Sind Pflanzen intelligent? Die australische Biologin Monica Gagliano sagt: Ja. Sie können offenbar auch lernen. Ein Gespräch über Erbsen, Mimosen und das Gehirn.
Die meisten Menschen sehen in Pflanzen ein Unkraut oder eine schöne Blume, oder sie wollen einfach nur wissen, ob die Tomaten reif sind. Für Sie sind Pflanzen dagegen keine passiven Objekte, sondern Organismen, die aktiv handeln. Was ist ein Beispiel für ein „Pflanzenverhalten“, das wir Laien übersehen?Monica Gagliano Wir alle erleben ständig Pflanzenverhalten, nur erkennen wir es nicht als solches, weil wir es nicht erwarten. Angenommen, jemand geht im Garten Basilikum pflücken. Er riecht das Kraut, schon bevor er es erreicht! Denn die Pflanze sendet Geruchsstoffe aus, die anziehend wirken.
Viele Pflanzen tun das, etwa auch über duftende Blüten. Wir neigen dazu, dass wir das als etwas Passives sehen – eine Sache, die die Pflanze nicht kontrollieren kann. Aber das stimmt nicht! Eine Studie hat zum Beispiel kürzlich gezeigt, dass Pflanzen den Zuckeranteil in ihrem Nektar anpassen und ihn erhöhen, wenn sich ein Bestäuber nähert. Sie hören das Brummen einer Biene und machen ihren Nektar süßer, um für das Insekt attraktiver zu werden. Das geht blitzschnell.
Pflanzen können hören?
Monica Gagliano Verschiedene Wissenschaftler haben mittlerweile nachgewiesen, dass Pflanzen auf Klang reagieren. Es wäre auch sehr, sehr überraschend, wenn sie das nicht tun würden. Schall ist eine gute Informationsquelle und verbreitet sich über große Entfernungen, vor allem in festen oder halbfesten Umgebungen wie dem Erdreich.
In meiner Forschung habe ich Erbsen unterirdisch das Geräusch von Wasser vorgespielt, und sie haben das Wachstum ihrer Wurzeln in diese Richtung gelenkt. Andere Forscher haben vor Pflanzen den Soundtrack einer Raupe ablaufen lassen, die an einem Blatt nagt, und beobachtet, dass die Pflanze daraufhin ihre chemische Abwehr verstärkt.
„Lernen ist ein Prozess, der sich nicht auf den Menschen beschränkt. Er findet überall in der Natur statt. Man muss nicht wie ein Mensch aussehen, um lernen zu können.“
Sie haben Aufsehen mit einer Studie erregt, bei der Sie gezeigt haben, dass Pflanzen offenbar lernen können. Was war das für ein Experiment?
Monica Gagliano Überall im Tierreich gibt es einen Lernprozess, den wir Habituation nennen. Damit ist gemeint, dass ein Organismus Reize in der Umwelt ignoriert, weil er gelernt hat, dass sie für ihn harmlos sind. Etwa Geräusche. Ich habe getestet, ob eine Pflanze – die Mimose – das auch kann. Dafür habe ich Mimosen kontrolliert ein Stück durch die Luft fallen lassen. Zuerst haben sie dabei ihre Blätter eingerollt – das ist die normale Abwehrreaktion von Mimosen, wenn sie sich bedroht fühlen.
Aber nachdem sie ein paarmal heruntergeplumpst waren und ihnen dabei nichts weiter passiert ist, haben sie ihre Blätter offen gelassen. Die Pflanze schien zu sagen: Hier passiert etwas Nerviges, aber es ist nicht bedrohlich, also ignoriere ich es. Das ist eine gute Reaktion! Denn wenn die Pflanze ihre Blätter schließt, kann sie weniger Fotosynthese betreiben, also weniger Nahrung aufnehmen. In einer echten Gefahrensituation ist das die Sache wert. Die Verteidigung ist dann wichtiger. Aber wenn nicht wirklich eine Gefahr droht, ist es für die Pflanze besser, wenn sie weiterhin Fotosynthese betreibt. Die Mimose hat uns gezeigt, dass sie lernen kann zu unterscheiden, was nur potenziell bedrohlich ist und was eine echte Gefahr.
