Ryland an einem Buch, das wir über Crowdfunding finanziert haben: ‚Starting a Revolution – What we can learn from female entrepreneurs about the future of business‘. Darin geht es vor allem darum, was man in puncto alternative Unternehmensführung lernen kann. Für unser Buch haben wir Interviews mit erfolgreichen Unternehmerinnen aus aller Welt geführt, die versuchen, Dinge in ihren Unternehmen anders anzugehen. Diese Unternehmerinnen legen großen Wert auf eine vertrauensvolle Atmosphäre und darauf, dass die Angestellten gut miteinander arbeiten können, Spaß an ihrer Arbeit haben und sich persönlich weiterentwickeln können. Es ist also enorm wichtig, sich als Führungskraft zu überlegen, welche Art von Führung einem liegt.
Welche Art von Führung liegt dir am meisten?
Ich selbst versuche möglichst viele operative Aufgaben abzugeben. Außerdem versuche ich eine Stimmung von Wertschätzung im Team zu kreieren und meine Mitarbeiter zu inspirieren. Was allerdings extrem wichtig ist, um so eine Rolle einnehmen zu können, ist eine gute Grundstruktur – die wir Kimon sei Dank haben. Bei uns gibt es für alle Bereiche Leitfäden. Alle, die hier arbeiten, haben klar definierte Ziele, so dass sie nachvollziehen können, warum sie machen, was sie machen. Und jeder weiß, was er zu tun hat. Nur wenn die Strukturen stimmen, kann man sich auf die schönen Sachen konzentrieren, wie eben inspirierend statt operativ zu agieren. Wenig Führung ist nicht gleichbedeutend mit wenig Arbeit, sondern erfordert, in bestimmte Bereiche viel Arbeit zu investieren, um sich an anderen Stellen zurückziehen zu können.
Was du im Zuge deiner Buch-Recherche gelernt?
Zum einen habe ich gelernt, dass man immer erst an seinen eigenen Themen arbeiten muss, bevor man diese im Unternehmen umsetzen kann. Wenn ich es nicht schaffe, mir Fehler zu verzeihen und mir selbst Wertschätzung entgegenzubringen, dann wird mir dies auch nicht im Unternehmen gelingen. Ich werde in meinem Verhalten niemals authentisch ein. Das zweite wichtige Learning ist, dass es extrem wichtig ist, eine Übereinstimmung zu finden, zwischen dem, was man selbst will, und dem was die Mitarbeiter wollen. Das heißt, wenn man bewusst auf Hierarchien verzichten möchte, dann sollte man Mitarbeiter finden, die ebenfalls keine Hierarchien präferieren.
Was denkst du über die vielen „New Work“-Theorien, also zukunftsweisende und sinnstiftende Arbeit?
Ich finde viele dieser Theorien sehr spannend, verstehe sie jedoch nur als Inspiration. Kürzlich habe ich mich mit einer Coachin zu diesem Thema unterhalten. Ihr zufolge sorgen Strukturveränderungen in Unternehmen zwangsläufig für Unsicherheit. Das heißt, diese Unsicherheiten müssen an anderer Stelle kompensiert werden. Wenn einem Unternehmen dieser Ausgleich nicht gelingt, beispielsweise in Form einer guten Feedbackkultur oder einer starken Führungspersönlichkeit, werden die Mitarbeiter zwangsläufig unglücklich.
Inwiefern führen Frauen Unternehmen anders als Männer?
Wir alle sind männerdominierte Machtstrukturen gewohnt und haben gewisse Sätze verinnerlicht wie ‚man muss hart an sich arbeiten, Feedback muss vor allem kritisch sein‘. Eine Konkurrenzkultur, die viele Frauen – auch ich – lange nicht in Frage gestellt haben. Inzwischen versuchen jedoch immer mehr Frauen und auch Männer neue Arbeitsmodelle zu entwickeln, da sie mit den jetzigen Strukturen unglücklich sind.
Was war deine bisher beste Geschäftsidee?
