Der Spanier Alberto Bustos schafft Keramikskulpturen, die in Museen rund um den Globus ausgestellt werden. Mit seiner Kunst will er darauf aufmerksam machen, wie sehr wir uns selbst schaden, wenn wir die Umwelt zerstören.
Normalerweise hält es Bustos nur drei, vier Wochen am Stück in seinem Zuhause. Doch im vergangenen Frühjahr durfte der Keramikkünstler die eigenen vier Wände kaum verlassen. In Spanien herrschte zu Beginn der Corona-Krise eine strikte Ausgangssperre, und alle Veranstaltungen waren abgesagt. Seine Frau, Lorena González, erinnert sich: „Es war furchtbar mit ihm.“
Zu dieser Zeit veröffentlichte der Künstler ein Video im Netz. Es zeigt, wie er sein Heim in eine Galerie verwandelte. Er platzierte seine Skulpturen auf dem Toilettendeckel, in einem Haufen schmutziger Tücher vor der Waschmaschine, auf der Wäscheleine und dem Bügelbrett. Er versah die Videosequenzen mit Schriftzügen wie „Meditation“ und „Desinfektion“. „Das brachte etwas Abwechslung in meinen Alltag“, erläutert er schmunzelnd.
Angst und Trauer in Porzellan
Doch Bustos zeigt auch die Szenen, mit denen das Video beginnt. Zu sehen ist das Foto einer Skulptur, mit der er Angst und Trauer thematisierte. Sie trägt den Titel „Die Toten sind keine Nummern, sondern Noten eines Lieds über das Nachdenken und die Hoffnung“. Das Werk besteht aus vielen abgebrochenen Porzellanstäbchen, die der Künstler zu einem Haufen zusammenfügte. Einige Stäbe formte er länger, versah sie mit roten, orangefarbigen, grünen Flecken und ließ sie ein paar Zentimeter aus dem Wirrwarr herausragen.
Der Künstler Alberto Bustos bannt seine Gefühle in Ton. Das Material ist sein Ausdrucksmittel. Ohne Einsatz von Werkzeugen schafft er mit bloßen Händen Werke voller Kontraste: Einzelne Elemente, die an Wellen, fließendes Blut oder biegsame Halme erinnern, durchbrechen gleichförmige oder kantige Bestandteile. Frisches Grün verteidigt seinen Platz neben wucherndem Grau. „Um die Betrachter und Betrachterinnen leichter zu erreichen, versehe ich meine Skulpturen mit längeren Titeln“, sagt Bustos. Sie lauten zum Beispiel „Ich werde nicht aufhören, es zu versuchen. Meine Essenz ist nicht verhandelbar“, „Die Geometrie überleben“, „Ich brauche dein Land“, „Brüche machen uns menschlich“.
Die Kurse von Alberto Bustos sind längst ausgebucht
In der Welt der Keramik gilt Bustos als Referenz, als einer der ganz Großen. Er hat mehrere internationale Preise gewonnen. Seine Kunst war auch schon in Deutschland zu sehen, im Keramikmuseum Westerwald zwischen Bonn und Frankfurt am Main. Der Kurs, den er im Herbst dort geben wird, ist längst ausgebucht. „Als Kind war ich am liebsten in der Natur, doch diese Momente waren selten“, erläutert der 48-Jährige. Denn er stammt aus „einer Stadt ohne Grün“, wie er sagt, aus Valladolid, zwischen Madrid und León. „Die Sehnsucht nach der Natur prägt meine Arbeit bis heute.“
Bustos redet gern über seine Gefühle. Und er macht sich Gedanken darüber, wie er auf die Leute wirkt und sie auf ihn. Ein bleibender Eindruck: anders zu sein als die Menschen in seiner Umgebung. In seiner Jugend mied er laute Diskotheken und ging lieber wandern. Heute höre er beim Essen mit Freunden lieber zu, als selbst etwas zu sagen. Seit drei Jahren lebt und arbeitet der Künstler im Haus seiner Schwiegermutter in einer Wohnsiedlung in Bellvei an der spanischen Mittelmeerküste. Er geht viel spazieren. „Ich genieße das Meer und die grünen Hügel in der Nähe“, erläutert er.
In seiner Werkstatt, einem schmalen Raum hinter der Küche, schaut er auf ein Foto von einem alten Haus, das renoviert wird. Es liegt abgelegen auf 1000 Meter Höhe in den Bergen Asturiens in Nordspanien. Von dort schweift der Blick weit auf schneebedeckte Gipfel, die Picos de Europa. Seine Frau und er rechnen damit, im nächsten Jahr einziehen zu können. „Ich freue mich darauf, vor die Tür zu treten und dabei zu denken: ,Wie schön ist es hier!‘“, träumt der Künstler.
