Die Gründerin Guya Merkle vom Schmucklabel Vieri Fine Jewellery

„Wir sollten handeln und behandeln, wie wir selbst behandelt werden möchten“

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Mit ihrem Label Vieri Fine Jewellery möchte die Berlinerin Guya Merkle Schmuck nachhaltiger machen. Die größte Herausforderung dabei: den Goldhandel ethischer zu machen.

Wir haben mit der Berliner Unternehmerin Guya Merkle von dem Label Vieri Fine Jewellery über die Bedeutung von fairem und nachhaltig produziertem Schmuck gesprochen. Darüber, was „faires Gold“ eigentlich bedeutet, warum Ethik und Luxus längst kein Widerspruch mehr sein müssen und worauf man beim Schmuckkauf achten sollte.

 

Nach dem plötzlichen Tod deines Vaters hast du dich im Alter von 21 Jahren dazu entschlossen, das Familienunternehmen zu übernehmen und komplett neu auszurichten. Wie kam es zum Entschluss und was war dir dabei besonders wichtig?
Guya Merkle
 Ich bin in meine neue Aufgabe, ein Familienunternehmen weiterzuführen, hineinkatapultiert worden. Das fühlte sich anfangs gar nicht richtig an und ich war mit dieser Aufgabe mehr als überfordert. Als dann auch noch der wirtschaftliche Erfolg wegblieb, war das Unglück perfekt.

Eine goldene Halskette von Vieri Fine Jewellery hängt vor einem Pflanzenblatt

Wie ging es weiter?
Guya Merkle Ich wollte nicht einfach so aufgeben. Also entschloss ich mich dazu, mehr über die ganze Industrie zu erfahren und ging nach London ans Gemological Institute of America. Dort lernte ich alles, was man über Schmuck nur lernen kann. Als wir uns in einem Lernmodul speziell mit den Rohstoffen und deren Gewinnung auseinandersetzten, zog sich beim Anblick einer Goldmine und deren Arbeiter alles in mir zusammen: Das sah so gar nicht nach dem aus, was einem die Luxuswelt des Schmucks suggeriert und nach außen hin verkörpert. Ich beschloss also, auch darüber mehr in Erfahrung zu bringen.

Du hast während einer Peru-Reise Arbeiter in Goldmienen besucht und musstest feststellen, dass die dortigen Arbeitsbedingungen hochgradig gesundheitsgefährdend waren.
Guya Merkle Ja, nachdem ich herausgefunden hatte, wie schrecklich die Bedingungen im Goldabbau tatsächlich sind, war schnell klar, dass ich damit nicht weitermachen wollte. Wegschauen war aber auch keine Lösung, also entschied ich mich aus dem Bauch heraus dazu, die Dinge grundsätzlich anders zu machen und Vieri Fine Jewellery aufzubauen. Ein Unternehmen, das verantwortungsvoll arbeitet und die Bedeutung von Luxus neu definiert. Sprich, Produkte zu erschaffen, die für jeden, der damit in Berührung kommt, das Bestmögliche bedeuten.

„Ich möchte einfach nicht akzeptieren, dass man nichts ändern kann. Ich finde, jeder sollte dazu beitragen, diese Welt zu einem guten Ort zu machen.“

Was treibt dich an?
Guya Merkle Mein Gerechtigkeitssinn. Ich möchte einfach nicht akzeptieren, dass man nichts ändern kann. Ich finde, jeder sollte dazu beitragen, diese Welt zu einem guten Ort zu machen. Wir sollten immer so handeln und andere behandeln, wie wir auch selbst behandelt werden möchten. Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit.

Aus welchen Teilen der Erde bezieht ihr euren Schmuck bei Vieri Fine Jewellery?
Guya Merkle Wir beziehen unser Gold mittlerweile nur noch aus recycelten Quellen. Sogenannte Scheideanstalten recyceln Gold und verarbeiten es zu Feingold. Mit diesem kann man schöne Schmuckstücke kreieren. Das Gold für unsere aktuelle Kollektion stammt sogar aus einem Projekt, bei dem Handys in Kamerun gesammelt werden. Nachdem die Handys recycelt wurden, nutzen wir das darin enthaltende Gold, um Schmuckstücke daraus zu machen.

„Das Gold für unsere aktuelle Kollektion stammt sogar aus einem Projekt, bei dem Handys in Kamerun gesammelt werden.“

Wichtig ist aber, dass man das System als Ganzes sieht. Wenn man auf Recycling zurückgreift, ist es gleichermaßen wichtig, sich für die Gemeinschaften einzusetzen, die trotz der sehr schlechten Arbeitsbedingungen davon leben. Wenn man ihnen diese Arbeitsgrundlage wegnehmen würde, hätten sie gar nichts mehr. Also setzen wir uns mit der „Earthbeat Foundation“ dafür ein, in den Gemeinschaften alternative Einkommensprojekte zu initiieren, so dass sie langfristig vom Goldschürfen wegkommen und zum Beispiel durch die Produktion von Honig ihr Geld verdienen können.