Ich würde mich als geborene Netzwerkerin bezeichnen und bin deshalb sehr glücklich über unsere ‚Inspired by‘-Linie. Dabei handelt es sich um eine Zusammenarbeit mit spannenden Influencerinnen wie etwa zuletzt mit Stella von Senger oder Melodie Michelberger. Von solch einer Zusammenarbeit profitieren alle: Folkdays bekommt eine größere Reichweite, tolles Marketing und schöne Bilder. Die Influencer wiederum werden am Umsatz beteiligt. Solche Kooperationen machen mir großen Spaß. Auch ‚Folkdays & friends‘, ein Zusammenschluss mit anderen nachhaltigen Labels, finde ich wunderbar. Mir gefallen der Gedanke und das Nutzen gemeinsamer Synergien. Zu Weihnachten verschicken wir beispielsweise einen gemeinsamen ‚Gift Guide‘ an unsere Kunden und teilen uns mit den anderen Labels die Druckkosten. So etwas finde ich sehr sinnig und zukunftsweisend.
Wie wichtig sind soziale Medien für deinen Erfolg?
Extrem wichtig. Instagram ist aktuell der wichtigste Kommunikations- und Marketingkanal, um neue Kunden zu gewinnen. Und natürlich die Presse. Das sind die beiden wichtigsten Kanäle für uns.
Was bedeutet der Begriff „fair“ für dich?
Ich versuche Lösungen zu finden, die für jeden Einzelnen gut passen. Und natürlich steht das Thema Bezahlung an oberster Stelle. Sprich, dass die Mitarbeiter für hochwertige, gute Produkte auch einen guten Preis bekommen. Zudem ist mir wichtig, dass wir einen respektvollen Umgang miteinander pflegen. Ich versuche jeden so behandeln, wie ich in der Rolle auch behandelt werden möchte.
Du arbeitest unter anderem mit Kunsthandwerkern aus Kambodscha, Thailand, Indien und Südamerika zusammen. Wie findest du diese besonderen Betriebe und wie einfach ist es, diese von einer Zusammenarbeit zu überzeugen?
Am Anfang bin ich viel gereist, habe die Betriebe vor Ort ausfindig gemacht und bin Empfehlungen gefolgt. Aber natürlich habe ich im Vorfeld viel recherchiert, etwa über das Netzwerk World Fair Trade Organization (WFTO). Dort sind sehr viele faire Handelsorganisationen gelistet. Überzeugen musste ich ehrlich gesagt noch niemanden, weil sich alle sehr freuen, wenn ihre Produkte auch in Deutschland verkauft werden. Ihnen ist bewusst, dass wir eine ganz andere Zielgruppe haben, als sie es gewohnt sind und dass wir dementsprechend Anregungen zu den Designs geben.
2018 hast du anlässlich des fünften Jahrestages von Rana Plaza eine Petition auf Change.org erstellt. Seitdem haben über 112.000 Menschen die Petition für ein Gesetz für eine unternehmerische Sorgfaltspflicht unterschrieben. Welche konkreten Ziele verfolgst du mit dieser Petition?
Ich habe die Petition im vergangenen Jahr gestartet, weil mich der Diskurs über Fair Fashion gestört hat, da es in vielen Diskussionen immer nur darum ging, Konsumenten oder Unternehmen zu kritisieren. Da der Fair Fashion Markt derzeit noch immer einen extrem geringen Anteil am gesamten Textilmarkt einnimmt, nämlich weniger als ein Prozent, wird es höchste Zeit, dass massive Veränderungen eintreten. Schließlich geht es um Menschenrechte und Menschenleben. Derzeit passiert auf politischer Ebene viel, allerdings herrscht zugleich große Uneinigkeit. Deshalb muss dringend ein Gesetz her. Unser Wunsch ist es, dass Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet werden, die Sorgfaltspflicht für ihre Mitarbeiter international zu gewährleisten, so wie bei uns in Deutschland üblich. Falls Unternehmen diese Sorgfaltspflicht verletzen, müssen sie dafür belangt werden können. Da die vergangene Petition sehr viel Resonanz gefunden hat, wiederholen wir das Ganze in diesem Jahr mit prominenter Unterstützung von engagierten Menschen wie Maddie von Dariadaria, Melodie Michelberger und Mary Scherpe. Großartig wären eine Millionen Unterschriften!
Welche Macht haben die Verbraucher?
Verbraucher sollten sich immer wieder fragen ‚Brauche ich das alles? Warum kaufe ich eigentlich so viel? Versuche ich damit vielleicht eine Leerstelle zu füllen, die gar nichts mit Kleidung zu hat?‘ Wir sollten ganz klar weniger konsumieren und auf Qualität setzen, anstatt immer wieder neue Sachen zu kaufen. Der massive Überkonsum ist ein großes Problem.
