Was die Umwelt belastet, gefährdet unsere Gesundheit. Jana Leberl hat als Ärztin einen besonderen Blick auf Plastikverschmutzung und globale Erderwärmung. Sie versucht, für einen gesunden Planeten zu sorgen, und fängt in ihrem eigenen Umfeld, dem Krankenhaus, damit an.
Frau Leberl, Sie sind Ärztin in einem Kölner Krankenhaus und haben auch COVID-19-Patienten behandelt. Haben Sie die Pandemie vorhergesehen?
Jana Leberl Ich habe erst im Januar 2020 das Buch „Factfulness“ des schwedischen PublicHealth-Professors Hans Rosling gelesen. Darin benennt er neben Dingen wie Krieg und Erderwärmung Pandemien als eine der fünf größten Gefahren für die menschliche Gesundheit im 21. Jahrhundert. Die potenzielle Gefahr war mir bewusst, aber die Plötzlichkeit, mit der COVID-19 die Welt erfasste, und die Ausmaße, die es für uns hatte, habe ich auf gar keinen Fall vorhergesehen. Als Ärzte in der Klinik reagieren wir ja eher auf Pandemien, wenn sie da sind, anstatt sie vorauszusehen. Ich denke, wir räumen eher die Scherben zusammen, als dass wir uns vorausschauend für die Gesundheit einsetzen.
Wie meinen Sie das?
Jana Leberl Es ist ein grundlegender Konflikt des Systems: Wir kümmern uns jeden Tag um Einzelfälle. Wird jemand mit einem Herzinfarkt eingeliefert, behandeln wir den. Dann kommt bereits die nächste Patientin. Es fühlt sich ein bisschen so an, als würden wir Menschen einfach abarbeiten, Tag für Tag. Wir haben keine Zeit, um innezuhalten und uns zu fragen, wie wir die Gesamtbevölkerung gesünder machen könnten.
Wir als Ärzteschaft könnten ja beispielsweise auch sagen, wir wollen Krankheiten nicht erst behandeln, wenn sie im Krankenhaus ankommen. Wenn wir präventiv denken würden, müssten wir politisch eingreifen und darauf pochen, dass beispielsweise Schadstoffrichtwerte im Verkehr gesenkt werden. Aber diese Rolle nehmen wir im aktuellen Gesundheitssystem Deutschlands nicht ein. Stattdessen werden Krankheiten als Einzelschicksale begriffen.
„Die Menschen bemühen sich, gesund zu essen, Sport zu machen. Aber es gibt so viele gesundheitsschädigende Faktoren, denen wir einfach trotzdem ausgesetzt sind.“
Sind sie das denn nicht – Einzelschicksale?
Jana Leberl Die biologischen Prozesse, die in unseren Körpern stattfinden, sind auf gewisse äußere Umstände angewiesen. Beispielsweise darauf, dass die Luft um uns herum Sauerstoff enthält oder dass eine bestimmte Umgebungstemperatur herrscht. Die Menschen investieren heutzutage viel individuelle Zeit und Energie darauf, gesund zu sein. Sie bemühen sich, gesund zu essen, Sport zu machen. Aber es gibt so viele gesundheitsschädigende Faktoren, denen wir einfach trotzdem ausgesetzt sind. Zum Beispiel den Abgasen und dem Feinstaub aus dem Verkehr.
Mich hat in dem Zusammenhang vor ein paar Jahren eine Studie aus Mexiko-Stadt wachgerüttelt. Sie hatte zeigen können, dass Kinder, die an großen Straßen leben, öfter an Asthma bronchiale erkrankt sind. Es gibt inzwischen zahlreiche Studien, die die Schadstoffgehalte in der Luft mit Herz-Kreislauf-Krankheiten und sogar Demenzen in Zusammenhang bringen. Wenn man die liest, beginnt man, Krankheiten weniger nur als Einzelschicksale zu begreifen.
Sie engagieren sich in der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit. Daraus hat sich unter anderem auch die Plattform Health for Future entwickelt, über die sich Ärztinnen, Pfleger und Co. mit Fridays for Future solidarisieren. Was macht die globale Erderwärmung denn mit unserer Gesundheit?
Jana Leberl Global betrachtet, sind die Auswirkungen immens. Steigende Temperaturen machen ganze Regionen unbewohnbar, Inselgruppen werden durch den steigenden Meeresspiegel komplett überschwemmt, die Versorgung mit Trinkwasser wird schwieriger werden. Regionen mit schwacher Infrastruktur sind von den Auswirkungen der Klimakrise am meisten betroffen. Deswegen sind für mich nicht Dürren in Subsahara-Afrika, sondern Hitzewellen in Deutschland derzeit das strategisch wichtigere Thema. In zehn Jahren soll es 30 Prozent mehr Hitzewellen in Süddeutschland geben als jetzt. Dabei werden bereits jetzt während Hitzewellen messbar mehr Notarzteinsätze gefahren als bei normalen sommerlichen Temperaturen.
