Wie geht das eigentlich, einen konventionellen Bauernhof auf biodynamisch umzustellen? Und wie kann ein gesunder Boden entstehen? Dies gleich vorweg: Umstellen braucht Zeit. Deshalb beginnt diese Geschichte vor über einem Vierteljahrhundert: Im Jahr 1992 auf dem Sagensitz, einem Bauernhof außerhalb des Dorfes Büren im Kanton Nidwalden, im Kern der Schweiz.
Ein Hof in der dritten Generation
Den Bauernhof gibt es schon seit 300 Jahren. Andreas Würsch bewirtschaftet ihn mit seiner Frau Käthy in der dritten Generation. Anfang der Achtziger Jahre stieg er beim Vater ein, mit der Absicht, den Hof zu übernehmen. Es war damals ein Schweinezucht- und Mastbetrieb. Andreas Würsch kannte bis dato gar nichts anderes, denn sein Vater hatte die Schweineställe bereits 1963 gebaut.
„Warum ihn der Boden schon damals so interessierte, kann er rückblickend nicht sagen. Aber diese Art Landwirtschaft machte ihn unglücklich.“
Der Klee ist wichtig für den Boden
Dem jungen Landwirt kam diese Art der Landwirtschaft aber „schrecklich falsch“ vor, er hinterfragte alles: „Man hörte damals viel vom Welthunger. Gleichzeitig benötigte ich 150 Tonnen Getreide und Soja im Jahr, um unsere Schweine zu füttern. Wir produzierten Fleisch für einen anonymen Markt. Die Schweine wurden mitten in der Nacht abgeholt.
Das alles zermürbte mich. Und irgendwann realisierte ich: Da ist ja auch noch all dieser Dünger von den Schweinen – viel zu viel für den Boden!“ Sie brachten die Gülle und den Mist auf die eigenen Felder und auf jene von Bauern in der Nachbarschaft. „Das klingt erstmal gut, aber ich erkannte schon damals: Der Rotklee, der auf dem Feld des Nachbarn dem Boden Gutes tut, wird das nicht vertragen.“ Es schmerzte Andreas Würsch, weil er wusste: der Klee ist wichtig für den Boden.
Komm, wir hören auf damit!
Er war damals bereits mit Käthy zusammen, die Gemüsegärtnerin lernte. In einer Gärtnerei, die biologisch anbaute, noch bevor dieser Begriff zum Label wurde. Sie sagte nur einmal: „Komm, wir hören auf damit!“ Und sie hörten auf – um weiter zu machen als Bauernbetrieb, aber ganz anders: Als biodynamischer Demeterhof mit Gemüse und Ziegen.
Das gelbe Bienenhaus
Wer sich heute von Dallenwil dem Mülibach entlang dem Sagensitz nähert, erkennt bald das Bienenhaus des Hofs. Mit seinem leuchtenden Gelb ist es in diesem von hohen Bergen flankierten Talausgang schon von weitem sichtbar. 24 Völker finden im selbst gebauten Bienenhaus Platz. Rundherum hat es Apfelbäume, Reben, eine Trockenmauer und eine Hecke. Einzig der Pilatus, dieser über 2100 Meter in die Höhe ragende Berg, überstahlt in nordwestlicher Richtung gelegen den Bienenstand. Ein wenig Konkurrenz macht ihm aber auch ein königsblau bemaltes Häuschen direkt am nahen Bächlein: Hier bewahrt Andreas Würsch die biodynamischen Präparate auf, die Boden und Pflanzen auf natürliche Weise stärken.
Sechs Kühe, ein Stier, Kälber
Es ist ein ganz normaler Wochentag mitten im Winter, nur der Schnee fehlt. Der Boden liegt ruhig da, grasbedeckte Weiden, dazwischen Felder mit Winterkulturen: Rosenkohlstauden und Lauch, die meisten abgeerntet. Für Andreas Würsch beginnt die Umstellung im Stall – also will er auch dort mit Erzählen beginnen. Mit grossen Schritten geht er voran, am uralten Wohnhaus vorbei und geradewegs dorthin, wo die grossen Tiere leben: sechs Kühe, ein Stier, mehrere Kälber und fünfzig Geißen. Ein wohlriechender, freundlich anmutender Stall. Moderne Technik sucht man hier vergebens: Die Ziegen melkt er von Hand, die Kühe mit einer Melkmaschine mit einfachem Standeimer – bei beiden spritzt die Milch in einen Kessel, den der Bauer nach getaner Arbeit mit einer Bürste und etwas Seifenwasser putzt. „Mehr brauche ich dazu nicht.“
Gute Bedingungen für gesunden Boden
Die guten Bedingungen für einen gesunden Boden würden auf den meisten Bauernhöfen bereits im Stall verhindert, ist Andreas Würsch überzeugt – wegen der Mittel, die dort eingesetzt werden: „Auf den meisten größeren Höfen gelangt die frisch gemolkene Milch mittlerweile über ein Rohrsystem in einen Sammelbehälter. Um diese Anlagen zu putzen werden Desinfektionsmittel verwendet. „In meinen Augen ist das aber ein Gift, das nicht auf einen Hof gehört, weil es die ganze Flora in der Gülle negativ beeinträchtigt und letztlich dem Bodenbildungs- und Pflanzenwachstumsprozess schadet“, sagt Andreas Würsch. Er selber umgeht das Hygieneproblem, indem er direkt in den Eimer melkt und alle Geräte von Hand putzt. Demeter verlangt den Verzicht auf automatisierte Melkanlagen nicht, aber die Richtlinien sind auch hinsichtlich der Mittel, die im Stall zum Einsatz kommen dürfen, streng.