Viele Verbraucher sind derzeit allerdings sehr verunsichert …
Ja, die aktuelle Lage ist sehr komplex und unübersichtlich für Konsumenten. Deshalb ist mir ein Gesetz so wichtig!
Du wurdest kürzlich als Modeaktivistin bezeichnet. Wie siehst du dich selbst?
Mir gefällt der Begriff eigentlich ziemlich gut. Die Zusatzbezeichnung ‚Mode’ ist für mich zwar immer ein wenig befremdlich, da ich ja eigentlich aus dem Kontext Politik und Entwicklungsökonomie komme. Aber Aktivistin finde ich gut, weil es bedeutet, dass man aktiv ist und Veränderung erzeugen möchte. Ich betreibe Folkdays ja nicht, weil ich ein Fashion Label haben möchte, sondern weil unser Tun jede Menge positive Veränderungen für Menschen bringen kann, die andernfalls vielleicht nicht so einfach aus der Armut gefunden hätten. Mir macht es großen Spaß, politisch zu sein und manchmal den Finger auf die Wunde zu legen.
Was erfüllt dich außerdem noch mit Freude?
Ich habe grundsätzlich sehr viel Freude an meiner Arbeit. Außerdem bin ich ein sehr sozialer Mensch und verbringe deshalb sehr gerne Zeit mit Freunden. Und mir macht es ehrlich gesagt sehr viel Spaß Mama zu sein. Das hätte ich vorher gar nicht gedacht, da ich nicht so der klassische Muttertyp bin.
Seit 2017 bist du Mutter eines Sohnes und hast im April dein zweites Kind bekommen. Wie gelingt es dir, Job und Familie zu vereinbaren?
Der allerwichtigste Punkt ist, dass mein Mann und ich uns die Verantwortung als gleichberechtigte Partner teilen. Das haben wir relativ früh und auch sehr explizit im Vorfeld besprochen. Wir beide teilen uns die Betreuung tatsächlich 50 zu 50 auf, denn es gibt keinen Grund, warum ich in der Erziehung eine zentralere Rolle einnehmen sollte als er, nur weil ich eine Frau bin. Den eigenen Job zu lieben und dafür zu kämpfen, ihn mit der gleichen Liebe weiterführen zu können, ist wichtig, um gleichberechtigt leben und arbeiten zu können. Man muss allerdings dazu sagen, dass wir das große Glück haben, dass Nico ebenfalls selbstständig ist und dass meine Eltern in der Nähe wohnen.
Wenn du einen Wunsch frei hättest, wie würde dieser lauten?
Ich würde mir wünschen, dass wir alle ein bisschen netter zueinander sind. Ich bin eine zutiefst überzeugte Humanistin. Ich träume von einer Welt, in der wir besser zu uns und zu unserer Umwelt sind. Und von einer Welt, in der Menschen glücklich mit ihrer Arbeit sind und erfüllt sind von dem, mit dem sie einen Großteil ihrer Zeit verbringen.
Welche Bücher, Webseiten oder Podcasts zum Thema Fairer Konsum kannst du empfehlen?
Ich bin ein großer Fan von Maddie von Dariadaria, da ich finde, dass sie eine gute und sehr differenzierte Art hat, sich mit fairen und nachhaltigen Themen auseinanderzusetzen. Außerdem ist das Buch ‚Einfach anziehend‘ von Alf-Tobias Zahn und Kirsten Brodde super für alle, die sich über ökofaire Modelabels informieren möchten.
Zur Person
Lisa Jaspers studierte an der London School of Economics Entwicklungsökonomie und war als Beraterin für Oxfam tätig, bevor Fair Fashion Label Folkdays gründete. Lisa ist bestrebt den Fashion-Markt grundlegend zu ändern und faire Strukturen zu schaffen. Deshalb stellt sie zum sechsten Jahrestag von Rana Plaza* zum zweiten Mal eine Petition auf Change.org auf. Zudem erscheint im Juli ihr Buch „Starting a Revolution – What we can learn from female entrepreneurs about the future of business“, das sie gemeinsam mit Naomi Ryland geschrieben hat.
*Bei dem Gebäudeeinsturz der Textilfabrik am 24. April 2013 in Bangladesch wurden 1135 Menschen getötet und 2438 verletzt