Der Philosoph Heinz Bude sagt: Optimismus ist wie Resignation. Wenn wir verantwortlich handeln wollen, brauchen wir vor allem Hoffnung.
Stimmungen prägen unseren Alltag. Aber woher kommen sie eigentlich? Erzeugen wir sie selbst oder sind wir ihnen ausgeliefert? Der Philosoph Heinz Bude macht deutlich, dass wir ihnen stärker begegnen können, als wir oft denken.
Herr Bude, mit Blick auf das aktuelle Weltgeschehen gewinnt man den Eindruck, dass die Stimmung derzeitig keine besonders gute ist. Wie kann man dennoch mit guter Stimmung durchs Leben gehen?
Heinz Bude Dabei kommt es gar nicht so sehr auf die Stimmungen an, die um einen herum herrschen, sondern viel mehr darauf, wie man sich zu diesen verhält. Dafür kann man das in sich finden, was die Psychologie die „Bereitschaft zur Selbstwirksamkeit“ nennt. Die Intuition also, dass ich etwas verändern kann. Entscheidend ist, dass man sich selbst auf seine Stimmungen einlässt und nicht an ihnen vorbei handelt. Denn das Spannende an unseren Gestimmtheiten ist, dass wir sie wie objektive Gegebenheiten vorfinden, zu denen wir uns auf die ein oder andere Weise verhalten müssen.
Wir erzeugen unsere Stimmungen also gar nicht selbst, sondern finden uns unvermittelt in ihnen wieder?
Heinz Bude So ist es. Jeder kennt die Situation, morgens seine Schlüssel nicht zu finden und das dadurch hervorgerufene Gefühl: „Wozu mache ich all das hier eigentlich?“ Diese Stimmung kommt aus dem Nichts und ist einfach da, ohne dass man sie willentlich hergestellt hätte. Der Philosoph Martin Heidegger spricht in diesem Zuge vom „Geworfensein“. Wir sind geworfen ins Sein – und ich würde auch sagen: geworfen in unsere Gestimmtheiten.
Sind wir unseren Stimmungen ausgeliefert?
Heinz Bude Ich würde das unbedingt positiver formulieren. Stimmungen sind eine narzisstischer Bremse, indem sie uns zeigen, dass wir nicht alles selbst bestimmen können und, was noch wichtiger ist, nicht alles in der Hand haben müssen. Diese Art von existenzieller Reflexion vorzunehmen und sich diesem Sich-Stimmen-zur-Stimmung hinzugeben, ist eine der grundlegenden Voraussetzungen, um zu sich selbst zu kommen.
In Ihrem Buch „Das Gefühl der Welt“ (Hanser, 2016) sprechen Sie nicht nur von den persönlichen Gestimmtheiten, sondern auch von gesellschaftlichen Stimmungen. Wie muss man sich deren Entstehung vorstellen?
Heinz Bude Gesellschaftliche Stimmungen werden in erster Linie von Medien erzeugt, was man auch sehr gut an der Begriffsgeschichte des Wortes „Stimmung“ sehen kann. Meinte es im 18. und 19. Jahrhundert ausschließlich die Gestimmtheit eines Musikinstrumentes, weitete sich seine Bedeutung zu Beginn des 20. Jahrhunderts extrem aus. Plötzlich wurde beispielsweise von „der Stimmung an der Börse“ und der „rebellischen Stimmung einer Nation“ gesprochen. Die Ursache dafür findet man in den damals aufkommenden Stimmungsmedien und ganz konkret in den Boulevardzeitungen. Diese haben erstmals das hergestellt, was man Zeitgenossenschaft nennt. Da man die Zeitungen auf der Straße kaufen konnte, war eine Neuigkeit nicht mehr nur für den Einzelnen relevant, sondern man konnte sich nun mit anderen darüber austauschen, weil diese zum selben Zeitpunkt das gleiche lasen. Die gesellschaftlichen Stimmungen waren in der Welt.
Besitzt das Internet bei der Erzeugung von Stimmungen also heute die Funktion, die zum Beginn des 20. Jahrhunderts die Boulevardzeitungen inne hatten?