Mit Trance-Sound zur Form
Auf seinem Arbeitstisch thront eine fast fertige Skulptur. Bustos nimmt aus einer Tüte ein Stück Ton, der besonders viel Kaolin – weiße Tonerde – enthält und nach dem Brennen bei 1300 bis 1450 Grad zu Porzellan verglast. Er drückt das Material, formt einen Kegel und schlägt ihn immer mit der gleichen Seite dreimal auf die Tischplatte. „Eins, zwei, drei, wenden“, sagt er, dreht das Stück und wiederholt den Vorgang. Das macht er so oft, bis alle Seiten gleichmäßig platt sind. Ein neuer eckiger Zapfen ist fertig.
Für gewöhnlich trägt der Künstler bei der Arbeit Kopfhörer und hört Trance, elektronische Musik, die genauso rhythmusorientiert ist wie seine Bewegungen beim Formen des neuen Zapfens. Der Töpfer legt ihn mit einer Längsseite an die anderen Zapfen, die er kreisförmig angeordnet hat. Er nimmt etwas Wasser und bröckelt Ton hinein. „Diese Mischung ist mein Klebstoff, den ich brauche, um alle Elemente aneinander- zufügen“, erklärt er.
Seine Technik besteht darin, viele Einzelteile zu formen wie dicke und dünne Zapfen, lange und kurze Stäbe und Bänder. Aus diesen Bestandteilen setzt er größere Formen zusammen. „Es ist wichtig, dass die vielen Teile jeweils aus einem Stück Ton bestehen“, erklärt der Fachmann, „damit sich keine Luftblasen bilden, die beim Brennen die Skulptur zum Platzen bringen.“ Was soll uns dieses Werk sagen?, das ist eine Frage, die viele Künstler ablehnen. Bustos allerdings mag sie. „Ich lege bewusst einen Sinn hinein“, erklärt er und zeigt auf den unfertigen Kranz: „Diese gleichförmigen Zapfen, die dicht an dicht liegen, stehen für die Gesellschaft.“
Doch zwei Zapfen sehen anders aus, sie sind viel länger, jeweils an einem Ende geschwungen, und am anderen verschmelzen sie miteinander. „Die beiden repräsentieren zwei Individuen, die zusammenfinden und auf diese Weise die Gleichförmigkeit der Gesellschaft verlassen“, verrät er. Doch das Werk lässt viele Deutungen zu: Es könnte auch für seine Geburtsstadt Valladolid stehen: die kantigen Zapfen für die vielen Häuser und die beiden geschwungenen Elemente für die wenige Natur. „Ich freue mich, wenn die Stücke in den Betrachtern und Betrachterinnen Gefühle auslösen – auch wenn die Skulpturen ihnen vielleicht etwas ganz anderes sagen als mir.“
Bustos verkauft seine Skulpturen zu einem Preis von je 2000 bis 3000 Euro, hauptsächlich an Kundschaft in den USA. „Sag nicht, dass das zu teuer ist“, wendet der Spanier ein, „sag lieber, dass du andere Prioritäten hast.“ Er kritisiert, dass Keramikkunst in Europa zu wenig anerkannt wird. „Dabei ist es eine sehr komplexe Disziplin mit vielen Fallen“, sagt er. „Während deine Form trocknet, können Risse oder Blasen entstehen, die musst du glätten oder polieren. Außerdem musst du damit rechnen, dass sich dein Werk während des Brennvorgangs im Ofen noch einmal verändert.“
Bustos möchte eine Bresche für die Keramikkünstler schlagen, aber auch für die Kunsthandwerker, die aus Ton Gebrauchsgegenstände herstellen. „In Asien sind die Menschen bereit, für einen handgemachten Krug aus Keramik, aus dem sie täglich trinken, einen angemessenen Preis zu bezahlen“, erläutert er. „In Europa hingegen bevorzugen wir maschinell hergestellte Teller und Tassen. Sie sind zwar billiger, sehen aber alle gleich aus.“
Vom Verkauf seiner Skulpturen allein kann Bustos nicht leben. Für den Broterwerb gibt er Workshops. Auf einer Weltkarte, die er in seinem Arbeitszimmer aufgehängt hat, sind die Länder, in denen er bereits unterrichtete, grün markiert: die USA, Kolumbien, Ecuador, Brasilien, die Niederlande, Deutschland, Russland, China, Indonesien, Japan.
