Albi- Essen aus unserer Stadt

Albi – Essen aus unserer Stadt

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Die Stadt Albi hatte einen guten Plan: zu 100 Prozent selbst versorgen mit regionalen Lebensmitteln. Doch die Umsetzung scheiterte. Jetzt zeigen engagierte Einwohner, wie aus der ehrgeizigen Idee doch noch etwas werden kann.

In Albi werden Obst und Gemüse aus einem Auto heraus verkauft

„Ausgerechnet der Boden am Stadtrand, den Bauern und Bäuerinnen bestellen müssen, damit eine regionale Ernährung gelingt, ist sehr umkämpft.“

Marion Miller, eine zierliche Französin mit kinnlangem, blondem Haar, holt Kisten voller Salate, Radieschen und Zwiebeln aus einem Transporter. Sie hängt ein Schild an den Dachgepäckträger. In kunstvollen Lettern steht „La Grange du Serayol“ darauf, zu Deutsch: die Scheune Serayol.

Miller arbeitet als Grafikerin, sie hat das Schild gestaltet. Zusätzlich baut sie Obst und Gemüse an. „Ich wollte mich zunächst nur selbst ernähren“, sagt sie, „jetzt möchte ich eines Tages davon leben können“. Ihr Mann August, groß und mit Dreitagebart, ist eigentlich Architekt, doch seit Jahren arbeitet er lieber auf dem Feld. „Gemüse anzubauen und zu verkaufen ist für mich ein Vorwand, um auf ehrliche Art und Weise mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen“, erläutert er.

Seine Ernte verkauft das Paar jeden Donnerstagnachmittag auf dem Bauernmarkt Castelviel im südfranzösischen Albi. Die Stadtverwaltung hat ihn ins Leben gerufen, damit Gärtner und Gärtnerinnen ohne administrativen Aufwand ihre Waren anbieten können.

Ein Mann in Albi gießt seinen grünen Garten

Die Selbstversorger-Stadt mit 50.000 Einwohnern

Der Markt ist Teil eines erstaunlichen Projekts. Im Jahr 2014 kündigte Jean-Michel Bouat, der Stadtrat für nachhaltige Entwicklung, etwas Wichtiges an. Albi, eine rund 50.000 Einwohner zählende Stadt, soll in Sachen Lebensmittel autark werden. Alle Menschen, die in Albi leben, sollten sich hauptsächlich von dem ernähren können, was das Land im Umkreis von 60 Kilometern an Nahrung zur Verfügung stellt.

Viele Franzosen und Französinnen möchten genau wie viele Deutsche wissen, wo ihr Essen herkommt, und wollen die heimischen Bauern und Märkte stärken. Bevorzugt wird dabei eine regionale Ernährung, weil sie Emissionen des Treibhausgases CO2 wegen der kurzen Transportwege reduziert.

„Das war ein spektakuläres Vorhaben, für das Albi in den Medien viel Applaus erntete.“

2020 wollte die Stadt ihr Ziel erreicht haben. Bouat kündigte ehrgeizige Maßnahmen an. So sollte die Landwirtschaftskammer die Bauern der Umgebung schulen, damit sie ihre Produktion an die Bedürfnisse der Stadt anpassen. Zusätzlich wollte der Politiker viel Land kaufen und es an Gärtner verpachten, damit sie dort für den regionalen Markt Obst und Gemüse anbauen.

Beide Ideen zündeten nicht. Obendrein gibt es nicht einmal in den städtischen Kantinen und Mensen, wo die Stadt selbst bestimmt, regionales Essen. Heute ernährt sich Albi gerade mal zu zwei Prozent selbst, so wie fast alle anderen Städte Frankreichs auch, wie eine Studie des Thinktanks Utopies ergeben hat.

Frühlingszwiebeln und Radieschen legen nebeneinander in Kisten

Hühner auf einer Farm im französischen Albi

Suche nach einem passenden Ort

Auf dem Bauernmarkt packt August Miller Salat in eine Papiertüte und reicht sie einer Kundin. Er nimmt sich Zeit beim Gemüseverkaufen, bevor er seinen Freund Gregory Pepin, der ihm manchmal auf dem Feld hilft und an diesem Tag auf dem Markt vorbeischaut, begrüßt. „Die Politiker schwingen große Reden, engagieren sich aber kaum“, kritisiert Pepin.

Die Stadt hatte angekündigt, in Canavières, einem Gebiet am Stadtrand, 73 Hektar Land zu erwerben. „Das war ein spektakuläres Vorhaben, für das Albi in den Medien viel Applaus erntete“, erinnert sich Pepin. „Doch das Projekt ist fast vollständig gescheitert.“ Aufgrund schwieriger Eigentumsverhältnisse konnte das Rathaus nur zehn Hektar kaufen.

