Die Idee von DingsDums Dumplings ist so einfach wie genial: Mauritz Schröder und Anna Wohlrab retten Lebensmittel aus dem Einzelhandel, bevor sie ablaufen. Für ihr Catering und den Imbiss in Berlin entstehen daraus leckere Teigtaschen in sämtlichen Variationen. Nun wollen die beiden ihr Produkt wieder dorthin bringen, wo es eigentlich herkommt: in den Supermarkt.
Wie entstand die Idee für DingsDums Dumplings?
Anna Wohlrab Die Idee kam 2016 aus eigenem Interesse: Bei der Arbeit gab es oft lange Tage und ich habe mir mittags etwas zum Mitnehmen geholt – meine Einkäufe zuhause wurden währenddessen schlecht. Und ich wusste nicht, was ich aus Resten machen kann. Da dachte ich mir, dass es anderen bestimmt ähnlich geht. Mein Kollege Mauritz und ich haben daraufhin überlegt, wie man Lebensmittel vor dem Müll retten kann. Während der Recherche sind wir auf den Einzelhandel aufmerksam geworden. Bei Lebensmittelverschwendung denkt jeder sofort an private Haushalte, aber auch im Einzelhandel und in der Gastronomie landet viel im Müll.
Und wie seid ihr dann auf die Idee gekommen, Teigtaschen mit den übrig gebliebenen Lebensmitteln zu füllen?
Anna Wohlrab Auf die Dumplings kamen wir, weil man beim Einzelhandel nicht abschätzen kann, was an Produkten überbleibt und wie die Lebensmittel aussehen, wenn man sie bekommt – das Auge isst ja bekanntlich mit. Zudem müssen wir die Ware schnell verarbeiten, weil sie kurz vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum steht. In unseren DingsDums Dumplings können wir alles schön verpacken. Es ist eine praktische Form, die man nicht immer wieder neu erfinden muss. Hinzu kommt, dass Teigtaschen tatsächlich besser schmecken, wenn sie schockgefroren waren – das haben wir selbst getestet. Eine Fleischfüllung etwa wird dadurch noch einmal saftiger.
Woher bekommt ihr die Zutaten?
Anna Wohlrab Wir arbeiten eng mit den Berliner Lebensmittelrettern von Sirplus zusammen. Diese bekommen Obst und Gemüse vom Einzelhandel oder direkt vom Bauern – auch dort bleibt vieles übrig, was nicht der Norm entspricht.
Warum bleibt die Ware dort übrig?
Anna Wohlrab: Das kann viele Gründe haben. Der häufigste ist: Sie erreicht bald das Mindesthaltbarkeitsdatum und es lohnt sich finanziell nicht, sie noch einmal neu zu etikettieren und ins Regal einzusortieren. Es ist wirklich erschreckend: Wir können uns beinahe aussuchen, welche Lebensmittel wir retten, weil es nichts gibt, was nicht übrigbleibt!
„Wenn in der Grillsaison einmal schlechtes Wetter ist, bleibt im Supermarkt viel Fleisch über – dann gibt es bei uns eben Bratwurst-Dumplings.“
Ihr plant eure Gerichte sehr spontan, je nachdem, was ihr bekommt. Welche Kombinationen sind hier schon entstanden?
Anna Wohlrab Bei uns läuft das so: Wir schauen, wie viele Dumplings wir in der Woche zuvor verkauft haben und orientieren uns bei unserer Bestellung daran. Zudem achten wir darauf, dass bis zu 90 Prozent unserer Teigtaschen vegetarisch oder vegan sind. Es gibt so viele gute Füllungen, die ohne Fleisch oder tierische Produkte auskommen. Einen Tag vorher checken wir die Listen mit den übrig gebliebenen Lebensmitteln oder fahren direkt zu Sirplus, um dort einzukaufen. Eine beliebte Eigenkreation, die es schon oft bei uns gab, ist Kimchi aus gerettetem Kohl mit Feta. Wenn in der Grillsaison einmal schlechtes Wetter ist, bleibt im Supermarkt viel Fleisch über – dann gibt es bei uns eben Bratwurst-Dumplings.