In seinen Kursen leitet er die Teilnehmenden an, den Ton kräftig zu kneten und ihn auf die Tischplatte zu schlagen, um das Material geschmeidig zu machen. „Wir haben uns zu weit von der Natur entfernt“, findet Bustos. Anstatt die Umwelt zu respektieren, würden wir sie fortschreitend zerstören. „Meist übersehen wir, dass wir dabei auch den Respekt gegenüber uns selbst verlieren“, sagt der Künstler.
Die Arbeit mit einem natürlichen Material wie Ton sei ein Mittel, um wieder zu sich zu finden. „Mir ist es wichtig, dass wir dabei mit den Händen arbeiten, denn so teilen wir unsere Persönlichkeit mit“, erläutert Bustos. „Außerdem rate ich, lieber nur eine Technik zu erlernen. Wenn wir sie über Jahr praktizieren, verfeinern wir sie und verleihen ihr Individualität.“
Mit seinen Workshops will Bustos andere motivieren. Deshalb erzählt er den Kursteilnehmenden viel von sich. Von seiner Schule, auf der er als besonders unkonzentriert auffiel. Er spricht von seinem Wunsch, Biologe zu werden, der scheiterte, weil die Familie das Studium nicht finanzieren konnte. „Trotz Schwierigkeiten und Verzicht kann ich mich heute meiner Leidenschaft widmen“, so der Künstler.
Fast täglich erhält Bustos eine E-Mail von Kunststudentinnen und -studenten. „Sie schreiben mir von ihrem inneren Zensor“, berichtet er. „Sie haben im Laufe ihres Studiums die Lehrkräfte zu häufig ,Nein, so geht das nicht‘ sagen hören.“ An Bustos’ Skulpturen hingegen glauben sie zu erkennen, dass er unvoreingenommen an die Arbeit geht. „In diesem Zusammenhang ist es ein Vorteil, Autodidakt zu sein“, erläutert der Spanier, der viele Jahre lang in einem Grafikbüro für Industriedesign arbeitete und sich nur am Feierabend der Kunst widmete. „Ich versuche, die Studierenden zu ermutigen, damit sie sich selbst mehr vertrauen“, verrät der Töpfer. „Aber ich weiß, dass das nicht leicht ist, wir müssen uns immer wieder freikämpfen.“
„Ich habe mich schon immer mit der Natur identifiziert. Skulpturen, mit denen ich die Umweltzerstörung thematisiere, spiegeln auch die Empfindungen wider, die mein Leben prägen.“
In den vergangenen Monaten organisierte der Künstler im Kulturzentrum Terrassa im Großraum Barcelona wieder die erste Ausstellung außerhalb von zu Hause, die den Titel „natuRareza“ trug. Das Wortspiel, bestehend aus den Begriffen „naturaleza“ und „rareza“, also Natur und Seltenheit, Rarität, löst Assoziationen aus wie „einzigartige“ oder „schwindende Natur“ – womit Bustos beides meint: die Natur an sich, Pflanzen, Tiere, natürliche Materialien wie Ton und die menschliche Natur.
Einige Werke, die Bustos im Kulturzentrum auf ein Meter hohe Säulen gestellt hat, mögen zum Beispiel an die moderne Agrarlandschaft erinnern: Es sind Werke, die aus vielen einzelnen mehr oder weniger geschwungenen Zapfen bestehen, die in ihrer Gesamtheit wirken wie ein eintöniges Feld im Wind, eine riesige Fläche, auf der nur Mais, Raps oder Weizen wächst und von der Bienen und Schmetterlinge verschwunden sind.
Doch die Skulpturen enthalten auch immer ein Element, das die Gleichförmigkeit durchbricht, filigranes Grün, das so aussieht wie der Stängel einer Blume. „Ich habe mich schon immer mit der Natur identifiziert“, sagt der Künstler. „Skulpturen, mit denen ich die Umweltzerstörung thematisiere, spiegeln auch die Empfindungen wider, die mein Leben prägen.“
Bei seinen vielen Reisen war Bustos auch schon in New York. Es hat ihn überrascht, dass ausgerechnet er – der Naturliebhaber – sich in diese laute und chaotische Stadt verliebte. Doch wenn er sie beschreibt, klingt es so, als würde er über eine seiner Skulpturen sprechen. „Ich habe den Frieden des Central Park genossen, dieser riesigen grünen Oase, die gefangen gehalten wird von den vielen Hochhäusern drum herum“, erinnert er sich. „Der Widerstreit von Organischem und Anorganischem fasziniert mich.“ Vielleicht liefert New York die besten Hinweise, um die Botschaft von Bustos’ Werken zu verstehen.
Text Stephanie Eichler
Foto Emanuel Herm
Dieser Beitrag ist erschienen in Werde 02/2021