Haben Sie als Ärztin einen besonderen Hebel für Veränderung?
Jana Leberl Ich glaube nicht, dass Ärzte per se mehr bewirken können als andere Berufsgruppen. Jeder hat seinen eigenen Hebel. Ich sehe meinen darin, den Zusammenhang zwischen Umweltzerstörung, Klimawandel und Gesundheit aufzuzeigen, da meine Aussagen zum Thema Gesundheit als Ärztin von der Gesellschaft ernst genommen werden und die Menschen uns vertrauen. Umso wichtiger ist es, dass wir nichts postulieren, was nicht wissenschaftlich begründet ist. Das Problem ist nur, dass man bei manchen Umweltthemen irgendwann an den Punkt kommt, an dem es keine Studien mehr gibt, die Kausalzusammenhänge beschreiben können.
Warum ist das so?
Jana Leberl Meist sind es erst die kumulativen Effekte von Umwelteinwirkungen, die gefährlich für die menschliche Gesundheit werden. So gefährlich, dass sie uns sofort umbringen, sind Stickoxide oder Mikroplastik ja dann doch nicht. Der Schaden entsteht erst über die Jahre einer stetigen Exposition. Um das im Detail zu untersuchen, braucht man Langzeitstudien. Die sind sehr zeit- und kostenintensiv.
Es gibt immer mehr Beispiele zivilgesellschaftlich organisierter Studien. Sie haben selbst im letzten Jahr an einer Expedition teilgenommen, um die Plastikverschmutzung der Weltmeere zu erforschen. Was hat es damit auf sich?
Jana Leberl Das Projekt heißt eXXpedition und hat folgendes Konzept: Ein Segelboot umrundet einmal die Welt, durchquert dabei vier der fünf großen Müllstrudel und fährt sogar bis in die Arktis. Auf der gesamten Route werden Daten mit derselben Methode für mehrere groß angelegte Studien gesammelt. Das ist der wissenschaftliche Teil. Gleichzeitig ist es das Ziel der Gründerin Emily Penn, eine Welle internationalen Aktivismus auszulösen, indem das Schiff alle zwei Wochen eine neue Besatzung bekommt. Jede Crew wird mit Frauen aus verschiedenen Ländern und mit verschiedenen beruflichen Hintergründen besetzt. Ich war im Dezember 2019 für zwei Wochen dabei und bin von den ABC-Inseln bis nach Panama mitgesegelt.
„Wir haben jeden Nachmittag das Tempo gedrosselt, um Proben für unsere Studien zu sammeln. Und wir haben an jedem einzelnen Tag mikro- und makroskopisch sichtbare Plastikpartikel gefunden.“
Haben Sie in den zwei Wochen viel Plastik gesehen?
Jana Leberl Es ist nicht so, dass man, während man über das offene Meer segelt, die ganze Zeit Plastikpartikel im Wasser schwimmen sieht. Erst wenn man Wasserproben sammelt und an Bord die Mikroorganismen aus dem Netz spült, sieht man, dass viele klitzekleine Plastikstückchen übrig bleiben. Wir haben jeden Nachmittag das Tempo gedrosselt, um Proben für unsere Studien zu sammeln. Und wir haben an jedem einzelnen Tag mikro- und makroskopisch sichtbare Plastikpartikel gefunden. Die größeren Stücke werden durch die Strömungsverhältnisse des Atlantiks an die San-Blas-Inseln vor Panama gespült. Die 300 Inseln ertrinken förmlich in Plastik.
Die Region ist Heimat eines der letzten indigenen Völker der Karibik, der Kuna Yala. Wir haben einige der Inseln besucht und uns mit den Bewohnern über die Problematik ausgetauscht. Mich hat vor allem der gesundheitliche Aspekt schockiert. Da es keine Müllverwertungsanlagen gibt, wird das Plastik von den Frauen im Vorgarten verbrannt. Dabei werden giftige Schadstoffe freigesetzt, die in den Boden absinken, ins Meer fallen oder direkt eingeatmet werden, und die Menschen sind so kontinuierlich giftigen Stoffen ausgesetzt.
„Krankenhäuser haben einen vergleichsweise großen Impact für Umweltverschmutzug und Erderwärmung. Ein Krankenhausbett verbraucht beispielsweise so viel Energie wie zwei Vier-Personen-Haushalte.“
Bei Plastik denkt man als Verbraucher oft an Verpackungen von Lebensmitteln. Aber auch im Krankenhaus fällt viel Plastikmüll an, oder?
