Living Soil Journey

„Unsere Böden sind unsere Lebensgrundlage“

Werde & Friends

Welche Bedürfnisse haben eigentlich Landwirte und Landwirtinnen? Was brauchen sie, damit die Umstellung auf regenerative Anbaupraktiken gelingt? Der Landwirt Michael Reber und der Journalist Simon Michel-Berger sind sich einig, dass das Wissen über den Boden genauso Pflege und Fürsprecher braucht wie der Boden selbst.

Living Soil Journey Michael Reber Landwirte

Sein Wissen zu Bodenfruchtbarkeit und zur regenerativen Bewirtschaftung mit anderen Höfen und Landwirten zu teilen, motiviert Michael Reber jeden Tag aufs Neue. Genauso ergeht es Simon Michel-Berger, der den Anliegen der Landwirte eine Stimme geben will, die gehört wird.

Living Soil Journey Simon Michel-Berger Landwirte

Welches Erlebnis hat dich persönlich für das Thema gesunder Boden sensibilisiert?
Michael Reber Schon vor über zehn Jahren stellten wir fest, dass die klimatischen Veränderungen an unserem Standort mit schweren Tonböden zu stagnierenden bis rückläufigen Erträgen geführt hatten. Wie der Boden uns helfen kann, damit umzugehen wurde mir während eines zehntägigen Bodenkurses im Jahr 2014 und 2015 plötzlich schlagartig klar. Seither versuchen wir, dieses Wissen zusammen mit unseren eigenen Erfahrungen umzusetzen.

Simon Michel-Berger Eine Kalkung zum Schutz des Bodens im Forst, bei der ich vor Jahren dabei war, hat mich sehr beeindruckt. Sie hat mir deutlich gemacht, welche Pflege ein augenscheinlich gesundes Ökosystem benötigt.

Wie geht es deinem Boden heute und was zeichnet ihn aus?
Michael Reber Vor allem die Fähigkeit, Wasser zu speichern, ist deutlich sichtbar. Allerdings merke ich, dass so ein Boden ein hochkomplexes System ist, in das wir als Landwirte immer irgendwo eingreifen und somit jedes Jahr jede Menge Fehler machen können. Seitdem ich mit dem Boden arbeite, macht mir  Landwirtschaft auch wieder Spaß und ich merke, dass sich auch unsere Kinder wieder mehr für das interessieren, was „der Papa“ da macht.

Simon Michel-Berger In meiner Heimat im Landkreis Ebersberg gibt es eine hohe Vielfalt an unterschiedlichen Böden. Die Bodengüte schwankt von sehr hoch bis niedrig, liegt aber insgesamt in etwa im bayerischen Durchschnitt. Im Nordwesten des Landkreises überwiegt Ackerbau, im Südosten Grünland. Eine wichtige Rolle spielt bei uns auch Waldboden: Der Ebersberger Forst mit seinen rund 9.000 ha ist eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete in Deutschland.

Welche Strukturen, Rahmenbedingungen und Knowhow brauchen die Landwirtinnen und Landwirte heute?
Michael Reber Die Basis für unsere Arbeit ist das Wissen über Zusammenhänge im Boden. Den Boden als komplexes System zu verstehen – das lernen wir insbesondere im konventionellen Bereich bis heute eigentlich nicht. Technik und Chemie machen vieles beherrschbar, haben uns aber oft auch in eine Sackgasse geführt. Die Politik setzt für Bodenaufbau oft zu enge Grenzen, etwa damit, was gefördert wird und was nicht.

Jedes Jahr herrschen andere Wetterbedingungen, wie man im Juli 2021 am Starkregen und Überflutungen an manchen Orten sehen kann. Zum einen muss ich als Landwirt in der Lage sein zu reagieren, andererseits sollten Landwirte auch in die Planungen des Hochwassermanagements der Kommunen mit einbezogen werden. Politik setzt aber den Rahmen so, dass Maßnahmen immer kontrollierbar und messbar sein müssen, was aber nicht unbedingt sinnvoll ist!

Simon Michel-Berger Die meisten Landwirtinnen und Landwirte wissen, dass ihr Boden wichtig ist. Und angesichts der Komplexität der Bodenfruchtbarkeit hört das Lernen, wie man die Bodenqualität verbessert, nie auf. Dabei sind es oft einzelne Pioniere oder Leuchtturmbetriebe, die es schaffen, das Wissen über den Humusaufbau effektiv weiter zu verbreiten. Wissenstransfer ist entscheidend: Als Fachzeitschrift und Online-Portal wollen wir bei agrarheute dieses Wissen bekannter machen und dazu beitragen, Praktikerinnen und Praktiker zu vernetzen.