Biologisch-dynamisch nach Demeter
Gülle entsteht im Stall aus den Exkrementen der Tiere, sie wird in den Güllekasten geleitet, dort aufbewahrt und zu gegebener Zeit auf dem Feld ausgebracht. Gülle ist Dünger, liefert Nährstoffe für den Boden und die Pflanzen. Aber Gülle ist nicht gleich Gülle. Andreas Würsch sagt: „Einen Bauernhof auf biologisch oder noch besser auf biodynamisch umstellen, bedeutet, dass auch im Stall umgestellt wird, der Bauer nicht nur auf Pestizide verzichtet, sondern auch auf Chemie im Stall, auf Desinfektionsmittel und Antibiotika.“ Guter Boden bedinge eine Mikrobiologie, die alle organischen Bestandteile umbaut, sagt er, „die Gülle zu Mist und Kompost, diese wiederum bauen später den Boden auf und bilden Humus.“
„Im Stall, fängt das Bodenbewusstein an.“
Ein Prozess, der nie aufhört
Zwei Jahre dauert die Umstellung von konventionell auf bio, ein weiteres von bio auf biodynamisch. „Aber wirklich in der Harmonie ist ein umgestellter Boden erst nach fünf bis sieben Jahren. Und von da an geht es immer weiter mit der Bodenveränderung. Er wird humoser und dadurch dunkler, krümeliger, durchlässiger und aufnahmefähiger. Und braucht dann nur noch eine kleine Kompostbeigabe – und die Erträge sind üppig. Das Umstellen ist ein Prozess, der nie aufhört und von den biodynamischen Präparaten begleitet wird“, sagt der langjährige Demeter-Bauer, der auch Kurse gibt.
Löwenzahn und Schafgarbe
Andreas Würsch hat den biodynamischen Präparaten eigens ein Haus gebaut. Blau leuchtet es, auf jeder Seite ein Fenster mit rotem Rahmen. Drinnen ist es hell und warm, aus Holz sind die Wände, ist das Dach und der Boden – und auch die in den Boden eingelassene achtteilige Aufbewahrungskammer für die Kompostpräparate. Für jedes ein Tonbehälter mit Holzdeckel: Schafgarbe, Kamille, Eichenrinde, Löwenzahn, Brennnessel und Baldrian. Andreas Würsch formt Kompostkugeln so groß wie ein Ei, bohrt mit dem Finger je ein Loch hinein und befüllt es: „Ich verwende pro Erdkügelchen immer einen halben Fingerhut von einem Präparat.“ Pro Präparat eine Kugel, das ergibt ein Set von fünf Kugeln, die er wie Perlenketten im Kompost vergräbt, mehrmals im Jahr, den Baldrian verteilt er über den Kompost: „Er hat die Funktion eines Wärmemantels.“ Der ganze Prozess verfeinere den Umbau, vermittle zwischen den Stoffen – Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff –, reguliere den Wärmehaushalt und mache den Kompost für kosmische wie auch für Planetenkräfte empfänglich, erklärt der Bauer.
„Es ist diese Sorgfalt, diese würdigende Haltung dem Leben, dem Natürlichen, dem Ganzheitlichen gegenüber.“
Kuhmist oder gemahlener Quarzstein
Die beiden Hauptpräparate, die jeder Demeterbauer direkt auf den Boden und die Pflanzen gibt, sind das Hornmist- und das Hornkieselpräparat. Es sind sogenannte Rührpräparate. Der erfahrende Demeter-Bauer erklärt den Vorgang: „Kuhmist oder die gemahlenen Quarzsteine fülle ich in Kuhhörner und vergrabe diese während des Winters respektive des Sommers. Um Ostern nehme ich den Hornmist raus, um Michaeli den Hornkiesel, ich lagere beides, bis es angewendet wird.“ Wenn es soweit sei, gebe er eine Hand voll Hornmist in etwa 100 Liter handwarmes Wasser, rühre eine Stunde rhythmisch und verteile das Präparat anschließend auf dem Boden. Dazu benutzt er ein Sprühgerät.