Die Verwaltung siedelte dort fünf Menschen an, vier davon Quereinsteiger, die die Flächen umweltfreundlich bewirtschaften sollten, um ihr Obst und Gemüse in der Region zu verkaufen. „Wir wollten uns bewerben, um mitzumachen“, erzählt Miller. Jahrelang hatten er und seine Frau in den USA auf verschiedenen Farmen gearbeitet und wollten nun selbst einen Obst-und-Gemüse-Betrieb gründen. Zwei Jahre lang hatten sie nach einem passenden Ort gesucht. Weil der Boden gut ist und viele junge Familien dort leben, fiel die Wahl auf Albi.

„Wir möchten, dass unsere Kunden zu uns auf den Hof kommen“, erklärt Miller. „Die Pachtverträge in Canavières sind aber prekär. Die Stadt hat jederzeit das Recht zu kündigen.“ Und auf manchen Feldern besteht kein Zugang zu Wasser, und es dürfen keine Schuppen gebaut werden, die aber nötig wären, um Geräte zu verstauen und die Ernte zu lagern. Tatsächlich gärtnert inzwischen nur noch eine Person weiter, auf einem Teilstück der zehn stadteigenen Hektar.

Menschen unterhalten sich in einem Wald in Albi70 Gemüsesorten

Dabei handelt es sich um Jean-Gabriel Pélissou. Der gelernte Landschaftsplaner wischt sich den Schweiß von der Stirn, Erdbeeren ernten ist anstrengend. „Es ist eine harte Arbeit, aber ich mag sie“, sagt er. Er pachtet eineinhalb Hektar Land in Canavières. Viel Wissen sei nötig, um den Boden erfolgreich zu bestellen. Seine Flächen wirken wie eine Oase und zeigen, wie es Gärtnern gelingen kann, Menschen mit regionalen und umweltfreundlichen Lebensmitteln zu versorgen und davon zu leben.

Inmitten eines Wäldchens aus jungen Ahornbäumen und Eschen sowie Haselnusssträuchern hat Pélissou freie Flächen geschlagen und dort Hochbeete angelegt, in denen um die 70 verschiedene Gemüsesorten gedeihen. „Tomaten, Auberginen, Zucchini, das typische Ratatouille-Gemüse“, erklärt er, „aber auch Fenchel und Artischocken.“

Eine Pflanze mit gelben Früchten wächst in einem Garten

Für den Weltmarkt

Die Kombination von Bäumen und einer Vielfalt von Gemüse und Beeren empfehlen auch die Expertinnen von Utopies im Rahmen ihrer Studie zur Versorgung der Städte Frankreichs mit regionalen Lebensmitteln. Die Agroforstwirtschaft stabilisiert die Erträge, besonders in Zeiten des Klimawandels, wenn die Sommer trockener und wärmer werden. Tatsächlich spenden Pélissous Bäume Schatten und schützen die Pflanzen vor der Hitze.

Zusätzlich gelingt es ihm, ein natürliches Ökosystem nachzuahmen. Der Gärtner kann auf den Einsatz von Pestiziden verzichten: „Im Holz leben viele Käfer, sie fressen Nacktschnecken, die es auf mein Gemüse abgesehen haben. Doch die Käfer nehmen nicht überhand, weil in den Baumkronen Vögel nisten, die die Krabbler und ihre Larven einfach vertilgen.“

Albi auf der Weltkulturerbe-Liste

Die UNESCO setzte 2010 die Altstadt von Albi auf ihre Weltkulturerbe-Liste, aufgrund der prächtigen Backsteinarchitektur. Die Kathedrale Sainte-Cécile, der Berbie-Palast, die Stadthäuser und der Pont Vieux, die alte Brücke, sind Zeugen einer Zeit, in der die Bevölkerung Albis tatsächlich fast ausschließlich Lebensmittel verzehrte, die die Bäuerinnen und Bauern der Umgebung produzierten.

In der Regel ernährten sich bis vor gut 100 Jahren alle Städte selbst. Auch heute ist Albi von Äckern umgeben. Dort wächst aber fast ausschließlich Getreide. Der größte Anteil wird über den Weltmarkt vertrieben. Dabei ist kaum nachvollziehbar, wo die Körner letztendlich landen – ob in Frankreich, Afrika oder in den USA. Würden die Bauern ihre Produktion an die Nachfrage der Stadt anpassen, könnte sich Albi zu 95 Prozent selbst versorgen, wie die Utopies-Untersuchung ergeben hat.

„Seit mehr als 50 Jahren leben wir in einem industriellen Ernährungssystem, aus dem wir jetzt herauskommen müssen.“

Jean-Michel Bouat, der Stadtrat, der für das Projekt der Selbstversorgung zuständig ist, räumt Fehler ein. Er habe nun verstanden, dass er die Menschen, die er zur Bewirtschaftung von Flächen gewinnt, auch schulen muss, damit sie nicht so schnell aufgeben. Aber warum steigen nicht mehr Getreidebauern aus der Umgebung um und bauen Obst und Gemüse für die Menschen aus Albi an?