Die Gewächse haben sich das Erlebte offenbar auch gemerkt?
Monica Gagliano Ich wollte wissen, ob sich die Pflanzen erinnern können, und habe darum einen Monat später das gleiche Experiment mit den gleichen Pflanzen noch einmal durchgeführt. Sie haben ihre Blätter nicht mehr eingerollt. Sie wussten ganz genau, was ablief! Ich vermute, dass sie sich noch länger erinnern können, aber mir ging die Zeit aus, um das weiter zu testen.
Pflanzen lernen und erinnern sich also in einer ähnlichen Weise, wie wir es vom Menschen kennen?
Monica Gagliano Absolut. Es ist nicht als Metapher gemeint, also nicht im übertragenen Sinn. Lernen ist ein Prozess, der sich nicht auf den Menschen beschränkt. Er findet überall in der Natur statt.
Warum hat so lange niemand gemerkt, dass Pflanzen zu solchen Dingen fähig sind?
Monica Gagliano Wir sind anthropozentrisch eingestellt, das heißt: In unserer Kultur ist der Mensch der wichtigste Bezugspunkt, und wir neigen dazu, ihn zum Maßstab aller Dinge zu machen. Entsprechend glauben wir, dass man ein Gehirn braucht, um lernen zu können. Ohne Gehirn und Neuronen keine Kognition – so die Vorstellung.
Mich langweilt es mittlerweile, das immer wieder zu hören. Denn es gibt wenig Grundlagen für diese Annahme. Kognition ist ein Prozess, bei dem Informationen gesammelt und genutzt werden. Wir glauben, dass sich unser Nervensystem eigens zu diesem Zweck entwickelt hat und dass so ein System nötig ist, damit ein Organismus von der Umwelt lernen und überleben kann.
Das ist Unsinn, denn Organismen überleben ständig, auch solche, die keine Neuronen oder Gehirne besitzen. Unsere anthropozentrischen Vorbehalte machen uns buchstäblich blind dafür, wozu andere Organismen fähig sind. Man muss nicht wie ein Mensch aussehen, um lernen zu können.
Sie haben zum Beispiel das berühmte Lernexperiment des russischen Forschers Iwan Pawlow mit den Hunden nachgestellt. Allerdings mit Erbsen.
Monica Gagliano Die zugrunde liegende Idee ist simpel. Im Fall der Hunde hat Pawlow eine Glocke geläutet, bevor er ihnen Futter gab. Nach ein paar Wiederholungen haben die Hunde gemerkt, dass die Glocke das Futter ankündigt, und schon angefangen zu geifern, sobald das Läuten ertönte. Irgendwann hat Pawlow dann nur noch die Glocke geläutet, ohne Futter. Die Hunde haben trotzdem gesabbert, weil sie die Verbindung zwischen der Glocke und dem Futter verinnerlicht hatten und erwarteten, dass Essen kommt.
Ich habe im Prinzip das Gleiche gemacht. Das Futter war in diesem Fall blaues Licht, und statt mit einer Glocke zu läuten, habe ich mit einem kleinen Ventilator Luft auf die Erbsenpflanzen geblasen. Das Licht kam dann jeweils aus der Richtung, aus der zuvor der Luftzug wehte.
Erbsenpflanzen wenden sich normalerweise dem Licht zu, korrekt?
Monica Gagliano Und nach zwei Wochen haben sie sich in die Richtung gewandt, aus der der Luftstrom kam! Er hat für die Pflanzen die gleiche Bedeutung angenommen wie die Glocke für die Hunde: als Signal, dass nun Futter kommt, in diesem Fall also Licht! Das ist ein komplexerer Lernprozess als die Habituation, weil der Organismus zwei Dinge verknüpfen muss. In diesem Fall: Luftzug bedeutet Nahrung.
Ihre These, dass Pflanzen lernen können, ist kontrovers. Stört Sie das?