Der Humus vermehrt sich, wird dunkler und ist von einer dauerhaften Lebendigkeit. Wir Bauern sagen, er ist voller Bodenlebewesen und ‚tätig‘. Solche Böden brauchen nur wenig Kompost, sie sind fähig, der Pflanzenwelt zu dienen“. Ähnlich ist das Verfahren beim Hornkiesel-Präparat: hier braucht es eine Messerspitze Kiesel auf 100 Liter Wasser: „Dieses Präparat verneble ich fein über die Pflanzen. . Es bewirkt, dass sie mehr Licht erhalten. Dadurch wird das Abreifen, die Aroma- und Zuckerbildung angeregt.“
Mit vollem Bewusstsein dabei
Die Arbeit mit den Präparaten sei das eigentliche Forschen. Und es sei auch die geistige Ebene im ganzen biodynamisch-bäuerlichen Prozess: „Wenn ich so arbeite, bin ich mit vollem Bewusstsein dabei. Ich konzentriere mich.“ Es ist dieses Bewusstsein, das Leute zu beschreiben versuchen, wenn man sie danach fragt, weshalb sie am liebsten Demeter-Gemüse kaufen. Es ist diese Sorgfalt, diese würdigende Haltung dem Leben, dem Natürlichen, dem Ganzheitlichen gegenüber. Andreas Würsch, Vater dreier erwachsener Kinder, sieht es so: „Mit diesen Faktoren Bodenbildung, Gülle und Kosmos werden wir Bauern aufgefordert, genau hin zu schauen. Wir sind angehalten, immer wieder zu fragen: Was muss ich verändern, um das abzuholen, was möglich ist, wie kann ich den so feinen und subtilen Prozessen dienen? Das sollte kein dogmatisches Suchen sein, sondern von einer lebendigen Leichtigkeit, einer Lust am Forschen und Entdecken.“
Die Zahl der Regenwürmer nahm zu
Bestätigung für sein eigenes jahrzehntelanges Forschen findet Andreas Würsch im Boden ebenso wie in den Pflanzen, die daraus wachsen. Denn was für jüngere Demeter-Landwirte noch so schwierig zu beschreiben ist, kann er mittlerweile ganz gut benennen. Er sagt: „Nach und nach wurde der Boden dunkler, die Wurzeln in der Erde wurden kräftiger, mächtiger, und die Zahl der Regenwürmer und der anderen Bodenlebewesen nahm stark zu.“ Die Veränderung des Bodens sieht er aber auch den Pflanzen an: das Gras sei strammer, habe eine bessere Aufrichtekraft und die Blätter „spielen mit dem Licht.“
„Nach und nach wurde der Boden dunkler, die Wurzeln in der Erde kräftiger.“
Das Gemüse kräftig, groß und vital
In den Böden von Andreas Würsch hat es nach eigenen Angaben vierzig Prozent weniger Stickstoff als empfohlen. „Wir haben aber nur einen Fünftel weniger Ertrag im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft. Und das Gemüse ist kräftig, groß, schön, vital und schmackhaft.“ Einen weiteren Vorteil sieht er in seinem Boden, der über die Jahre eine feine Krümelstruktur bekommen hat: „Er fasst und speichert das Wasser sehr gut.“ Sein Boden scheint also bereits zu leisten, was die extremer werdenden Klimabedingungen noch vermehrt fordern werden: dass unsere Böden mit anhaltender Trockenheit und Starkregen umgehen können. Dass sie resilient sind.
„Dass unsere Böden mit anhaltender Trockenheit und Starkregen umgehen können.“
Gerne wäre Andreas Würsch noch einmal zwanzig Jahre jung – und gleichzeitig so erfahren wie er heute ist, um die Veränderungen über die Jahre mit seinem ganzen Bewusstsein, das er heute hat, beobachten zu können. Das wird nicht möglich sein. Aber die Ernte für den Entscheid, umzustellen, ist reich und nachhaltig. Und die Chancen, dass Andreas’ und Käthys Söhne den Hof bio-dynamisch weiter bewirtschaften werden, ist da. Ein schöneres Geschenk, sowohl für sie beide als auch für den Boden, kann sich der Demeter-Bauer nicht vorstellen.
Gesunder Boden für zuhause
Tipps von Andreas Würsch:
- Einfach mal einen Kompost anlegen. Angefangen mit Gras von einer Wiese, die gemäht wird und rohen Küchenabfällen von Obst und Gemüse.
- Beikräuter nicht mehr als störend anschauen, sondern erkennen, dass sie Bodenverbesserer sind: Eine Wurzelmasse, die Verbindungen eingeht. Man sollte sie also gar nicht so radikal aus dem Boden verbannen. Es gilt, eine Balance zu finden zwischen der Kulturpflanze und der Beiflora. Zuerst das Beikraut konsequent hacken, solange die Kulturpflanze noch klein ist, später einfach alles wachsen lassen. ist die Kulturpflanze einmal stark, verträgt es diese gut.
- Mulchen. Damit lässt sich über dem Boden eine Feuchtzone bilden, was soviel wie eine Erweiterung der belebten Zone bedeutet. Mit nicht zu sperrigem Mulch – aus Rasenschnitt, Wiesenschnitt, jungem Heu oder abgehackten Beikräutern – sollte man nicht sparen.
- Alle Chemikalien weglassen, auch das Schneckengift.
Zur Person
Käthy und Andreas Würsch haben ihren Hof auf biodynamische Landwirtschaft umgestellt.