Mit ihrem 2016 gegründeten Label Bridge & Tunnel verbinden die beiden Hamburgerinnen Slow Fashion, Upcycling, soziales Engagement und interkulturelle Zusammenarbeit.
In ihrer Wilhelmsburger Werkstatt „Stoffdeck“ kreieren die gelernte Textildesignerin Hanna Charlotte Erhorn und die promovierte Kulturwissenschaftlerin Constanze Klotz gemeinsam mit Geflüchteten Design aus Materialüberschüssen und Alttextilien. Wir haben uns mit Constanze Klotz darüber unterhalten, wie die Kombination aus sozialem Engagement und Business gelingen kann. Und wie Arbeit bei jedem Menschen auch immer Anerkennung schafft.
Der Name eures Labels Bridge & Tunnel bezieht sich nicht nur auf die Insellage eures Produktionsortes in Wilhelmsburg, ihr möchtet auch Brücken für gesellschaftlich benachteiligte Menschen und Geflüchtete in den deutschen Arbeitsmarkt bauen. War euch soziales Engagement immer schon wichtig?
Constanze Klotz Unser Label wäre ohne Wilhelmsburg nie entstanden. Hier liegen Chancen und Probleme eng beieinander. Einerseits sind auf der Insel überproportional viele Langzeitarbeitslose zu Hause. Gleichzeitig ist es ein sehr junger, internationaler Stadtteil, reich an verschiedenen Kulturen und Lebensentwürfen. Für uns ein Ort, der mehr Chancen als Probleme bereithält. Bevor wir das Label gegründet haben, hatte ich schon einige Jahre in Wilhelmsburg gearbeitet und Lotte war mit ihrer Familie auf die Insel gezogen. Dadurch waren wir beide bereits sehr für Themen wie Langzeitarbeitslosigkeit, Interkulturalität oder die Frage, wie verschiedene Kulturen miteinander zusammenleben, sensibilisiert. Dass ein Label, das an diesem Ort entsteht, unweigerlich soziale Themen aufgreift, war nur folgerichtig.
Wie kam es zu der Idee, soziales Engagement, Upcycling und Modedesign miteinander zu verknüpfen?
Constanze Klotz Die Idee kam vielmehr zu uns. Wir hatten 2015 von einem deutsch-türkischen Nähclub gehört, der sich einmal wöchentlich in einer Moschee traf. Wir haben die Frauen dann spontan eingeladen, ihren Nähtreff in unserer Werkstatt zu machen. Als wir den Näherinnen bei ihrer Arbeit zusahen, kamen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus. Fast alle anwesenden Frauen waren handwerklich begabt. Die wenigsten von ihnen hatten eine Ausbildung zur Schneiderin oder Näherin absolviert, sondern waren vielmehr seit Jahren arbeitslos. Und uns wurde bewusst, was für ein großes Glück es ist, Arbeit zu haben. Wie privilegiert es ist, zu sagen, „Arbeit nervt“.
Weil wir zeigen wollten, welche Talente Menschen losgelöst von Zeugnissen mitbringen, haben wir unser soziales Modelabel Bridge & Tunnel gegründet. Der Fokus auf Upcycling war eher zufällig, da wir wussten, welche Menge an gebrauchten Jeans bei Kleiderkammern auflaufen. Neben der sozialen Nachhaltigkeit war dies für uns eine tolle Möglichkeit, auch ökologisch nachhaltig aufzutreten.
Was habt ihr in den vergangenen Jahren über Menschen und Mitmenschlichkeit gelernt?
Constanze Klotz Dass es ein unfassbares Privileg unserer Generation ist, über Work-Life-Balance zu klagen. Denn wer keine Arbeit hat, hat nicht nur keine Arbeit, sondern vieles mehr ebenfalls nicht. Arbeit schafft Anerkennung, für unsere NäherInnen selbst, aber auch innerhalb ihrer Familien. Wenn Menschen lange Jahre keine Arbeit haben, finden sie in unserer Gesellschaft kaum noch statt, oft wird eine gewaltige Stigmatisierungsspirale in Gang gesetzt. Über die Anerkennung des eigenen Tuns fangen viele Mitarbeiterinnen wieder an, sich um sich selbst zu kümmern. Und geben das Gefühl der Wertschätzung an ihr Umfeld weiter.
Was habt ihr im Zuge dieser intensiven Begegnungen und Zusammenarbeit über euch selbst gelernt?
Constanze Klotz Dass es nie zu spät ist, sich gesellschaftlich zu engagieren.
Eurer Arbeitsumfang geht weit über die eines herkömmlichen Modeunternehmens hinaus: Ihr leistet Hilfe bei Behördengängen und beim Klären von Rechtsfragen oder organisiert Sprachcoachings. Wie gelingt es euch, bei alldem den Überblick zu behalten und „nebenbei“ auch noch ein Business zu führen?