Jana Leberl O ja! Wir haben im Krankenhaus einen immensen Plastikverbrauch. Plastik ist vor allem aus Hygienegründen heutzutage ein unentbehrliches Material. Recycling findet allerdings nicht statt. Generell haben Krankenhäuser einen vergleichsweise großen Impact für Umweltverschmutzug und Erderwärmung. Ein Krankenhausbett verbraucht beispielsweise so viel Energie wie zwei Vier-Personen-Haushalte. Der gesamte Gesundheitssektor ist für 4,4 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Da spielen dann noch andere Faktoren als der Plastikverbrauch mit rein. Ein Großteil wird durch den hohen Energieverbrauch verursacht.
Und was versuchen Sie in Ihrem Krankenhaus konkret zu verändern?
Jana Leberl Ich versuche das Thema Nachhaltigkeit einzubringen, wo ich kann. Ich habe zum Beispiel mit dem technischen Leiter des Hauses über Möglichkeiten gesprochen, die CO2-Emissionen der Gebäude zu senken. Er lässt sich jetzt über ein Projekt des BUND, welches Kliniken hilft, den Energiebedarf zu senken, zum Klimamanager ausbilden.
Ein weiteres Thema, was mir am Herzen liegt, ist lokales und pflanzenbasiertes Essen. In der ersten Klinik, in der ich als Assistenzärztin gearbeitet habe, hatte ich es bereits geschafft, ein veganes Angebot in der Kantine zu etablieren. Die Geschäftsführerin meiner aktuellen Arbeitsstelle ist auf einem Bauernhof aufgewachsen, weshalb wir an diesem Punkt einen gemeinsamen Nenner gefunden haben. Wenn alles gut geht, kauft unser Essenszulieferer ab nächstem Jahr bei lokalen Bauern ein. So versuche ich, Schritt für Schritt Veränderungen zu erwirken.
„Ich gewinne oft den Eindruck, dass nicht die nachhaltige Gesundheit unserer Bevölkerung, sondern Zahlen unser Handeln bestimmen.“
Auf welche Widerstände treffen Sie dabei?
Jana Leberl Klimafreundlichere Lösungen sind leider schnell vom Tisch, sobald sie mehr kosten. Das ist eine grundsätzliche Kritik, die ich an unserem Gesundheitssystem habe: Es geht immer mehr um wirtschaftliche Faktoren. Ich gewinne oft den Eindruck, dass nicht die nachhaltige Gesundheit unserer Bevölkerung, sondern Zahlen unser Handeln bestimmen. Gleichzeitig habe ich in den letzten zwei Jahren einen deutlichen Bewusstseinswandel im Bereich der Medizin erlebt, insbesondere bei jungen Kollegen finde ich viel Zuspruch, wenn ich über Umweltthemen spreche.
Was machen Sie, um selbst gesund zu bleiben?
Jana Leberl Der Arbeitsalltag im Krankenhaus ist oft beschleunigt, und die Patientenversorgung verlangt sehr viel Präsenz und Energie von einem. Um tagsüber in all dem Trubel einen klaren Kopf zu behalten, meditiere ich morgens. Abends mache ich Yoga oder gehe laufen, um in meinen Körper zurückzufinden.
Zur Person
Jana Leberl hat in Köln Medizin studiert. Sie promovierte in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und arbeitet derzeit in einem Kölner Krankenhaus in einer Abteilung für Innere Medizin. Sie engagiert sich ehrenamtlich in der Allianz Klimawandel und Gesundheit und ist Botschafterin der feministischen Organisation eXXpedition. 2019 segelte sie durch die Karibik, um Aufmerksamkeit für die Plastikverschmutzung der Weltmeere zu schaffen.
Kulturtipps von Jana Leberl
Hören Bon Entendeur: „Aller-retour“
Ich habe alle zwei Wochen eine neue Lieblingsmusik. Momentan ist es das neue Album von Bon Entendeur – weil ich so gerne Französisch höre.
Lesen Rupi Kaur: „Milk and Honey“
In diesem Gedichtband behandelt die indisch-kanadische Schriftstellerin Schmerz und Heilung sexueller Gewalt und die Liebe zum eigenen Körper. Ihre Gedichte sind begleitet von wunderschönen, schlichten Skizzen.
Sehen „Jane“
Ein Dokumentarfilm, in dem es um die Primatenforschung von Jane Goodall in den 1960ern im afrikanischen Dschungel sowie um ihr Leben als Forscherin, Ehefrau, Mutter und Umweltaktivistin geht.
Text Leonie Sontheimer
Foto Miriam Klingl
Dieses Interview ist erschienen in Werde 03/2020