Monica Gagliano Jeder kann glauben und sagen, was er möchte. Ich verweise auf die Daten aus meinen Studien, denn letztlich sind die Forschungsergebnisse das, worauf es ankommt. Die meiste Kritik kommt von Leuten, die selber nicht bereit sind, derartige Studien durchzuführen. So ein Experiment wie das mit den Erben mag einfach klingen, aber es ist in der Praxis aufwendig. Es hat mehr als zwei Jahre beansprucht. Ich sage den Kritikern: Macht euch selber ans Werk!
Sind Pflanzen intelligent?
Monica Gagliano Intelligenz hat eine einfache und klare Definition. Die Wurzel des Wortes stammt aus dem Lateinischen und bedeutet: wählen zwischen. Gemäß dieser Definition sind Pflanzen intelligent. Denn nicht nur meine eigenen Studien, sondern auch die von vielen anderen Forschern zeigen, dass Pflanzen immer wieder zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen. Alle Organismen tun dies. Darauf beruht der Prozess der natürlichen Auslese.
Aber wo sitzen Dinge wie Wissen und Erinnerungen in einer Pflanze?
Monica Gagliano Ich bin keine Pflanzenphysiologin. Aber man könnte die gleiche Frage auch beim Menschen stellen, und mich würde interessieren, was die Neurowissenschaftler dann antworten. Soweit ich weiß, gibt es auch beim Menschen keinen konkreten Ort, von dem man sagen kann: Hier sitzen die Erinnerungen. Ich vermute, dass sie dezentralisiert gespeichert werden, also verteilt über den ganzen Körper. Es wäre sinnvoll, dass Wissen nicht nur in ein paar Zellen im Kopf sitzt. Pflanzen sind ebenfalls sehr dezentralisiert aufgebaut.
Messen wir dem Gehirn zu viel Bedeutung bei?
Monica Gagliano Wir sind in gewisser Weise besessen davon, dass man ohne ein Nervensystem nicht existieren kann. Wir halten das Gehirn für das Zentrum des Universums. Aber all die Elemente, die bei kognitiven Prozessen eine Rolle spielen, findet man auch in den meisten Pflanzen!
Etwa Neurotransmitter, wie Serotonin und Dopamin?
Monica Gagliano Ein ganz großer Teil dieser Chemie ist auch in Pflanzen vorhanden!
Sehr viel läuft bei Pflanzen zudem unterirdisch statt, wo wir es nicht sehen können.
Monica Gagliano Bei Eichen ist das Wurzelsystem beispielsweise doppelt so groß wie der oberirdische Teil des Baums. Charles Darwin, der sich sehr für Pflanzen interessierte – er hat mehr Bücher über Pflanzen als über Tiere geschrieben –, glaubte, dass die Wurzeln der Pflanzen in ähnlicher Weise Chemikalien und Abläufe regeln wie das Gehirn beim Menschen.
Sie waren ursprünglich Meeresbiologin. Warum sind Sie zu Pflanzen übergewechselt?
Monica Gagliano Ich habe Fische am Great Barrier Reef studiert. Aber in der Forschung muss man die Tiere, mit denen man arbeitet, töten, um sie zu untersuchen. Man klärt das mit einem Ethikrat ab und bekommt dafür eine Bewilligung. Ich konnte das nicht länger mit meiner eigenen Ethik vereinbaren. Das stürzte mich in eine Krise. Ich dachte: Jetzt kann ich nicht mehr Forscherin sein. Dabei wollte ich mein ganzes Leben lang immer nur in der Wissenschaft arbeiten. Was sollte ich tun? Dann bin ich bei den Pflanzen gelandet. Ich bin mit der gleichen Sichtweise an sie herangegangen wie vorher an meine Fische und habe ähnliche Fragen gestellt – das Verhalten betreffend.
„Es liegt in unserem Wesen, eine Verbindung zur Natur zu suchen, sobald die Ablenkungen der modernen Gesellschaften kurzzeitig verschwinden. Das ist ein gutes Zeichen.“
Hatten Sie schon immer eine enge Verbindung zur Natur?