Constanze Klotz Die Schwierigkeit ist, dass wir mit unserem Label – das wir als Social Business verstehen – zwei Unternehmen in einem führen. Wir wollen gesellschaftlich wirken. Und vieles, was in der Modeindustrie Usus ist, aushebeln: Zum Beispiel, indem wir lokal inmitten von Hamburg produzieren, statt in Fernost. Mit der Fertigung aus gebrauchten Jeans, also wortwörtlich vom Hosenbein, nicht vom Meter. Oder mit tariflichen Löhnen für vielleicht unausgebildete, aber absolut talentierte Menschen. Das sind alles Themen, die uns umtreiben und die wir aus tiefster Überzeugung und mit viel Leidenschaft verfolgen. Die, verglichen mit einer konventionellen Produktion, aber auch sehr kostspielig sind, die wir aber genauso vermarkten müssen wie herkömmliche Marken auch.
Uns hilft es, dass wir zu zweit sind und uns gegenseitig immer wieder daran erinnern, dass die Kombination aus Social und Business sehr wohl funktioniert. Und natürlich klare Priorisierungen, die wir uns vorgeben und die unser Tun leiten.
Neben eurem eigenen Label unterstützt ihr außerdem auch andere Labels dabei, nachhaltig zu produzieren. Wie wichtig ist der Gedanke des Teilens und Netzwerkens?
Constanze Klotz Wir finden es großartig, zu teilen. Natürlich müssen wir unsere Denim Designs verkaufen. Es geht aber vor allem darum, die Modeindustrie und das Denken darüber zu verändern. Und das können wir nicht allein. Insofern freuen wir uns immer riesig über alle Mitstreiter und vernetzen uns gerne.
Ihr kooperiert unter anderem mit der Kleiderkammer Wilhelmsburg und Hanseatic Help und erhaltet Materialspenden. Woher bezieht ihr eure Materialien außerdem?
Constanze Klotz Wir sind für die Umsetzung unserer Denim Produkte auf einen steten Materialfluss angewiesen. Seit unserer Labelgründung erhalten wir von vielen Quellen Jeans, die für eine weitere Verwendung zu verschlissen sind. Aktuell von unterschiedlichen Kleiderkammern, Kleiderspenden wie etwa Hanseatic Help sowie von Großunternehmen, die ihre Denim-Restanten einer sinnvollen Nutzung zuführen wollen. Täglich erreichen uns zudem Pakete von Privatpersonen mit ihren ausgedienten Denim-Lieblingen – Liebesbrief inkusive. Zusätzlich erhalten wir immer häufiger Pre-Consumerwaste. Das sind Produktionsüberschüsse, die durch Verschnitt oder Musterstoffe anfallen, und teilweise 15 % von einer Produktion ausmachen.
Warum habt ihr euch auf das Material Denim fokussiert?
Constanze Klotz Denim ist nicht nur wahnsinnig vielfältig, sondern auch sehr robust. Nach einigen Experimenten, bei denen wir im Patchwork-Verfahren die unversehrten Teile von Used Jeans weiterverarbeitet hatten, war uns schnell klar, dass sich tatsächlich Kollektionsideen aus abgelegten Jeans entwickeln lassen. Patchwork ist noch immer unser wichtigstes Produktionsverfahren. Alle unsere Designs haben deshalb einen geometrischen, minimalistischen Look, der sich aus dem reduzierten Patchwork speist.
Lotte ist bei euch die Expertin für Design und Produktion, du bist für Kommunikation, Fundraising und Kooperationen zuständig. Ihr selbst nennt euch „Innen- und Außenministerin“. Wie teilt ihr eure Kompetenzen auf?
Constanze Klotz Wir haben uns gemäß unserer Neigungen und Talente ganz automatisch so aufgeteilt. Dabei aber auch gemerkt, dass wir uns viele Themen gut aneignen konnten. Lotte hat sich beispielsweise Programmieren beigebracht, um unsere Website selbst zu bauen. Ich habe vorher noch nie Fundraising gemacht, mache das jetzt aber auch mit großer Schaffensfreude.
Was ist das Geheimnis eurer langjährigen fruchtbaren Zusammenarbeit?Constanze Klotz Vermutlich, dass wir vorher nicht befreundet waren. Wir kannten uns flüchtig von einer Party und haben uns über unsere Werkstatt Stoffdeck kennengelernt. Zu Beginn waren wir also erst mal Kolleginnen. Mittlerweile sind wir enge Freundinnen und scherzen manchmal, dass wir uns ein Gehirn teilen.
Wie viele Mitarbeiter seid ihr inzwischen?
Constanze Klotz In unserem Team arbeiten zwölf Menschen aus sechs verschiedenen Ländern, die allesamt verschiedene gesellschaftliche Handicaps haben, weshalb sie auf dem ersten Arbeitsmarkt keinen Job finden konnten. Dazu gehören fehlende Qualifikationen, eine Fluchtgeschichte, eine lange Arbeitslosigkeit, ein zu hohes Alter oder physische Handicaps wie Gehörlosigkeit.
Was waren und sind die größten Herausforderungen?
Constanze Klotz Zu vermitteln, dass Fair Fashion nicht zu teuer, sondern herkömmliche Mode zu günstig ist. Und unser kaum existentes Marketingbudget.
