Fridays for Future ist in sechs Monaten zur größten Jugendbewegung in Europa gewachsen. Wie gelingt dies den selbst organisierten Schülern und Studenten? In welche Richtung geht es weiter? Werde war beim Sommercamp in Dortmund dabei.
Donnerstagabend, kurz nach 20 Uhr, „Tagesschau“. Der lang gezogene Ton, der die Nachrichtensendung einläutet, schallt aus den Lautsprechern der Bühne und fließt über eine Wiese voller junger Menschen. Es ist wahr-scheinlich das erste Mal, dass dieser Gong hier ertönt. Sonst ist es im Dortmunder Revierpark eher still. Doch in der ersten Augustwoche fand hier der Sommerkongress von Fridays for Future statt. Ein Zusammen-treffen von über 1500 jungen Aktivisten, Mädchen und Jungen, die seit Monaten einen konsequenteren Klimaschutz fordern. „Es ist ein total schönes Gefühl, zu sehen, wie viele Leute aktiv sind. Aber es ist immer noch ein Frust, dass nichts passiert. Und das zeigt halt nur, dass wir weitermachen müssen“, sagt eine junge Frau auf der Leinwand in ein blaues TV-Mikrofon.
Jetzt sitzt sie mit Hunderten Mitstreitern vor der Bühne und schaut sich selbst im „Fernsehen“ zu. Die Organisatoren des Kongresses haben die „Tagesschau“ um 20 Uhr im Büro angeschaut und kurzerhand entschieden, sie auf der großen Bühne inmitten des Camps erneut abzuspielen. Zwei von sechzehn Minuten der Sendung sind dem Sommerkongress gewidmet. Die jungen Zuschauer bejubeln sich selbst. Fridays for Future hat es geschafft: In den letzten Monaten brachte die junge Bewegung die Debatte um den Klimawandel immer wieder in Nachrichtensendungen, auf Titelseiten und an die Küchentische der Republik.
Das Haus brennt
„Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ – so lautet einer der Sprechgesänge, die deutsche Fridays-for-Future-Gruppen bei ihren wöchentlichen Streiks immer wieder riefen. Weltweit sind im letzten halben Jahr Schüler und Studenten auf die Straße gekommen, um klarzumachen: Wenn wir die internationalen Klimaziele erreichen wollen, müssen wir jetzt handeln. 2015, bei der Klimakonferenz in Paris, hatten sich die 195 Staaten darauf geeinigt, eine Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius anzustreben. Vier Jahre später stellt der Weltklimarats IPCC in einem Sonderbericht fest, dass der weltweite Temperaturanstieg über den Landflächen bereits 1,53 Grad erreicht hat. 2018 und 2019 trafen Europa enorme Hitzewellen, Waldbrände werden weltweit häufiger und heftiger, und sogar die Arktis steht diesen Sommer in Flammen.
„Ich möchte, dass ihr handelt, als würde das Haus brennen. Denn es brennt.“ Mit diesen Worten richtete sich Greta Thunberg im Januar an Topmanager und Spitzenpolitiker beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Zeitgleich demonstrierten in Berlin etwa 10.000 Schüler und Studenten vor dem Bundeswirtschaftsministerium, in dem die Kohle-kommission tagte. Es war der erste Zentralstreik. Es folgten der 1. März, an dem Greta in Hamburg mitlief, der erste globale Protesttag am 15. März, der Streik zur Europawahl am 24. Mai und all die großen und kleinen Demos in Städten wie Münster, Mannheim, Marburg und Mittweida.
Über 500 Ortsgruppen zählt die Bewegung in Deutschland nach eigenen Angaben bereits. Manche bestehen aus fünf, andere aus fünfzig Mitgliedern. In Dortmund sind es etwa 20, die regelmäßig zu den Treffen kommen. Antonio Pittau ist einer von ihnen.
Zum ersten Mal hört Antonio im Radio von Fridays for Future. Der 16-jährige Dortmunder läuft zu Hause durch die Küche, als er etwas über die wöchentlichen Streiks fürs Klima aufschnappt. Er tippt den Namen in sein Handy ein und stößt auf die Seite von Fridays for Future Deutschland. Noch ein Klick, und er ist Teil einer bundesweiten WhatsApp-Gruppe. Er bekommt dort Dinge über das Klima zu hören, die ihn vorher nicht besonders interessiert haben. Er beginnt Artikel zu lesen, sich weiter zu informieren und zu den Streiks zu gehen.