Ihr macht Catering, liefert innerhalb Berlins und verkauft im eigenen Imbiss. Was habt ihr noch geplant?
Anna Wohlrab Wir arbeiten gerade daran, in den Supermarkt zu kommen. Die letzten Wochen haben wir an der Verpackung gefeilt, über die Etikettierung nachgedacht und feste Sorten entwickelt aus Lebensmitteln, von denen wir wissen, dass sie regelmäßig überbleiben. In Berlin wird das nun erst einmal an ein oder zwei Supermärkten getestet. Wir hoffen, dass die Idee Anklang findet: Gerettete Supermarkt-Lebensmittel wiederum im Supermarkt verkaufen.
Gibt es trotzdem noch Lebensmittel, die ihr wegschmeißt?
Anna Wohlrab Da wir vorher genau überlegen, wie viel wir brauchen, wird alles verwertet. Aber es kann vorkommen, dass wir etwas bestellen, das nicht mehr so aussieht oder schmeckt, wie es sollte. Ein gutes Beispiel ist Rettich – wenn er Wasser verliert, wird er schnell bitter. Sonst arbeiten wir in unserer Küche auch nach dem Zero-Waste-Prinzip. Gemüsereste kochen wir beispielsweise zu Brühe ein. Mittlerweile machen wir unsere DingsDums Dumplings nicht mehr per Hand, sondern mit einer Maschine – so können wir viel mehr Lebensmittel retten. Wenn in der Produktion trotzdem einmal Teigtaschen entstehen, die kleiner sind oder anders aussehen, verpacken wir sie als B-Ware. Und die ist oft sogar noch schneller ausverkauft als die normale Ware. Wir haben ungefähr zehn Prozent Zukauf, damit wir immer unseren Teig machen können und gewisse Kräuter und Gewürze haben, die nicht so oft überbleiben.
Welche Lebensmittel bleiben besonders oft über? Welche überhaupt nicht?
Anna Wohlrab Es gibt leider nichts, was nicht überbleibt. Wir bekommen manchmal sogar Salz, Nudeln oder Mehl vom Großhandel. Oder eine Chili-Soße, die eigentlich ewig hält. Wenn aber bei der Produktion ein Fehler unterlaufen ist und sich die Soße im Glas trennt, dann verkauft der Supermarkt sie nicht mehr. Obwohl man das Glas nur schütteln müsste. Auf den Restbestand von Schoko-Osterhasen oder -Weihnachtsmännern kann auch man jedes Jahr warten, da bleibt immer viel über.
„Der Konsument muss auch mehr in die Verantwortung genommen werden – er sollte sich auf seine Sinne verlassen und selber prüfen, ob das Produkt noch gut ist.“
Wie ist deine Meinung zum Mindesthaltbarkeitsdatum?
Anna Wohlrab Das ist eine schwierige Frage, weil ich beide Seiten verstehen kann. Der Hersteller haftet dafür. Deshalb muss garantiert werden, dass das Produkt noch bis zu diesem Datum nicht nur gut ist, sondern auch noch gut aussieht. Außerdem sind zwei Parteien „Schuld“, wenn Lebensmittel zu früh weggeworfen werden. Der Konsument muss auch mehr in die Verantwortung genommen werden – er sollte sich auf seine Sinne verlassen und selber prüfen, ob das Produkt noch gut ist. Eine gute Lösung fände ich, wenn Lebensmittel nach dem Ablaufdatum günstiger verkauft werden mit dem Hinweis, dass man sie zuhause prüfen muss. Ich fände es auch hilfreich, wenn auf den Verpackungen steht, wie lange das jeweilige Produkt noch haltbar sein könnte.
Welche Lebensmittel sind denn länger haltbar, als es das Datum angibt?
Anna Wohlrab Da gibt es viele. Joghurt etwa ist oft zwei Wochen länger haltbar als es das Ablaufdatum angibt. Oder auch Eier, die sind teilweise noch vier bis fünf Wochen länger haltbar. Das Problem ist, dass viele sie direkt nach dem Einkauf in den Kühlschrank stellen und dann müssen sie dauergekühlt werden. Man kann sie einfach an einem kühlen Ort lagern. Im Supermarkt stehen sie auch nicht im Kühlregal. Andere Lebensmittel sollten dagegen lieber in den Kühlschrank, bevor sie schlecht werden – wie Avocado und Mango.