Bei den Steinen sind wir noch nicht ganz so weit. Auch hier versuchen wir, viel auf Recycling zurückzugreifen und unsere Saphire kommen aus nachhaltig agierenden Abbaugebieten – allerdings sind das insgesamt vielleicht nur 65 Prozent unserer Steine. Wir sind aber stetig bemüht, auch hier die 100 Prozent zu erreichen.

Wie stellst du sicher, dass die Arbeitsbedingungen vor Ort auch tatsächlich fair sind?
Guya Merkle Dadurch, dass ich bei Vieri Fine Jewellery ausschließlich auf Recycling-Gold zurückgreife. Und bei den von uns verwendeten Saphiren kann ich faire Arbeitsbedingungen sicherstellen, da wir immer sämtliche Partner besuchen und uns ein Bild vor Ort machen.

Eine Halskette von Vieri Fine Jewellery in zwei Hände vor einem blauen Himmel

Wo findet anschließend die Fertigung statt?
Guya Merkle Unsere Produktion findet in Italien und Deutschland statt.

Was genau bedeutet nachhaltig produzierter Schmuck? Wann kann man von „fairem Gold“ und wann von „recyceltem Gold“ sprechen? Welche Standards müssen eingehalten werden?
Guya Merkle Recycling ist recht einfach zu erklären. Man nutzt recyceltes Material, das man aus den Scheideanstalten bezieht. Ich bin großer Fan davon, da wir hier über Kreislaufwirtschaft reden. Das heißt, ein Rohstoff wird immer wieder benutzt, anstatt neu geschürft zu werden. Wie bereits erwähnt ist es jedoch wichtig, sich gleichzeitig um Alternativen für die Menschen zu kümmern, die noch von dem Rohstoff abhängig sind.

„Faires Gold ist ein sehr weiter Begriff. Es gibt die „Fairtrade“- und „Fairmined“-Zertifizierungen.“

Faires Gold ist ein sehr weiter Begriff. Es gibt die „Fairtrade“- und „Fairmined“-Zertifizierungen – hier arbeiten die Minen zu den Standards, die in den jeweiligen Programmen festgelegt sind. Das ist eine Verbesserung, aber da wir beim Goldabbau über ein äußerst komplexes Thema sprechen, ist es schwierig, das Ganze zu skalieren und auch sicherzustellen, dass sämtliche Prozesse nach den Zertifizierungen laufen. Ich persönlich denke nicht, dass dies ein System ist, das den Sektor auf lange Sicht ändert.

Weshalb nicht?
Guya Merkle Auf nachhaltige Weise eine endliche Ressource zu schürfen ist so eine Sache … Aber natürlich ist es für die Branche sehr wichtig, dass es Zertifikate gibt. Man muss jedoch aufpassen, dass diese Zertifikate die Unternehmen nicht von der eigentlichen Verantwortung befreien – nach dem Motto „wir haben ein Zertifikat und darauf können wir uns ausruhen.“ Denn trotz der Zertifikate sind wir leider noch meilenweit von komplett fairen Bedingungen im Goldabbau entfernt.

„Vertrauen und Transparenz sind wichtig. Einfach mal nachfragen, woher Gold und Edelsteine kommen und schauen, wie geantwortet wird.“

An welchen Zertifizierungen können sich Kunden dennoch ganz gut orientieren?
Guya Merkle Es gibt unter anderem die beiden bereits erwähnten „Fairtrade“-, „Fairmined“-Siegel. Außerdem gibt es das „Eco-Gold“-Siegel und viele kleine weitere Siegel. Diese Zertifizierungen sind bereits ein guter Anfang, aber ich würde als Kunde immer noch weiter nachfragen. An den Antworten kann man dann meist schnell erkennen, wie sehr sich das jeweilige Unternehmen mit dem Thema Verantwortung tatsächlich auseinandersetzt.

Worauf sollte man beim Schmuckkauf sonst noch achten?
Guya Merkle Vertrauen und Transparenz sind wichtig. Einfach mal nachfragen, woher Gold und Edelsteine kommen und schauen, wie geantwortet wird. Zudem denke ich, dass der Trend auf jeden Fall zu kleineren und individuelleren Marken geht. In einem persönlichen Gespräch bekommt man immer noch das beste Gefühl für die Philosophie und das Agieren eines Unternehmens. Kleiner Tipp: Wenn man zum Beispiel ein Schmuckstück geerbt hat oder einen Armreif oder ähnliches nicht mehr mag, kann man beispielsweise zum Goldschmied oder anderen Marken gehen, die Schmuck wunderbar umarbeiten.