Ein halbes Jahr später steht er mitten im Zentrum der Bewegung – in der Küche eines ehemaligen Gemeindehauses in Dortmund. Hier haben sich einige Aktivisten für ein paar Wochen einquartiert, um gemeinsam den Sommerkongress vorzubereiten, der beweisen soll: Fridays for Future fällt in kein Sommerloch.
Antonio und die Schule
Antonio wohnt noch zu Hause. Aber an den Wochenenden hilft er in der „Kongress-WG“ mit. Ein Samstag Mitte Juli. Während eine junge Mitstreiterin aus Dortmund Pfannkuchen für das Mittagessen brät und ein Student aus Frankfurt Teller und Tassen für alle spült, wischt Antonio den Boden. Dabei diskutieren sie über Lokalpolitik, kostenlosen öffentlichen Nahverkehr und unterschiedliche Schuldirektoren. Antonio hat seine Schule als nicht so kooperativ wahrgenommen. Trotzdem ist es ihm einmal gelungen, seine ganze Stufe zum Streik zu bewegen. Er selbst war fast jede Woche dabei. Unentschuldigte Fehltage stehen aber nicht in seinem Zeugnis – es ist das Abschlusszeugnis der Realschule, darauf werden keine Fehlstunden eingetragen.
Die Küchentür geht auf, nach und nach trudeln etwa 20 hungrige junge Erwachsene ein. Sie nehmen an den vier quadratischen Tischen Platz, die zu einer Art Tafel zusammengeschoben wurden, und reichen Schoko-Aufstrich, Obst und Marmelade für die Pfannkuchen herum. Zwei Kerzen und ein paar Postkarten an der Wand brechen mit dem Jugendherbergseindruck, der dem Gemeindehaus anhaftet. Die Küche ist provisorisch eingerichtet. Auf dem Boden türmen sich alte Pizzakartons. Draußen im Flur steht ein Einkaufswagen mit leeren Flaschen – Öl und Mate, aber auch Wein und Bier. Die WG wirkt wie eine Mischung aus einem jugendlichen Sommerlager und der Zentrale einer professionellen Umweltorganisation.
Die Wände des knapp 20 Quadratmeter großen „Orga-Büros“ hängen voller Flipcharts und Moderationskarten: To-do-Listen, Aufgabenverteilung, ein Lageplan von dem Kongressgelände. In der Ecke steht ein Drucker, auf den Tischen in der Mitte des Raums liegen Laptops, Handys, Stifte, Flaschen, Kabel und Sticker durcheinander. Von hier aus wird der deutsche Sommerkongress geplant, der Anfang August in Dortmund stattfindet.
Der Sommerkongress – er soll zeigen, dass Fridays for Future eine Bewegung ist, die es ernst meint. Dass die jungen Aktivisten in den Ferien nicht nur weiter streiken, sondern sich auch weiterbilden und unter-einander vernetzen. „Die Klimakrise macht keine Pause“, sagen sie immer. Seit den ersten Streiks im November 2018 hat auch die Bewegung nicht pausiert. Sie ist stetig gewachsen und motivierter denn je. So wirkt es zumindest nach außen. Es ist das, was die Organisatoren des Sommerkongresses in Interviews sagen und was die bundesweiten Medien schreiben.
Es gibt aber auch kleinere Ortsgruppen, denen langsam die Puste ausgeht. In Städten wie Bitburg und Landshut sind es immer wieder dieselben fünf Engagierten, die sich um alles kümmern. Sie schaffen es nur alle paar Wochen, genug Menschen für eine Demo zu mobilisieren. Der Sommerkongress soll ein Motivationsschub für sie sein. Die Bewegung wird einen langen Atem brauchen. Denn auch wenn es gerade viel Aufmerksam-keit für die Klimakrise gibt; von der Umsetzung der Fridays-for-Future-Forderungen ist Deutschland noch weit entfernt.