„Wir haben eine Verantwortung. Die Erde wird uns Menschen überleben, wir Menschen aber nicht die Erde.“ (Michael Reber)

Was braucht es, damit die Bodenfruchtbarkeit wieder die Beachtung bekommt, die sie braucht und der Transfer zum regenerativen Anbau gelingt?
Michael Reber Es braucht wieder Wissen! Wenn etwa nach fünf bis acht Jahren die Investitionsphase geschafft ist, habe ich auch einen wirtschaftlichen Vorteil davon. Allerdings fehlt den meisten Betrieben eben sowohl das Wissen als auch das Kapital, um in den Boden und die Bodenfruchtbarkeit zu investieren. Außerdem sehen die meisten Grundstückseigentümer der Flächen, die sie an die Landwirte verpachten, nur die Höhe der Pacht als alleinige Messgröße.

Investiere ich in meinen oder einen gepachteten Boden, stelle ich mich wirtschaftlich erst mal schlechter als ein Betrieb, der das nicht tut. Wenigen Verpächtern ist es wichtig, WIE ihre Flächen bewirtschaftet werden. Das ist extrem frustrierend. Wer Flächen einfach nur runterwirtschaftet, kann eben auch  höhere Pachtpreise bezahlen… Wir brauchen da eine Bewusstseinsänderung bei den Eigentümern.

Living Soil Journey Landwirte

Simon Michel-Berger Ein Ansatz kann es sein, etwa den Humusaufbau, der die Fähigkeit des Bodens CO2 zu speichern erhöht, auch finanziell zu belohnen. Wer heute eine Flugreise kompensieren will, dessen Geld fließt unter anderem in Photovoltaik- und Biogasanlagen in anderen Ländern. Warum können mit diesen Mitteln nicht regionale Projekte bei uns unterstützt werden?

Wie können sich Landwirte als Erzeuger und die Gesellschaft als Konsumenten wieder näherkommen?
Michael Reber Wir als Landwirte müssen zeigen, was wir tun. Nicht nur auf Social Media, sondern auch direkt vor Ort über Zeitung, Radio, Fernsehen, Hofführungen etc. Nur so können wir Vertrauen gewinnen. Unser Problem ist, dass die meisten Betriebe zu reinen Rohstofflieferanten geworden sind. Wer Produkte hat, die er direkt an den Verbraucher verkaufen kann, ist klar im Vorteil, weil er die Menschen persönlich erreicht.

Wir müssen aber auch Plattformen schaffen, auf denen andere Betriebe sichtbar werden können. Wie das konkret funktionieren kann, fällt auch mir schwer. Auch wenn wir bisher keinen direkten Kontakt mit der Bevölkerung über landwirtschaftliche Erzeugnisse haben, machen wir durch Transparenz gute Erfahrungen. So entsteht Vertrauen. Allerdings ist das zusätzlich zeitlicher Aufwand, den wir nicht vergütet bekommen.

Simon Michel-Berger Zunächst braucht es möglichst gutes Verständnis für die Sorgen und Wünsche der jeweils anderen Seite. Jede Änderung – sei es in der Bodenbewirtschaftung oder im Einkaufsverhalten – ist mit Belastungen verbunden: Weil weniger Düngung zunächst den Ertrag schmälert, müssen Lebensmittel teurer werden. Wichtig ist, dass diese Belastungen so verteilt werden, dass nicht eine Gruppe die Hauptlast der Anpassung trägt – die Landwirte, weil sie Einkommen verlieren oder weniger wohlhabende Verbraucher, weil sie mehr Geld für Lebensmittel ausgeben müssen.

Was kann jede*r Einzelne von uns konkret tun, damit die Böden, auf denen unsere Nahrungsmittel wachsen, gesund und fruchtbar bleiben respektive wieder werden?
Michael Reber Wir müssen für das Thema immer wieder sensibilisieren. Und dabei immer wieder betonen: Unsere Böden sind unsere Lebensgrundlage! Sich darum zu kümmern, leuchtet ein. Aber wir treten den Boden wortwörtlich mit Füßen. Die wenigsten machen das absichtlich. Eben deshalb müssen wir die Probleme aufzeigen, ohne dabei mit dem Finger auf jemanden zu zeigen. Die Leute mitnehmen – Landwirte, Politik, Grundstückseigentümer, etc.