Eine blonde Frau mit einem goldenen Ohrring von Vieri Fine Jewellery

Zusätzlich Vieri Fine Jewellery. Du hast die „Earthbeat Foundation“ ins Leben gerufen. Welches Ziel verfolgst du mit der Stiftung?
Guya Merkle Aufmerksamkeit für das Thema generieren. Im November lancieren wir den ersten „World Gold Day“. Wir wollen dieses Thema endlich auf die globale Agenda bringen. Zudem setzen wir Projekte um, die so genannten „Small Scale Mining Communties“, also Kleinbergbau-Gemeinschaften alternative Einkommensquellen gewährleisten. All das geschieht in enger Zusammenarbeit mit den jeweiligen Gemeinschaften und wird mit lokalen Partnern umgesetzt.

„Wenn wir 1.000 Euro für ein Produkt ausgeben, gehen wir automatisch davon aus, dass schon alles in Ordnung damit ist.“

Langfristig wollen wir jedoch vom Kleinbergbau weg. Das Gold aus dem Kleinbergbau macht nur ungefähr zehn Prozent des jährlich geförderten Goldes aus. Der Rest kommt aus dem mittelgroßen Bergbau sowie dem industriellen Großflächenbergbau. Mein Traum wäre es, die zehn Prozent aus dem Kleinbergbau durch recyceltes Gold zu ersetzen.

Spätestens seit der Dokumentation „Blood Diamond“  haben sicherlich viele Menschen über den brutalen Handel mit Blutdiamanten gehört. Dennoch hat man den Eindruck, dass das Thema in der breiten Öffentlichkeit wenig bekannt ist und dass sich die Menschen beim Kauf von Schmuck kaum Gedanken über dessen Herkunft und Entstehung machen. Teilst du diesen Eindruck?
Guya Merkle Ich denke, dass gerade die junge Generation, also die Kunden von morgen, sich mehr und mehr mit dem Thema auseinandersetzt. Generell bin ich aber auch der Meinung, dass zu wenig passiert und sich alles zu langsam bewegt.

Fallen dir, abgesehen von der Schauspielerin und UN-Botschafterin Emma Watson, weitere Hollywood-Stars ein, die ihre Prominenz nutzen, um auf die Missstände im Schmuckhandel aufmerksam zu machen und fair produzierende Brands zu fördern?
Guya Merkle Wenige. Es gibt Livia Firth und Arizona Muse. Beide arbeiten gemeinsam mit dem Unternehmen Eco Age für die Luxusmarke Chopard. Aber das sehe ich kritisch. Chopard tut zwar etwas, aber angesichts der Größe und Macht des Unternehmens ist mir das viel zu wenig. Denn es ändert sich nicht wirklich etwas am System. Man könnte beinahe den Eindruck gewinnen, dass es sich doch eher um gutes Marketing handelt. Am Ende geht es nämlich nicht nur darum, sagen zu können, woher das Gold stammt, sondern meines Erachtens ist die komplette Ausrichtung des Unternehmens ausschlaggebend für die Verantwortung, die es übernimmt.

„Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und wir sind verdammt gut darin, uns selbst etwas vorzumachen.“

Werden teure Luxusprodukte mit einer verantwortungsvollen Produktion gleichgesetzt ? 
Guya Merkle Absolut. Wenn wir beispielsweise ein T-Shirt für fünf Euro kaufen, können wir uns natürlich denken, dass damit etwas nicht stimmt. Wenn wir aber 1.000 Euro für ein Produkt ausgeben, gehen wir automatisch davon aus, dass schon alles in Ordnung damit ist. Beim Thema Luxus erliegen wir automatisch romantischen Vorstellungen und lassen uns von unseren Emotionen leiten. Da will man lieber nichts über Kinderarbeit hören.

Eine Kette und drei Ringe von Vieri Fine Jewellery liegen neben einer pinken Blume auf dem Tisch

Du selbst hast nach einer unangenehmen Konfrontation mit einer Journalistin dein iPhone gegen ein Shiftphone eingetauscht.
Guya Merkle Ja, diese direkte Konfrontation war zwar nicht der Auslöser, aber auf jeden Fall ein wichtiger Impuls. Nach längerer Suche habe ich mich für ein Shiftphone entschieden. Von seinen Funktionen ist es natürlich nicht vergleichbar mit den Smartphones, die ich davor gewohnt war. Die Kamera ist längst nicht so gut, das Mikrofon funktioniert nicht immer und eigentlich macht sich das Telefon immer selbstständig.

