Gesa Müller-Schulz und Hannes Höhne kämpfen beide für gesunde Böden – und haben dafür ganz unterschiedliche Wege gefunden. Während Gesa Müller-Schulz mit ihrer Plattform Deutschland Forstet Auf Freiwillige deutschlandweit auf Pflanzaktionen aufmerksam macht und sich mit Agroforstwirtschaft beschäftigt, betreibt Hannes Höhne gemeinsam mit anderen Menschen regenerative Landwirtschaft auf dem Gut Haidehof.
Was bedeutet für dich ein „gesunder Boden“?
Gesa Müller-Schulz Gesunder Boden ist für mich voll von Leben. Ich sehe Regenwürmer und anderes Getier. Und es riecht immer auch ein bisschen wie Wald.
Hannes Höhne Gesunder Boden ist für unser Team auf dem Haidehof die Grundlage für gesunde Lebensmittel. Dazu müssen wir den Boden als komplexes, vielfältiges, lebendiges System verstehen. Boden wird erst durch das vitale Zusammenspiel von großen und kleinen Lebewesen und ihren Vernetzungen zu fruchtbarem Nährboden. Vielfältige Mikrobiologie – von Bakterien über Viren bis hin zu Pilzen – und Kleinstlebewesen sowie die natürlichen Wechselwirkungen zwischen Flora und Fauna machen und halten Boden „gesund“.
Welche Verbindung hast du persönlich zu Boden, Wald und Landwirtschaft?
Gesa Müller-Schulz Ich bin in einem kleinen Kaff in Niedersachsen groß geworden. Als Kind war es für mich normal, durch die Feldmark und die angrenzenden Wälder zu streunen. Erst im Studium, als ich zunehmend von Allergien geplagt war und mir gesagt wurde, dass ich als Landkind diese doch gar nicht haben sollte, ist mir aufgefallen, wie sehr sich meine Kindheit, mein Dorf, die Art der Landwirtschaft, wie sie im realen stattfindet, von den Bildern in Kinderbüchern und auf Ponyhöfen unterscheidet. Kunstdünger, Pestizide, Gülle und Monokulturen statt Misthaufen, Kühen und Schafe in kleinen Gruppen auf der Wiese.
Hannes Höhne Zunächst sehen wir als Landwirte eine enorme gesellschaftliche Verantwortung in der Bodenpflege. Wie der Gastwirt sich um das leibliche Wohl seiner Gäste kümmert, versorgt der gute Landwirt das ihm anvertraute Land. Dabei spielt das faszinierende System Boden natürlich eine verbindende Rolle bei der Landnutzung, egal ob Acker, Wald und Wiese.
Am Ende sind dies menschengemachte Nutzungskonzepte. Diese darf man ganzheitlich zusammendenken. Wir können viel von der beeindruckenden Ökologie eines gesunden Waldes lernen und dabei Prinzipien erkennen, die wir auch in unseren Produktionssystemen der Land- und Forstwirtschaft fruchtbringend umsetzen können.
Was können Landwirtschaft und Forstwirtschaft voneinander lernen – und wie können sie zu einem gesunden Boden beitragen?
Gesa Müller-Schulz Bei Deutschland Forstet Auf gUG versuchen wir (wieder) beides zusammen zu denken. Die gleiche Artenvielfalt, die wir uns an Schmetterlingen im Flieder im Garten wünschen, an Bienen und Hummeln, muss 1.000-fach übertroffen in einer Handvoll Boden vorkommen. Das gilt genauso für den Wald wie für den Acker. Die Trennung zwischen Wald und Acker ist eine künstliche. Der Boden hört ja nicht einfach auf und macht eine Grenze. Natur kennt keine Grenzen.
Hannes Höhne In der Landwirtschaft setzen wir zur Nahrungsmittelproduktion sehr häufig auf einjährige Pflanzen. Aus einer Ökosystem-Perspektive kann dies fatale Folgen haben. Kein gesundes Ökosystem funktioniert mit der kurzfristigen Perspektive einjähriger Monokulturen.
Damit wir die vielfältigen Regulationsmechanismen und Dienstleistungen gesunder Ökosystem auch in der landwirtschaftlichen Produktion nutzen können, müssen wir natürliche Ökosystemprozesse verstehen, respektieren und in unsere Produktion integrieren. Zudem brauchen wir mehr mehrjährige Pflanzen, wie Bäume und Sträucher in der Landwirtschaft.