Monica Gagliano Ich bin in einer kleinen Stadtwohnung in Italien aufgewachsen. Meine Verbindung zur Natur waren Goldfische im Aquarium und Vögel im Käfig. Man muss nicht tief in den Wald gehen, um Kontakt zur Natur zu bekommen. Natürlich ist es schön im Wald! Aber wir sind auch in der Stadt von Pflanzen umgeben: am Straßenrand, in Parks oder einfach auf dem Balkon und dem Fensterbrett.
Das ist etwas, das ich an Pflanzen liebe. Sie sind bescheiden, sie bewegen sich nicht, aber sie produzieren Sauerstoff und sind sehr lebendig. Sie sind einfach nur sie selber. Wir können davon viel lernen. Dieser Tage wohne ich mitten im Wald, aber ich habe trotzdem ein paar Pflanzen im Haus. Ich genieße ihre Gesellschaft, und ich hoffe, dass sie meine genießen! Sie haben Namen und sind gewissermaßen meine Mitbewohner.
In Ihrem Buch bezeichnen Sie Gewächse auch als „Pflanzen-Personen“.
Monica Gagliano Für mich können nicht nur Menschen Personen sein. Ich lehne mich an die Sicht mancher Naturvölker an, wonach alle Dinge miteinander verbunden sind. In manchen Kulturen gelten selbst Felsen als Personen. Man sieht sie als Vorfahren, weil unsere Knochen die gleichen Mineralien enthalten wie die Felsen, welche die Gebirge bilden. Wenn man wirklich über die Sache nachdenkt, erkennt man, dass wir aus Dingen bestehen, die vor uns existiert haben. Das heißt, dass wir alle mit allem verbunden und eins sind.
Hegen Sie die Hoffnung, dass eine neue Sicht der Pflanzen verändern könnte, wie wir mit der Natur umgehen?
Monica Gagliano Wie wohl jeder in diesem Forschungsgebiet! Während der Pandemie hat man gesehen, dass sich Menschen, die gezwungen waren, zu Hause zu bleiben, dem Gärtnern oder Topfpflanzen zuwandten. Solange sie nur etwas mit Pflanzen machen konnten, etwas, das mit gedeihen und wachsen zu tun hat! Das verrät mir, dass es in unserem Wesen liegt, eine Verbindung zur Natur zu suchen, sobald die Ablenkungen der modernen Gesellschaften kurzzeitig verschwinden. Das ist ein gutes Zeichen, dass etwas im Gang ist! Ich hoffe, dass ich dazu beitragen kann.
Zur Person
Monica Gagliano lebt in Ostaustralien, neun Stunden nördlich von Sydney. Sie ist Research Associate Professor für Evolutionäre Ökologie am Biological Intelligence´(BI) Lab der Southern Cross University, Adjunkt-Professor an der Universität von Westaustralien und Forscherin an der Universität von Sydney. Zuletzt veröffentlichte sie das Buch „Thus spoke the plant“, in dem sie sowohl über ihre Forschung als auch ihre Erfahrungen mit Schamanen und traditionellen Heilern berichtet.
Kulturtipps von Monica Gagliano
Hören Praful & Spirited Tribe: „Espirito das Plantas“
Ich liebe dieses Stück von der Veröffentlichung „Call of the Beloved“! Praful & Spirited Tribe machen Weltmusik, und das ganze Album ist wunderschön.
Lesen Martin Shaw: „A Branch from the Lightning Tree“
Dieser erste Band der Mythteller-Trilogie ist eine außerordentliche und überaus wichtige Lektüre. Er bringt Mythisches und Poesie in unsere Welt, durch eine Sprache der allerschönsten Art. Alles zusammen Balsam und ein Ehrfurcht einflößendes Heilmittel für unsere derzeitige Wahrnehmung der Welt.
Sehen Frauke Sandig & Eric Black: „Aware – Glimpses of Consciousness“
Ein zeitgerechter Dokumentarfilm, der beim jüngsten Hof International Film Festival Premiere hatte. Gedreht haben ihn zwei Freunde von mir, Frauke Sandig und Eric Black, beide unglaubliche Filmemacher. Ich selber komme auch darin vor.
Ute Eberle Text
David Maurice Smith Foto
Dieses Interview ist erschienen in Werde 01/2021