Lucas und die sozialen Medien
Um wirklich etwas zu bewegen, muss Fridays for Future sich in das Spiel zwischen Politik, Industrie, Medien und Zivilgesellschaft einmischen – strategisch agieren. Den Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich bundesweit engagieren, ist das bewusst. Einige von ihnen haben vorher andere Umweltschutzorganisationen unterstützt, erfahrene Kampaigner und Wissenschaftler stehen ihnen jederzeit beratend zur Verfügung. Doch Fridays for Future funktioniert anders als Greenpeace oder der BUND: Ein elementarer Teil der DNA ist, dass Fridays for Future eine Schüler-bewegung ist.
„Wir sind jung und können uns austoben, denn wir sind unsere eigenen Chefs“, sagt Lucas Pohl. Der 21-jährige Student aus Kiel ist für den offiziellen Auftritt von Fridays for Future in den sozialen Medien zuständig. Deutschlandweite Aufrufe zu Streiks oder auch Stellungnahmen zu aktuellen Aussagen von Politikern werden in Form von kleinen quadratischen Bildern über WhatsApp, Instagram oder Facebook geteilt. 80 Prozent dieser sogenannten Sharepics habe Lucas designt, sagt er. Auch das Video, in dem die Organisatoren für den Sommerkongress werben, hat Lucas produziert.
In den kleinen Bildern und Videos steckt sehr viel Arbeit. „Trotzdem müssen sie natürlich wirken, dürfen nicht zu perfekt aussehen“, sagt Lucas. Schließlich sei Fridays for Future eine selbst organisierte Schülerbewegung. Die meisten Ortsgruppen haben eigene Twitter- oder Instagram-Accounts, die sie selbst verwalten. „Zentrale Vorgaben dazu, was oder wie die Ortsgruppen kommunizieren sollen, gibt es nicht“, sagt Ragna Diederichs, eine der Hauptorganisatorinnen. Sie erinnere sich noch an die langen Diskussionen darüber, ob man den Ortsgruppen etwas vorschreiben sollte oder nicht. Im Internet, wo Inhalte innerhalb von Minuten tausendfach geteilt werden, könne ein unüberlegter, missverständlicher Post einer Ortsgruppe verheerende Folgen für die ganze Bewegung haben.
Das Internet – es ist der zweite elementare Bestandteil der Fridays-for-Future-DNA. Ohne Messenger-Dienste und Software für Telefon-konferenzen wäre die Koordination von über 500 Ortsgruppen in so kurzer Zeit nicht möglich. Ohne die multiplizierende Wirkung der sozialen Medien wäre Fridays for Future heute nicht so groß. „Aktivismus findet heutzutage zu 80 Prozent an Smartphone und Computer statt“, sagt Lucas. Drei Telefonkonferenzen am Tag und bis zu zehn Stunden Bildschirmzeit sind für die Mitglieder des Orga-Teams normal geworden.
Die hellwache Helena
Dass Aktivismus vor allem Büroarbeit ist, hat auch Helena Marschall in den letzten Wochen gelernt. Die 17-jährige Schülerin aus Oberursel hat über Whats-App vom Sommerkongress erfahren und sich entschieden, ihre Sommerferien in Dortmund in der Wohngemeinschaft zu verbringen. Dort hat sie sich dem Logistikteam angeschlossen und gelernt, wie man eine Bühne bestellt, Unterkünfte im Hotel bucht und vor allem, wie man viele Menschen koordiniert. 200 Jugendliche, aber auch Erwachsene der solidarischen Organisation „Parents for Future“ haben sich freiwillig gemeldet, während des Kongresses mitzuhelfen.
Helena ist ihre erste Ansprechpartnerin. Während des Kongresses fährt sie mit dem Fahrrad von A nach B, versorgt Helfende mit Süßigkeiten und schaut überall nach dem Rechten. In einem Ohr trägt sie den Stöpsel eines Funkgeräts. Alle paar Minuten hält sie inne, um eine Frage zu beantworten oder selbst etwas an die anderen Organisatoren zu funken: „Durchsage an alle. Wenn ihr Uwe seht, den Kloputzkönig von den Parents, sagt ihm bitte, dass wieder ein Klo verstopft ist.“
Helena macht ihre Aufgabe sichtlich Spaß. Sie ist in den letzten Tagen um 6 oder 7 Uhr aufgewacht und hat bis spätabends durchgearbeitet. Am Samstagvormittag, nach drei Tagen Kongress: keine Spur von Erschöpfung. „Meine Mama sagt immer, ich bin naturkoffeiniert“, scherzt sie. Immer wieder tippt sie etwas in ihr Handy. Auch das zeigt keine Müdigkeit, Helena nutzt eine Powerbank, damit sie rund um die Uhr erreichbar ist.