Die moderne Forstwirtschaft ist hier schon oft etwas weiter mit dem Ökosystem-Verständnis. Leider sind in beiden Wirtschaftskonzepten häufig noch Monokulturen gängige Praxis. Das ist sehr schade, denn Natur mag keine Einfalt! Vielfalt bedeutet Widerstandsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit und Bodengesundheit.
Agrar und Forst zu kombinieren ist sehr vielversprechend – und als „Agroforstwirtschaft“ sowohl in der öffentlichen Debatte als auch bei den Gesetzgebern angekommen. Die Vorteile und gegenseitigen Synergien reichen von Verbesserung der Luft- und Wasserqualität, Schließen von Nährstoffkreisläufen über erhöhte Artenvielfalt bis zu optimierter Flächenökonomie.
Diversere Wurzelarchitektur und Erosionsschutz sind dabei nur zwei Stichworte, wo Land- und Forstwirtschaft voneinander lernen können. Deswegen haben wir 2019 den Deutschen Fachverband für Agroforstwirtschaft mitgegründet und sind starke Befürworter von integrierter Landnutzung.
„Nachdem wir die ersten Schritte bei Deutschland Forstet Auf genommen haben, habe ich gelernt, wie wichtig es ist, einfach anzufangen. Selbst. Nicht wer anderes.“ (Gesa Müller-Schulz)
Was möchtest du mit deiner Arbeit erreichen?
Gesa Müller-Schulz Unsere Arbeit ist darauf ausgerichtet, Menschen ins Handeln zu bringen. Die Lösungen, die man braucht, um das Waldsterben, die Bodenerosion und das Sterben der Artenvielfalt aufzuhalten, liegen alle bereit. Wir müssen jetzt anfangen ins Handeln zu kommen. Für uns war der erste Schritt raus aus dem Reden sehr schwer. Man könnte, man sollte – so habe ich früher oft Sätze angefangen.
Nachdem wir die ersten Schritte bei Deutschland Forstet Auf genommen haben, habe ich gelernt, wie wichtig es ist, einfach anzufangen. Selbst. Nicht wer anderes. Plötzlich ist es nicht mehr wichtig, wer alles nichts macht. Denn ich weiß jeden Tag, dass ich mein Bestes gebe für die Zukunft meiner Kinder. Menschen, die mit uns in den Wald kommen, können diese Erfahrung jetzt auch machen. Ein Baum nach dem anderen wächst, nach und nach wächst daraus ein Wald. Das hast du gemacht. Das ist schon sehr ergreifend.
Hannes Höhne An erster Stelle steht die Nahrungsmittelproduktion für uns selbst und unsere Nachbarschaft. Diese im Einklang mit unseren Ökosystemen aufbauend zu gestalten und gleichzeitig ein betriebswirtschaftlich valides Unternehmen aufzubauen ist eine Herausforderung. Wir gehen sie mit viel Leidenschaft und Engagement an. Gerne würden wir auch andere Betriebe dabei inspirieren und unterstützen, ganzheitlich regenerativ zu wirtschaften! Soziale, ökologische und ökonomische Regeneration sollte zum Standard des 21. Jahrhunderts werden. Wenn wir hierzu einen kleinen Beitrag leisten können und gleichzeitig von unserer erfüllenden, ehrlichen Arbeit leben können, haben wir viel erreicht.
Was kann jede*r selbst zu einem gesunden, lebendigen Boden beitragen?
Gesa Müller-Schulz Zuerst müssen wir alle begreifen, dass Erde kein Dreck ist. Sondern, so abgedroschen das klingt: ein kleines Universum an Mikroorganismen. Wenn man dieses Wissen verinnerlicht hat, kommen die nächsten Schritte von ganz allein.
Hannes Höhne Sobald wir die Möglichkeit haben, ein Stück Land zu pflegen, kann die Reise zum lebendigen Boden beginnen. Dazu müssen wir Land nicht „besitzen“ sondern können auch in Gemeinschaften oder auf öffentlichen Plätzen etwas tun. Man kann man selbst auf kleinsten Flächen wie dem eigenen Balkon wichtige Inseln und Rückzugsorte schaffen. Gleichzeitig müssen wir uns bewusst sein, dass jeder Kassenzettel auch ein Stimmzettel ist – ein Stimmzettel für die Zukunft unseres Planeten.
