Fridays For Future Sommerkongress

„Wir sorgen dafür, dass die Klimakrise am Küchentisch besprochen wird“

Beitrag Interviews

Die 18-Jährige Ragna Diederichs hat ihr Abitur gemacht und gleichzeitig die Fridays-for-Future-Bewegung in Deutschland mit aufgebaut. Mit Werde spricht sie über die Forderungen der Bewegung, mediale Aufmerksamkeit und die Vorbereitungen zum Sommerkongress in Dortmund.

Fridays For Future Sommerkongress

Ragna, über 1,8 Millionen Schüler sollen an den größten Demos teilgenommen haben, Staatschefs auf der ganzen Welt treffen euch, Greta Thunberg ist für den Nobelpreis nominiert. Hat Fridays for Future es
geschafft?
Ragna Diederichs Was wir auf jeden Fall geschafft haben, ist, die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Klima zu lenken. Selten war das Thema in so vielen Talkshows, Zeitungen und Wohnzimmern präsent wie gerade. Aber unsere Forderungen wurden bisher nicht umgesetzt. Es wird noch immer nur geredet, statt die wichtigen Schritte zu gehen.

Im April habt ihr konkrete Forderungen aufgestellt: Kohleausstieg bis 2030, kompletter Umstieg auf erneuerbare Energien bis 2035 und eine CO2-Steuer. Im Januar hattet ihr noch gesagt, es sei nicht eure Aufgabe, politische Maßnahmen zu erarbeiten. Was hat euch umgestimmt?
Ragna Diederichs Anfang des Jahres hatten wir Sorge, dass man uns zerreißen würde, falls wir Forderungen aufstellen würden, die nicht ausreichend wissenschaftlich fundiert wären. Nach dem bundesweiten Streik im Januar und der großen medialen Aufmerksamkeit wurde uns aber klar, dass wir einstimmig kommunizieren müssen, was wir wollen. Dann haben einige von uns eine Arbeitsgruppe gegründet und sich von Wissenschaftlern beraten lassen, womit unsere anfängliche Sorge erlosch, denn die Fakten sind klar. Aber wir erwarten von der Politik, dass sie klärt, wie sich unsere Forderungen konkret umsetzen lassen. Uns ist wichtig, dass das sehr bald geschieht. Ich fürchte, wir müssen noch mal ordentlich Druck ausüben.

Wie macht ihr das denn, Druck ausüben?
Ragna Diederichs Zunächst wenden wir uns natürlich an die Politik. Wir streiken vor Rathäusern und Landtagen – freitags, denn am Wochenende sitzt dort niemand. Wir üben aber auch schon immer indirekt Druck auf all die Familien aus, deren Kinder zu den Streiks kommen. Wir sorgen dafür, dass die Klimakrise bei ihnen am Küchentisch besprochen wird. Danach akzeptieren die Eltern es vielleicht eher, wenn der Diesel-Firmenwagen nicht mehr steuerlich begünstigt wird. Junge Leute für Politk zu begeistern ist schwer.

Ihr habt es geschafft. Wie?
Ragna Diederichs Wir wissen, was in unserer Zielgruppe gut ankommt, weil wir selber jung sind. Bei den Streiks stehen Mitschülerinnen auf der Bühne, und es läuft Musik, die gerade angesagt ist. Und bei der Mobilisierung für den Sommerkongress haben wir zum Beispiel auf Memes gesetzt, also Insider aus dem Internet, die nur Leute in unserem Alter verstehen und lustig finden. Irgendjemand von uns hat mal gesagt: Wir haben Klimaschutz cool gemacht. Ich glaube, das stimmt.

Fridays for Future ist mittlerweile in über 500 Orten vertreten. Wie organisiert ihr euch?
Ragna Diederichs Die Ortsgruppen können das eigentlich machen, wie sie wollen, es gibt kein Kontrollgremium. Um gemeinsame Forderungen abzustimmen, haben wir bundesweite Arbeitsgruppen und ein Delegiertensystem: Jede Ortsgruppe bestimmt eine Person, die sie vertritt. Jeden Sonntag um 17.30 Uhr treffen sich die Delegierten in einer bundesweiten Telefonkonferenz. Da stellen wir Dinge wie die Forderungen vor, sie werden in einem kurzen Protokoll zusammengefasst und in die Ortsgruppen zurückgetragen. Mithilfe eines Internetformulars stimmen sie dann über die Forderungen ab.

Ein Vorwurf an Fridays for Future lautet, dass nur privilegierte Schüler teilnehmen. Besteht die Bewegung vor allem aus Gymnasiasten?
Ragna Diederichs Am Anfang haben die Leute, die die Streiks organisiert haben, vor allem an ihren eigenen Schulen dafür geworben. Dementsprechend war dann auch das Milieu recht homogen. Ich hatte noch nicht die Zeit, mir zu überlegen, wie wir das verbessern können.

Ein anderes Thema ist gerade die Geschlechteraufteilung. Auf den Demos und auf Instagram sind die Frauen präsenter. In den bundesweiten Arbeitsgruppen ist es halb-halb. Da stellen sich auch öfter Männer in den Vordergrund, wie man es eben kennt. Wir haben jetzt eine Awareness-AG, die sich um so was kümmert. Aber in anderen Bereichen sind wir bereits sehr inklusiv. Der Anteil von Menschen mit Behinderung ist in der Bewegung sehr groß. Besonders Menschen mit Autismus sind stark vertreten. Es liegt bestimmt auch an Greta Thunberg, die ja ebenfalls Autismus hat, dass sie sich angesprochen fühlen.

In Deutschland hat Fridays for Future ein eigenes Gesicht: Luisa Neubauer. Wie fühlt es sich für euch anderen an, dass sie öffentlich im Vordergrund steht?
Ragna Diederichs Generell kann die Aufmerksamkeit der Presse natürlich schnell zu Neid führen. Viele hat Luisas Präsenz, glaube ich, gestört, weil sie das Gefühl hatten, dass vielleicht sie selbst die Bewegung besser vertreten könnten. Aber ich war mir immer sicher, dass Luisa das sehr gut macht, und hätte nicht mit ihr tauschen wollen. Das kann ja auch eine große Belastung sein, so in der Öffentlichkeit zu stehen. In die Vorbereitung des Sommerkongresses war Luisa nicht so stark involviert wie andere. Deshalb war sie auch nicht das Gesicht vom Sommerkongress.

Nach vielen internen Diskussionen ist aber auch mehr Leuten klar geworden, warum bekannte Gesichter sehr hilfreich sind für eine Bewegung. Am Ende geht es uns allen darum, die Klimakrise bestmöglich abzuwenden. Dafür können wir es verkraften, dass ein paar Leute nicht die öffentliche Wertschätzung erfahren, die sie verdient hätten.

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Zur Person
Ragna Diederichs baute die Fridays-for-Future-Bewegung in Deutschland mit auf, während sie ihr Abitur machte. Sie gründete eine der ersten Ortsgruppen und baute gemeinsam mit Jakob Blasel die Fridays-for-Future-Website auf. Ragna motiviert Freunde in Göttingen, mit ihr zu streiken, nimmt fast täglich an bundesweiten Telefonkonferenzen teil und übernimmt mehr und mehr Verantwortung. Ab Juni organisierte sie den Sommerkongress in Dortmund.