Für die Handys der „Teilis“, wie Helena und die anderen Organisatoren die Teilnehmenden nennen, gibt es im Infozelt bei der Hauptwiese eine Ladestation. Unzählige Smartphones hängen dort in Steckerleisten. Die Jugendlichen können ihr Handy hier abgeben und bekommen eine Nummer, wie in einer Garderobe. „Wie geht’s?“, fragt jemand in den kleinen Pavillon. Als Antwort klatschen die Jugendlichen im Infozelt ein paarmal in die Hände, formen dann mit den Armen ein Dreieck über dem Kopf und rufen: „Spitze!“ Das kleine aufmunternde Spiel hat jemand der WG in Dortmund beigebracht. Erst fanden sie es albern, aber irgendwann wurde es ein lustiger Running Gag, der sich auf dem Kongress schnell ausgebreitet hat. Von der Bühne auf der Hauptwiese herab und sogar bei der Aktion in der Innenstadt wurde das Spielchen schon gemacht.
Vermutlich wird es von hier aus in die verschiedenen Ortsgruppen getragen, gemeinsam mit vielen neuen Anregungen, Aktionsideen und Kontakten zu anderen Aktivist_innen aus ganz Deutschland.
Ein anderes Leben ist möglich
„Das Tollste am Kongress ist, dass er uns gezeigt hat: Ein anderes Leben ist möglich“, erzählen drei Teilnehmende aus der Nürnberger Ortsgruppe. „Alle hier sind freundlich und solidarisch. Man kann sofort miteinander reden, als würde man sich schon lange kennen.“ Und geredet wurde viel auf dem Kongress. In über 200 Workshops, Podiumsgesprächen und Ver-netzungstreffen haben sich die Jugendlichen persönlich kennengelernt und ausgetauscht. Die große Frage, wie es mit der Bewegung weitergeht, war jedoch zu umfassend, um auf dem Kongress beantwortet zu werden.
Auch bei der „Systemfrage“ kam es zu keiner Einigung: Ist Klimaschutz innerhalb des kapitalistischen Wirtschaftssystems möglich, oder ist ein Systemwandel notwendig, um die Klimaziele zu erreichen? Sollte sich die Bewegung weiterhin bemühen, massentauglich zu sein, oder sich radikalisieren? Und was heißt überhaupt radikalisieren? Diese Fragen kamen immer wieder auf, die Meinungen gehen auseinander. „Es wird teilweise hitzig diskutiert, aber wir müssen keinen Konsens finden“, sagt eine Teilnehmerin aus Landshut am Samstagnachmittag. „Wichtig ist, dass wir uns von der Systemfrage nicht aufspalten lassen, sondern weiterhin gemeinsam kämpfen.“
Wie geht es weiter?
Der nächste große Streik ist schon angekündigt: Für den 20. September, an dem das Klimakabinett das erste bundesdeutsche Klimaschutzgesetz beschließen will, hat Fridays for Future zum Generalstreik aufgerufen. Dieses Mal sollen alle mit auf die Straße kommen: Junge, Alte, Arme, Reiche, Arbeitssuchende und Arbeitende, alle. Viel Zeit zum Ausruhen bleibt dem Orga-Team bis dahin nicht. Für Helena und Antonio geht bald die Schule wieder los, Lucas kümmert sich noch um den Abbau, und Ragna fuhr von Dortmund direkt nach Lausanne zum europäischen Kongress von Fridays for Future. Auch dort ging es um die Frage, wie sich die Bewegung in Zukunft ausrichtet.
Weitere Beiträge zur Fridays for Future Bewegung:
Drei Fragen an Helena Marschall
Interview mit Ragna Diederichs