Heinz Bude Wie durch Boulevardzeitungen wird heute durch das Internet deutlich, dass gesellschaftliche Stimmungen stets hergestellt werden und es somit auch immer eine herrschende Stimmung gibt. Doch haben nie alle dieselbe Stimmung, sondern es gibt meist eine Gruppe, die die herrschende Stimmung vertritt und eine andere, die eher das Gefühl hat, in der beherrschten Position zu sein und sich auf die Lippen beißen zu müssen. Letztere befindet sich – wie Elisabeth Noelle-Neumann es ausdrückte – in der „Schweigespirale“. Interessant wird es dann, wenn diese Konstellation sich von der einen auf die nächste Sekunde ändert und auf einmal jene das Wort erheben, die zuvor still waren. Dann „kippt“ die Stimmung wortwörtlich, weil sich langfristige Entwicklungen in Stimmungen abbilden und dann sehr unvermittelt zum Vorschein kommen können.
Welche Stimmung nehmen Sie in der westlichen Welt aktuell als besonders präsent wahr?
Heinz Bude Wenn ich das richtig spüren, hegen immer mehr Menschen den Wunsch, an etwas glauben zu können, das – metaphysisch gesprochen – über sie hinausgeht. Es gibt eine gewisse Ermüdung an dem narzisstischen Bestehen auf die eigenen Vorlieben. Gleichzeitig will man aber natürlich auch nicht naiv sein, die eigene Autonomie soll trotz dieser Hoffnung nach dem Größeren bewahrt werden.
Können Sie verdeutlichen, was dieses „Größere“ wäre?
Heinz Bude Lassen sie mich das an einem Beispiel festmachen: Wenn es jetzt wieder einen Politiker wie Barack Obama gäbe, der einfach sagte „Yes, we can!“, würden viele Leute vermutlich abwinken und sich fragen, was der Quatsch soll. Das Größere muss heute intimeren Charakter haben, es muss uns existenziell berühren und darf nicht einfach nur ein allgemeiner Aufruf gegen die Wirklichkeit sein. Im Alltäglichen wie auch im Politischen.
Wie verleihen Sie denn Ihrer eigenen Stimmung am liebsten Ausdruck?
Heinz Bude Da fallen mir zwei Tätigkeiten ein. Zum einen ist es natürlich das Schreiben. Besonders das Verfassen meines letzten Buches „Adorno für Ruinenkinder“ (Hanser, 2018) war eine sehr intensive Stimmungserfahrung, weil ich gemerkt habe, dass es eben nicht nur ein Buch über das Phänomen 1968 ist, sondern ich mich in stärkster Weise zum Inhalt in Beziehung gesetzt habe. Und zum anderen ist Religion eine sehr bereichernde Erfahrung, weil sie für mich eine Auseinandersetzung mit der Unverfügbarkeit darstellt. Wenn man sich durch bestimmte rituelle Formen immer wieder in Erinnerung ruft, dass die eigene Existenz sich zu weiten Teilen außerhalb dessen befindet, was man beeinflussen kann, dann ist das eine gute Art und Weise, sich zu seinen Gestimmtheiten zu verhalten.
Das klingt sehr nach dem stoischen Ideal der Gelassenheit im Sinne von: „Was ich nicht ändern kann, dem sollte ich auch keine Aufmerksamkeit schenken“.
Heinz Bude Zu einem Teil bestimmt. Gelassenheit alleine reicht aber nicht aus. Ich würde die Religiosität in der Dialektik von Gelassenheit und Entschlossenheit sehen. Auch das ist wieder ein Gedanke, der sich bei Heidegger findet. Man muss entschlossen sein, sich etwas auszusetzen, was über einen hinausgeht, um die Gelassenheit gegenüber den Geschehnissen zu gewinnen. Ansonsten wird Gelassenheit zum bloßen Optimismus. Und Optimismus ist für mich nun wirklich das schlimmste Prinzip von allen.
Das müssen sie erklären.
Heinz Bude Ganz einfach: Der Optimist hat keine Hoffnungen. Optimismus ist eine mechanische Reaktion auf die Widrigkeiten der Welt. Der Optimist ist also ein hoffnungsloser Mensch und der Optimismus in gewisser Weise nur die andere Seite der bedingungslosen Resignation. In Bezug auf die Welt sollte man weder Optimist noch Pessimist sein, sondern viel eher die Hoffnung annehmen, dass die Welt nicht so bleiben muss, wie sie ist. Findet man sich in dieser Stimmung wieder und verhält sich in produktiver Weise zu ihr, kann das der Ausgangspunkt für ein wohlgestimmtes Leben sein.
Zur Person
Heinz Bude ist Professor für Makrosoziologie an der Uni Kassel. In „das Gefühl der Welt. Über die Macht von Stimmungen“ durchleuchtet er das komplexe Gefüge von Emotionen und Politik.