Auch bei regionalem Joghurt und Fleisch ist die Nachfrage größer als das Angebot. „Seit mehr als 50 Jahren leben wir in einem industriellen Ernährungssystem, aus dem wir jetzt herauskommen müssen“, antwortet Bouat. „Die Produktionsweise der Bauern ändert sich aber nur langsam.“

Schwierigkeiten mit Verträgen

Damit mehr Landwirte und Landwirtinnen bei einem Projekt wie der Selbstversorgung Albis mitmachen, brauchen sie verbindliche Anreize. „Eine Stadtverwaltung kann bewirken, dass in öffentlichen Cafeterien und Mensen mehr regionale Lebensmittel auf den Tellern landen“, sagt Annette Piorr vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung in Müncheberg.

Die Professorin berät die Stadt Berlin, die eine Ernährungsstrategie entwickelt, um eine Versorgung mit regionalen Lebensmitteln zu fördern. „Dabei ist es wichtig, mit den Bauern mehrjährige Verträge abzuschließen“, so die Wissenschaftlerin, „denn lange Laufzeiten versprechen finanzielle Sicherheit“. Und die wäre ein wichtiger Anreiz für die Bauern rund um Albi. Um anstatt wie seit Jahren Getreide für den Großhandel anzubauen und dafür Unterstützungsleistungen aus den Töpfen der Europäischen Union zu erhalten, etwas Neues zu wagen: die Produktion einer Vielfalt von Nahrungsmitteln, um die Region zu versorgen.

Zwei Menschen unterhalten sich zuhause

In einem Garten wachsen verschiedene Pflanzen

Es ist erstaunlich: In Albi wird in den Schulen und über den fahrbaren Mittagstisch nur einmal im Monat ein „menu 100 % local“ angeboten. Die „Cuisine Centrale“, die Zen tralküche, bereitet täglich 3400 Mittagessen zu, nimmt aber kaum regionale Zutaten ab. Albi wendet dafür kein Geld auf. Joghurt und Nudeln aus der Region kosten mehr als doppelt so viel wie die industriellen Produkte.

Erdbeeren essen für den Klimawandel

Auf dem Gelände der Universität von Albi gießt Gregory Pepin, der Freund der Millers und selbst Biogärtner, Erdbeeren, die auf Hochbeeten wachsen. Er mulcht Zucchini mit Holzabfällen und rupft im Schatten von Bäumen und Sträuchern unerwünschte Kräuter aus. Der 40-Jährige ernährt sich seit zehn Jahren ausschließlich regional.

„Wir haben keine Zeit zu verlieren, um dem Klimawandel entgegenzuwirken“, sagt Pepin. Mit dem Garten möchte er anderen Menschen lokale Ernährung schmackhaft machen, sie dürfen ernten und essen. Diese Idee ist Kern des Konzepts von „Les Incroyables Comestibles Albigeois“, zu Deutsch: die Unglaublich Essbaren aus Albi. Als offizieller Partner der Stadtverwaltung macht der Verein mit beim Projekt der Ernährungssouveränität.

„In ihrer Freizeit kommen die jungen Gärtnerinnen und Gärtner nun vorbei und pflegen ihre Pflanzen.“

Ein kleiner Garten in der Stadt französischen Stadt Albi

Gleichgesinnte gewinnen

Die Mitglieder haben an vier verschiedenen Standpunkten Gärten angelegt. In einem hat Pepin mit einer Schulklasse Bohnen, Erbsen und Kartoffeln angebaut. „In ihrer Freizeit kommen die jungen Gärtnerinnen und Gärtner nun vorbei und pflegen ihre Pflanzen“, freut sich Pepin.

Auf dem Wochenmarkt haben Marion und August Miller fast alles verkauft. Begeistert erzählen sie davon, dass sie weiteres Land erwerben möchten, um mehr Lebensmittel zu produzieren. Dem Paar ist es geglückt, Gleichgesinnte zu gewinnen, Lehrer, Unternehmer, Elektriker, um gemeinschaftlich Flächen zu erwerben. Marion Miller: „Ausgerechnet der Boden am Stadtrand, den Bauern und Bäuerinnen bestellen müssen, damit eine regionale Ernährung gelingt, ist sehr umkämpft.“

Der Schatten von einer Pflanze auf einem grünen Blatt

In Frankreich wie in Deutschland konkurrieren Großinvestoren, die Flächen zu hohen Preisen kaufen und auf Wertsteigerung spekulieren, mit den Landwirten. Bäuerliche Betriebe, die sich neu gründen, haben dabei oft das Nachsehen. „Wenn sie sich mit engagierten Bürgern zusammentun, um die Flächen gemeinsam zu erwerben, könnte das eine Lösung sein“, erklärt die Wissenschaftlerin Annette Piorr.

Sie beobachtet ähnliche Projekte im Großraum Berlin. Das Paar und seine Mitstreiter wollen einem Getreidebauern, der sich zur Ruhe setzt und keine Nachkommen hat, 17 Hektar Land abkaufen. Gärtner und Gärtnerinnen sollen den Boden pachten und beackern. So könnte den beiden gelingen, was die Stadtverwaltung angekündigt, aber längst nicht erreicht hat: in Stadtnähe Landwirte anzusiedeln, die die Menschen der Umgebung versorgen.

 

Text Stephanie Eichler  Fotos Emanuel Herm