Bridge & Tunnel-Erzeugnisse werden sowohl in zahlreichen deutschen Läden als auch in Österreich und Dänemark vertrieben. Wie werden die Stores auf euch aufmerksam?
Constanze Klotz Das fragen wir uns manchmal auch. Aber es finden immer wieder Stores zu uns und wir versuchen natürlich auch, viele direkt anzusprechen. Anfang des Jahres waren wir erstmals mit einem Stand auf der nachhaltigen Modemesse Neonyt in Berlin dabei.
Ist es heutzutage aufgrund der hohen Margen nicht viel schwieriger, im Offline-Geschäft zu bestehen? Was sind die Vor- und Nachteile gegenüber dem Online-Verkauf?
Constanze Klotz Unser Onlineshop ist noch immer unsere wichtigste Visitenkarte. Denn durch unsere Fertigung – lokal, nachhaltig und fair – entstehen bei uns bereits relativ hohe Produktionskosten, die die Produkte durch eine zusätzliche Marge für den Einzelhandel teilweise sehr teuer machen. Gleichwohl haben wir durch die Optimierung von Produktionsprozessen mittlerweile einen Großteil der Produkte so entwickelt, dass sie einen fairen Endpreis und eine vernünftige Marge für den Einzelhandel haben.
Liebäugelt ihr in Zukunft mit eigenen Brigde & Tunnel Flagship Stores?
Constanze Klotz Auf gar keinen Fall. Wir finden es viel spannender, in bestehenden Shops dabei zu sein und uns in Gesellschaft weiterer toller fairer Brands zu begeben.
Für euer soziales Engagement wurdet ihr in der Vergangenheit mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Worüber habt ihr euch am meisten gefreut?
Constanze Klotz In unserem Job merken wir jeden Tag aufs Neue, wie sehr es unser Team prägt, endlich Arbeit zu haben. Dass dadurch auch eine Wertschätzung der eigenen Person stattfindet, spürt man. Und sieht man daran, dass sich unsere MitarbeiterInnen wieder mehr um sich selbst kümmern. Unsere indische Näherin hatte sich einen Tag besonders hübsch gemacht und ich hatte ihr ein Kompliment zu ihren Ohrringen gemacht. Daraufhin dauerte es keine zwei Sekunden, bis sie mir ihre Ohrringe in die Hand drückte. Sie wollte sie mir schenken, weil sie so stolz ist, bei uns zu arbeiten. Sie wollte uns damit ihre Wertschätzung für ihre Chance bei uns ausdrücken. Dieser Moment ist uns viel näher gegangen, als uns ein Preis je gehen kann. Auch, wenn die Auszeichnungen uns natürlich stolz machen.
Was war und ist eure größte Motivation?
Constanze Klotz Zu zeigen, dass Soziales und Unternehmertum wahrlich und ernsthaft zusammengehen.
Was sollte die Politik tun?
Constanze Klotz Die Politik sollte Gesetze erlassen, die eine faire und ökologisch nachhaltige Modeproduktion einfordern. Stattdessen fordert sie die Modeindustrie zu Selbstregulierung auf, so ein Quatsch. Das ist definitiv eine Unterlassung von politischer Verantwortung. Anderenfalls gehen viele Unternehmen diesen Weg nur sehr langsam und zurückhaltend, viele gar nicht. Stattdessen sollten Strafen fällig werden, wenn Unternehmen entlang der textilen Kette Menschenrechte nicht achten oder Umweltsünden begehen.
Wovon träumst du?
Constanze Klotz Dass es Bridge & Tunnel in fünf Jahren immer noch gibt und dass wir beweisen konnten, dass es sich lohnt, gesellschaftlich zu wirtschaften.
Zur Person
Die beiden Bridge & Tunnel-Gründerinnen Constanze Klotz und Hanna Charlotte Erhorn ergänzen sich perfekt: Lotte ist diplomierte Textildesignerin und damit die Expertin für Design und Produktion. Conny wiederum ist promovierte Kulturwissenschaftlerin und befasst sich mit Kommunikation, Fundraising und Kooperationen. Die engagierten Unternehmerinnen leben im multikulturell geprägtem Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg. Für beide war schnell klar, dass viele Menschen, die aus anderen Ländern zu uns nach Deutschland kommen, kreative Fähigkeiten und Fertigkeiten mitbringen – jenseits von Zeugnissen und Diploma. Deshalb haben sie es sich zur Aufgabe gemacht, dieses enorme Kreativpotential aktiv zu fördern. Gleichzeitig verhelfen sie wertvollen Materialressourcen zu einem neuen Leben. Ihre Philosophie lautet: „Wer arbeitet, lernt Menschen kennen. Wer arbeitet, fühlt sich gebraucht.“
Bildquellen
Baroquine Photography (Home)
Olivia Lehmann (Strandtasche)
Daniel Müller (Werkstatt)
Andrea Heinsohn Photography (Materialien)
Christian Schulz (Team)
Sina Görtz (Gründerinnen schwarz-weiß)
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