Noch ein Tipp: Geht auf Landwirte in der Umgebung zu, versteht, warum sie so wirtschaften wie sie wirtschaften und vermittelt eure Wünsche. Kleine Schritte zum gegenseitigen Verständnis können oft ganz neue Möglichkeiten für gesunde, lebendige Böden schaffen!
Was motiviert dich, das zu tun, was du tust?
Gesa Müller-Schulz Meine Kinder sollen in einer Welt leben, in der sie das Urvertrauen in ihre Eltern behalten können. Dann haben sie das Potential, auch in einer Welt mit Klimachaos zurecht zu kommen. Darum mache ich das, was ich tue. Darum steht im Mittelpunkt all meiner Arbeiten der Kampf gegen die Klimakrise, für den Erhalt der Artenvielfalt und der Erhalt unseres Bodens. Denn ohne gesunden Boden, sauberes Wasser und sauberen Sauerstoff kann Leben auf der Erde nicht existieren.
Hannes Höhne Für mich persönlich hat alles mit dem Bewusstsein angefangen, dass „Business as usual“ keine Option mehr ist, wenn wir die faszinierenden Lebenserhaltungssysteme unseres Planeten erhalten wollen. Über die Natur ein erstes Systemverständnis zu entwickeln und dabei universale Muster zu erkennen, ist extrem spannend. Dabei jeden Tag zu merken, wieviel wir noch nicht wissen und welche Potentiale es gibt, ist unglaublich motivierend. Hieraus Handlungsalternativen abzuleiten und sich dafür einzusetzen, dass das 21. Jahrhundert zum Jahrhundert der Regeneration wird – auch wenn dies kein leichter Weg sein mag – ist die beste Möglichkeit, meine Zeit nicht zu vergeuden. Wenn man nebenbei noch mit tollen Menschen leckere Lebensmittel produziert und die Region bereichert, ist die Motivation kaum noch zu bremsen.
Zur Person
Gesa Müller-Schulz (37) hat 2020 mit Freunden die Plattform Deutschland Forstet Auf gUG gegründet, die Freiwillige deutschlandweit auf Pflanzaktionen aufmerksam macht. Nach drei Monaten mussten sie wegen der Pandemie alle Aktionen von der Plattform nehmen. Statt aufzugeben, ist Gesa Müller-Schulz mit ihrer Co-Geschäftsführerin auf Landwirt*innen zugegangen und unterstützt diese nun ebenfalls. Mit Hilfe der Plattform finden Landwirt*innen Berater*innen, Gelder und Freiwillige, die ihnen bei der Umstellung auf regenerative Landwirtschaft und Agroforstwirtschaft unterstützen. Die Plattform hat seit Sommer wieder Aktionen auf der Seite und finanziert sich über Spenden.
Hannes Höhne (30) ist ausgebildeter Wirtschaftsingenieur für Umwelttechnik und hat einen Master in Natürlichem Ressourcen Management. Seit 2020 ist er Teil eines internationalen Teams auf dem Gut Haidehof bei Hamburg. Hier entsteht seit 2019 ein Modellbetrieb für Regenerative Agrarkultur mit dem Anspruch ganzheitlich regenerativ zu wirtschaften.
Living Soil Journey
Bei der digitalen Dialogserie Living Soil Journey diskutieren Expert*innen, Aktivist*innen und andere Interessierte darüber, wie die Transformation hin zu regenerativer Landwirtschaft und mehr Bodengesundheit gelingen kann. Hannes Höhne und Gesa Müller-Schulz waren als Speaker beim ersten Dialog dabei, unter dem Motto „Gesunde Böden, gesunder Planet“. Die Living Soil Journey ist ein Projekt von Weleda und ProjectTogether, Werde ist Medienpartner.
Schaue dir hier den ganzen ersten Dialog der Living Soil Journey als Aufzeichnung an. Ab 15. September geht es bei der Living Soil Journey weiter – melde dich jetzt an für die nächsten Dialoge.
Interview Ulrike Bretz
Foto Jewgeni Roppel , Deutschland Forstet Auf