Ihre Energie ist fast greifbar. Ihre Lebensfreude so echt. Ihre braunen Augen strahlen, wenn sie von ihren Bäumen erzählt. Es sind rund 100 Apfelbäume auf einer Fläche von neun Hektar Land auf dem Hof Gosselding in Oberbayern. Seit 2020 sind sie im Besitz von Rabea und ihrer Schwester Mara – kein Eigentum. Denn Besitz wird zu Lebzeiten für die nächste Generation gehegt, gepflegt und dieser dann vermacht. Das ist für Rabea selbstverständlich. Der Verkauf des Grundstücks wäre möglich, die Verpachtung auch. Aber einfach undenkbar.
Rabea spricht von den Bäumen wie andere von Freunden. Sie kennt jeden einzelnen, kann über jeden Stamm eine Geschichte erzählen. Für sie sind Bäume Persönlichkeiten, mit individueller Architektur, eigenem Charakter, manchmal Krankheiten und natürlich verschiedensten Apfelsorten. „So unterschiedlich im Geschmack wie Weine“, schwärmt sie. 70 dieser Apfelbäume wurden 1995 gepflanzt. In dem Jahr, in dem sie geboren wurde. Ob Zufall oder nicht – es wirkt wie ein Zeichen.
Der Hof ist seit 1674 in Familienbesitz. Rabea und ihre Schwester fühlen sich in zehnter Generation dem Land verpflichtet. „Man pflanzt nie einen Baum für sich selbst, sondern für die, die nach einem kommen.“ Mit diesem Selbstverständnis pflegt die Familie den Bestand, seit der erste Baum eingesetzt wurde: im Jahr 1782. Eine lange Tradition, in die Rabea mit ihren 28 Jahren eintritt, und ein „sehr schöner Übergabeprozess mit dem Vater“, der ihr zur Seite steht, wenn sie ihn braucht. Aber sie ist selbst vorbereitet. Mit gerade 15 verlässt sie die Schule, weil sie echtes Leben lernen möchte. Am liebsten als Köchin, denn die Liebe zur Schönheit von frischem Gemüse, Kräutern, zum Duft von Ölen, der Verarbeitung zu köstlichen Speisen trägt sie auch damals schon in sich.
Doch sie entscheidet sich zunächst gegen den Herd, „denn ich hätte als 15-jähriges Mädchen die Männer in einer Küche nur durcheinandergebracht“, meinte der Küchenchef. So steht zunächst eine Ausbildung zur ländlichen Hauswirtschaftslehre an. Das klingt wie von gestern, und das ist es auch. Fächer wie Altenpflege, Kindererziehung, diverse Hausarbeiten, aber ebenso Tätigkeiten im Stall wie Melken und Schlachten stehen auf dem Stundenplan. Und auch Kochen. Sie hängt noch ein Studium als Betriebswirtin im Bereich Hotel- und Eventmanagement dran.
„Ich möchte, dass das Land in seinem natürlichen Kreislauf gedeiht. Dazu gehört, dass die Ernte in einem Jahr schlechter ausfällt, dafür im Folgejahr reich an wunderbaren Früchten ist.“
Rabea Königbauer
Den Abschluss im Gepäck, geht sie nach Italien. Sie heuert in der Toskana im Agriturismo „Locanda Casanuova“ an. Mit nur geringen Sprachkenntnissen. Bleibt für drei Jahre und sammelt wertvolle Erfahrungen in allen Bereichen – vom Service über die Rezeption bis zur Küche und dem Gemüsegarten. Und wird heute gebucht, um die Verantwortung zu übernehmen, wenn die Hoteliers Urlaub machen. Rabea genießt großes Vertrauen. Das ist offensichtlich. Sie ist gut in den Dingen, die sie macht. Das spürt man, wenn sie spricht. Nach gut drei Jahren wirbt sie ein begeisterter Gast aus Hamburg ab und bittet sie, das Catering für sein neues Fotostudio zu übernehmen und eine passende Küche aufzubauen. Es ist Zeit für Veränderung, und sie nimmt an. Tauscht das sonnige Leben in Italien gegen die hanseatische Kühle. Doch sie kann das tun, was sie liebt. Sich mit frischen Lebensmittel beschäftigen, sie auf Qualität prüfen und auswählen, kochen und bewirten. So sind es täglich bis zu 60 Mittagessen – als One-Woman-Show. Kräftezehrend auch mit Mitte 20.
Dieser Stress und die Pandemie führen sie zurück auf den Hof in Gosselding. Doch der Aufenthalt wird keine Verschnaufpause. Die Bäume sind eingewickelt in Stacheldraht – um sie vor den Kühen zu schützen. In monatelanger Arbeit befreit sie Baum für Baum. Und entwickelt eine ungeahnte Zuneigung zu den prächtigen Gewächsen. Ein vielseitiges Projekt führt Rabea nach Hamburg zurück. Sie beteiligt sich als Co-Gastgeberin beim Genussprojekt und Kochsalon „Die Speisegesellschaft“. Hier entwickelt sie Rezepte, dekoriert Tische, kocht, zeichnet die Speisekarten für regionale Produkte. Überhaupt zeichnet sie lieber, als dass sie schreibt. In ihrem Notizbuch sind mehr Bilder als Worte.
Die Sehnsucht nach Gosselding wird größer, der Garten zunehmend wichtiger. Sie fährt im späten Winter zum Beschnitt der Bäume. Mit Motorsäge und Zangen bewaffnet gewährt sie ihnen Raum, um zu gedeihen und Früchte zu tragen. Kommt dann zur Ernte im Spätsommer, mostet Apfelsaft und produziert Marmeladen, Gelees und Essig im Herbst und Winter. Die Arbeit zahlt sich schon heute aus. Sie kann immer mehr und vor allem immer aromatischere Äpfel ernten.
Zwischendurch kommt sie nach Hamburg. Denn sie braucht nach der Erdung auf dem Land die Bewegung und den Austausch in der Stadt. Sie arbeitet als Käse-Affineurin und organisiert Caterings. Sie möchte die Schönheit von Nahrung vermitteln, zum bewussten Konsum anregen. „Der einfachste Weg, sich selbst Gutes zu tun, ist, gute Lebensmittel zu genießen und damit auch der Umwelt zu helfen.“
Sorgen macht ihr der Klimawandel, denn der Grundwasserspiegel sinkt ebenso wie die Anzahl der Bestäuber. Auch Hagelstürme, die früher eine sehr seltene Katastrophe waren, sind inzwischen häufiger. Aber Rabea ist sich sicher: „Den besten Schutz liefert die Natur selbst, wenn man sie
machen lässt. Vielfalt, im krassen Gegensatz zur Monokultur, die heutzutage überwiegt, sorgt dafür, dass widerstandsfähige Sorten die Extremsituationen kompensieren können.“
Ihre Baumlandschaften versteht sie als natürliche Zwischenwelten inmitten einer industriellen und effizienzgetriebenen Landwirtschaft, die den Boden auslaugt und die Natur zerstört. Rabea hat ein klares Bild von ihrer Zukunft. Sie möchte ganz nach Gosselding ziehen. Von den Äpfeln und selbst hergestellten Erzeugnissen leben. In der Mitte des Hofes soll dann ein großer Tisch stehen, den sie für ihre Gäste mit den köstlichsten Speisen eindecken wird. Und zum Nachtisch gibt es herrlich duftenden Apfelkuchen.
Text: Jan Wickmann, Fotos: Uta Gleiser