Simon Michel-Berger Zuerst muss man sich bewusst machen, dass scheinbar einfache Lösungen, die etwa vom Staat verordnet werden, selten funktionieren. Besser ist es, in partnerschaftlichen Gesprächen Lösungen zu erarbeiten, welche die Kräfte des Marktes nutzen. Ein gutes Beispiel wie so etwas funktionieren kann, steht im Abschlussbericht der Zukunftskommission Landwirtschaft: Wir brauchen einen funktionierenden Markt, in dem die Verbraucher in der großen Breite einen angemessenen Preis für nachhaltige Produkte bezahlen. Das ist eine so große Herausforderung, dass es nur mit einer großen, gesamtgesellschaftlichen Anstrengung funktionieren kann.

Was möchtest du mit deiner Arbeit erreichen?
Michael Reber Ich möchte den Boden wieder in den Fokus der Landwirtinnen und Landwirte UND der Gesellschaft rücken. Schließlich leben  wir alle, Menschen und Tiere, von diesen oberen 20 cm Boden, sind auf seine Fruchtbarkeit auch für die nächsten Generationen angewiesen.  Wir haben eine Verantwortung. Die Erde wird uns Menschen überleben, wir Menschen aber nicht die Erde.

Simon Michel-Berger Ich möchte Verständnis schaffen für die Anliegen der Landwirte und Brücken bauen zu Partnern im Rest der Gesellschaft: Verbrauchern, Politik, Handel, Industrie, usw. Die Herausforderungen, vor denen die Landwirtschaft steht – auch, aber nicht nur beim Bodenschutz – sind gewaltig und Lösungen kostspielig. Bewältigt werden können sie nur, wenn alle gemeinsam an einem Strang ziehen. Denn langfristig funktioniert nur eine Lösung, die auf die Kräfte des Marktes setzt.

Worauf bist du stolz?
Michael Reber Meine Frau und ich haben in den vergangen zwei Jahren fast 700 Bäuerinnen und Bauern zu den Grundlagen der Bodenfruchtbarkeit geschult  – 500 hier auf dem Hof, 200 in der Corona-Zwangspause digital via Webinar. Über die Hälfte der Teilnehmenden war unter 30 Jahre alt – unsere nächste Generation nimmt die Herausforderungen an und will etwas verändern. Das motiviert ungemein!

Simon Michel-Berger Zusammen mit meiner Redaktion bei agrarheute möchte ich gute Arbeit machen und unseren Beitrag zur Weiterentwicklung der Landwirtschaft leisten. Wenn uns das ein Stück weit gelingt, bin ich zufrieden.

Zur Person
Michael Reber (49) ist Agrarwissenschaftler und Landwirt. 1997 übernahm er den Familienbetrieb in sechster Generation. Dort steht heute die Biogasanlage im Mittelpunkt, die in Kooperation mit den Stadtwerken Schwäbisch Hall betrieben wird. In Seminaren zur Bodenfruchtbarkeit gibt Michael sein Wissen darüber weiter – und erreicht via Social Media immer mehr Landwirte aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Simon Michel-Berger (43) ist Chefredakteur von agrarheute. Neben agrarheute.com, dem wichtigsten Informationsportal zur Landwirtschaft in Deutschland, erscheint agrarheute auch als Monatszeitschrift und ist live zu erleben. Unter anderem beim CeresAward, dem Wettbewerb zum Landwirt des Jahres.

Living Soil Journey
Bei der digitalen Dialogserie Living Soil Journey diskutieren Expert*innen, Aktivist*innen und andere Interessierte darüber, wie die Transformation hin zu regenerativer Landwirtschaft und mehr Bodengesundheit gelingen kann. Michael Reber und Simon Michael-Berger waren als Speaker beim vierten Dialog dabei. Das Motto: „Bedürfnisse der Landwirt*innen“. Die Living Soil Journey ist ein Projekt von Weleda und ProjectTogether, Werde ist Medienpartner.

Schaue dir hier den ganzen vierten Dialog der Living Soil Journey als Aufzeichnung an. Ab 15. September geht es bei der Living Soil Journey weiter – melde dich jetzt an für die nächsten Dialoge

Interview Kristina Hartmann
Foto Jessica Jungbauer, dlv / Jakob Berr, Michael Reber