Aber das hält mich nicht davon ab, es zu nutzen. Denn zu wissen, dass es fair produziert wurde, komplett modular funktioniert und keinen Schaden angerichtet hat, fühlt sich besser an, als in seiner gewohnten Komfortzone zu bleiben. Es muss ja mal ein Anfang gemacht werden. Und wenn Hersteller wie Apple und Samsung nicht nachhaltig werden wollen, dann müssen wir Konsumenten den kleinen Herstellern die Chance geben, sich zu entwickeln.

„Es geht nicht darum, nie wieder Fleisch zu essen, zu fliegen oder keinen Müll mehr zu produzieren, sondern darum, ein Bewusstsein für den eigenen Konsum zu entwickeln.“

Warum glaubst du, handeln viele Menschen so in ihrem Konsumverhalten widersprüchlich?
Guya Merkle Ich denke, das hat viel mit unserer Komfortzone zu tun. Wir würden gerne, aber es fällt uns unfassbar schwer, unser Verhalten wirklich zu verändern. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und wir sind verdammt gut darin, uns selbst etwas vorzumachen. Deshalb sollte es dringend mehr Alternativen geben, die Spaß machen und gut sind. Dann fällt uns das Umdenken auch nicht so schwer. Am Ende ist man gar überrascht davon, wie schnell man sich an neue Verhaltensweisen gewöhnen kann.

Was kann jeder von uns tun, um die Welt ein wenig besser zu machen?
Guya Merkle In erster Linie müssen wir bei uns anfangen und uns beispielsweise fragen „Warum fällt es mir eigentlich so schwer, bestimmte Verhaltensweisen zu ändern? Was kann ich realistischerweise ändern und womit kann ich anfangen?“ Es geht nicht darum, nie wieder Fleisch zu essen, zu fliegen oder keinen Müll mehr zu produzieren, sondern darum, ein Bewusstsein für den eigenen Konsum zu entwickeln. Und eine Balance zu finden, die Spaß machen und mit der man langfristig etwas verändern kann. Wie etwa nur zweimal die Woche Fleisch essen, dafür regional und fair. Oder öfter mal das Fahrrad oder die Bahn nutzen und nur einmal im Jahr in den Süden fliegen.

„Qualität statt Quantität ist der Schlüssel. Das gilt für Lebensmittel, Kleidung, Accessoires und generell für alle Konsumgüter.“

Und generell denke ich, Qualität statt Quantität ist der Schlüssel. Das gilt für Lebensmittel, Kleidung, Accessoires und generell für alle Konsumgüter. Weniger Konsum ist der Schlüssel zu einer besseren Welt, und dafür müssen wir eben auch mal nach innen schauen und uns fragen, was genau wir eigentlich mit unserem Konsum zu kompensieren versuchen.

Was ist dein größter Wunsch?
Guya Merkle Puh, das ist eine große Frage. Ein Anfang wäre eine Welt, in der niemand aufgrund des Wohlstandes anderer ausgebeutet werden müsste. Eine Welt, in der Respekt und Nächstenliebe wieder an Bedeutung gewinnen. Das wäre ein Ort, die ich meinem Sohn gerne hinterlassen würde.

Eine goldene Kette mit rotem Steinanhänger von Vieri Fine Jewellery

Hast du abschließend vielleicht noch einen Buch-, Film- oder Websitentipp für alle, die sich gerne näher mit verantwortungsvoll produziertem Schmuck beschäftigen möchten?
Guya Merkle Ich bin selbst noch nicht ganz durch damit, aber das Buch „Goldwäsche“ von Marc Pieth kann ich sehr empfehlen. Außerdem kann man jederzeit bei uns vorbeischauen oder uns auch schreiben und anrufen. Wir stehen gerne Rede und Antwort.

 

Zur Person
2013 gründete die damals 21-jährige Guya Merkle das Vieri Fine Jewellery. Das Unternehmen stellt Schmuckstücke aus recyceltem oder ethisch korrekt gefördertem Gold herstellt. Sie hat gezielte Maßnahmen implementiert, unter anderem die Stiftung Earthbeat Foundation, um Goldbergbau-Gemeinschaften etwas zurückzugeben. Die Berlinerin glaubt fest daran, dass verantwortungsvolles Unternehmertum und hochwertiger Schmuck nicht ohne einander existieren können: „Es ist meine Vision, ein Unternehmen aufzubauen, das nicht nur verantwortungsvoll handelt und produziert, sondern auch die Welt durch Ihre Produkte zu einem schöneren und besseren Ort macht.“