„Wir sind eine Generation, die viel mehr auswärts essen geht – ich kann mir vorstellen, dass dadurch der Bezug zum einzelnen Lebensmittel verloren geht.“
Hast du das Gefühl, dass junge Leute mehr wegschmeißen?
Anna Wohlrab Wir sind auf jeden Fall eine Generation, die viel mehr auswärts essen geht – und ich kann mir vorstellen, dass dadurch der Bezug zum einzelnen Lebensmittel verloren geht. Dass wir uns weniger auf unsere Sinne verlassen, weil wir vielleicht auch nicht wissen, wie ein Produkt als Einzelbestandteil schmecken soll. Ich habe mich komplett umgestellt und nichts Tierisches mehr zuhause, weil die Sachen länger halten und man es direkt sieht, wenn etwas nicht mehr gut ist. Und ich möchte vor allem Tierisches nicht wegwerfen.
Warum tut es dir weh, wenn ein Lebensmittel weggeworfen wird?
Anna Wohlrab Weil man damit nicht wertschätzt, wie viel Arbeit drin steckt. Wie lange etwas wachsen muss, wie viele Menschen und Stationen da dran beteiligt sind. Ich sehe es schon bei unseren DingsDums Dumplings, wie viel Herzblut und Zeit in unsere Produktion fließt – und das obwohl wir nur weiterverarbeiten und nicht einmal selber anbauen. Die Menschen sollten viel mehr vor Augen haben, wie lange es dauert, etwas zu produzieren und welche Prozesse dahinterstecken. Vor allem bei Fleisch tut es weh, wenn es im Müll landet, denn das Tier wurde nur dafür geboren, gegessen zu werden. Aber auch bei Produkten mit einem hohen Energieaufwand wie Avocados, die um die halbe Welt transportiert werden.
Was kann jeder von uns tun, damit weniger weggeschmissen wird?
Anna Wohlrab Einkaufen nur mit Rezept. Wer alleine wohnt, geht lieber öfter und schaut dafür, worauf er spontan Lust hat. Was ich außerdem empfehlen kann, um weniger wegzuwerfen: eine Liste mit Standard-Gerichten zum „Abarbeiten“. So weiß man immer, was man am Abend kochen könnte und kauft nie zu viel ein. Wer zu viel gekocht hat, kann den Rest einfach einfrieren. Falls das nicht geht, gibt’s eben Reste-Essen. Man kann immer noch etwas Gutes zaubern und wenn es nur eine Reispfanne mit allem ist. Wir machen übrigens auch Dumpling-Workshops, in denen die Leute lernen, welche übergebliebenen Lebensmittel man gut miteinander kombinieren kann.
„Wir kennen das in Deutschland gar nicht, wenn etwas einmal aus ist, weil wir immer alles haben!“
Was wünschst du dir im Hinblick auf die Lebensmittelverschwendung in Deutschland?
Anna Wohlrab Ich würde mir wünschen, dass wir irgendwann gar keine Lebensmittel mehr wegschmeißen – oder zumindest deutlich weniger als jetzt. Und dass die Lebensmittel weltweit gleichmäßiger verteilt werden. Es ist einfach absurd, wenn man überlegt, dass Menschen auf der Welt hungern und wir tonnenweise Nahrung wegwerfen. Theoretisch könnte man alle Menschen mit Lebensmitteln versorgen – das ist ein Gedanke, der wirklich weh tut. Man sieht es doch in der Corona-Zeit: Selbst wenn die Leute hamstern, ist immer noch mehr als genug für alle da. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Lebensmittel in diesen Wochen weggeworfen wurden. Das Problem ist: Wir kennen das in Deutschland gar nicht, wenn etwas einmal aus ist, weil wir immer alles haben.
Interview: Anja Schauberger Fotos: DingsDums Dumplings