Auf einem ein Hektar großen Stück Erde in Niederbayern macht Sabrina Wagner das, wovon viele träumen: Sie lebt mit ihrer Familie als Selbstversorgerin. Ein Gespräch über Mut, Regenwürmer und darüber, wie man seine Träume verwirklicht.
Du bist Selbstversorgerin. Was baust du alles an – und wo?
Sabrina Wagner Ich stecke, zusammen mit der Familie, die meiste Energie in Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln, Karotten und Rote Bete – Dinge, die sicher wachsen und uns über den Winter bringen. Und natürlich auch in Gemüsesorten, die wir besonders gerne essen, wie Tomaten, Gurken und Zucchini. Experimente machen wir nur, wenn die nötigen Ressourcen wie Zeit, Muße und Kraft vorhanden sind. Ein wichtiger Bestandteil unserer Selbstversorgung sind neben Gemüsepflanzen auch unsere Beerensträucher und Obst- und Nussbäume, die uns jedes Jahr mit reicher Ernte beschenken. Mehrjährige Gemüsesorten, Küchen-, Tee- und Wildkräuter finden sich ebenfalls in unserem großen Garten.
Wie ist deine Idee zu all dem entstanden?
Sabrina Wagner Vor zehn Jahren habe ich damit begonnen, mich mit einer nachhaltigen Lebensweise zu beschäftigen. Dabei bin ich von einem Thema zum nächsten gekommen. Ernährung trägt einen so großen Teil zur Klimakrise bei, und ich wollte einen positiven Beitrag leisten. Außerdem ist es einfach praktisch, das Gemüse aus dem Garten zu holen und nicht einkaufen zu müssen.
Was war dein erster Schritt zur Selbstversorgung?
Sabrina Wagner Angefangen habe ich mit drei kleinen Beeten – und hatte damals keine Ahnung, ob Regenwürmer schlecht für mein gepflanztes Gemüse sind oder ob sie sogar Vorteile haben. Ich habe mich schnell für diese Tiere begeistert, habe Bücher verschlungen – und dann wusste ich, dass ich Regenwürmer liebe! Meine erste Ernte bestand übrigens aus Schnittlauch und zwei Tomaten. Also so richtig erfolgreich war das nicht.
Wie hat sich das geändert?
Sabrina Wagner Bald hatte ich die ersten Grundlagen gelernt und konnte im zweiten Jahr schon mehr Ernte einfahren. Von Jahr zu Jahr ist unser Gemüsegarten gewachsen. Zu meinem 30. Geburtstag vor knapp sechs Jahren habe ich mir einen Zaun um den vergrößerten Gemüsegarten gewünscht. Damals haben wir so viel geerntet, dass man wirklich von Selbstversorgung sprechen konnte.
Meine Schwiegereltern, die neben uns wohnen, haben immer schon ein bisschen Gemüse angepflanzt. Aber mit meiner neuen Leidenschaft ist auch ihre gewachsen. Zusammen haben wir beschlossen, noch mehr Gemüse und Obst anzubauen. Damit bewirtschaften wir jetzt knapp einen Hektar Land – wovon etwa 1000 Quadratmeter reine Anbaufläche für Gemüse und Kartoffeln sind. Davon können drei Familien gut über den Winter kommen. Eng wird es ab April, da ist das meiste aus. Wir kaufen dann auch mal was zu, bis die neue Ernte beginnt.
Was hast du gemacht, bevor du Selbstversorgerin wurdest?
Sabrina Wagner Ich hatte einen klassischen Bürojob und war sehr unglücklich. Jahrelang war mir klar, dass ich den Absprung schaffen und etwas anderes machen muss. Aber ich wusste nicht, wie ich das anstellen soll. Meine Tochter hat die Entscheidung dann getroffen – als ich vor acht Jahren schwanger wurde, sind die Würfel gefallen, und alles ist so gekommen wie ich es mir insgeheim gewünscht hatte.
War es nicht gerade mit einem kleinen Kind schwierig, den sicheren Bürojob aufzugeben?
Sabrina Wagner Nein, ich hatte genau deshalb den Mut zu gehen. Schon sehr früh in der Schwangerschaft hatte ich ein Beschäftigungsverbot, bekam mein volles Gehalt und danach Elterngeld. Ich hatte drei Jahre Elternzeit beantragt – und wusste, ich komme nicht zurück. Mein Mann konnte die finanzielle Lücke abfangen. Wir haben aber auch sehr gut gehaushaltet und Prioritäten gesetzt.
Wie finanzierst du heute deine Idee als Selbstversorgerin?
Sabrina Wagner: Am Anfang war es ein reines Hobby, aber seit einem Jahr trägt das Projekt über Kurse und Vorträge auch finanziell Früchte. Die ersten Anschaffungen haben wir über ein Gemeinschaftsprojekt finanziert: ein Teil unseres Geländes steht Außenstehenden als Gemeinschaftsgarten zur Verfügung. So konnten der Zaun und die ersten Werkzeuge für den Gemeinschaftsgarten finanziert werden.
Braucht man Mut für ein Leben wie du es führst?
Sabrina Wagner Ich glaube, Mut braucht es für so vieles: Kinder bekommen, einen 8-to-5-Job kündigen und Neues wagen.
Hinterfragst du manchmal, ob es richtig ist, was du tust?
Sabrina Wagner Niemals! Ich weiß, das ist der richtige Weg, um meinen Kindern ein gutes Vorbild zu sein und ihnen ein Stück heile Welt zu hinterlassen. Sie zu erden und ihnen zu zeigen, warum Natur und Familie das Wichtigste für ein gesundes und glückliches Leben sind.
Würdest du dich als Aussteigerin bezeichnen?
Sabrina Wagner Nein, nicht wirklich. Wir nehmen durchaus am „normalen“ Leben teil. Mein Mann arbeitet woanders, wir leben hier – noch – nicht völlig autark, wir gehen auch mal zum Arzt und haben die wichtigsten Versicherungen. Wovon ich allerdings ausgestiegen bin: aus meinem alten Leben, mit einem Job im Büro, der mich massiv unglücklich gemacht hat.
Was waren am Anfang die größten Hürden?
Sabrina Wagner Tabellen und alte Glaubenssätze. Nur weil die Oma der Nachbarin früher die Tomaten immer neben den Gurken angebaut hat, muss das nicht heißen, dass das viel Sinn macht. Ich bin eine sehr intuitive Selbstversorgerin und habe mit der Zeit gelernt, dass mir mein selbst gemachter Druck den Spaß daran verdirbt. So macht es mir mittlerweile sehr viel weniger aus, wenn eine Gemüsesorte mal nichts wird, die Wühlmäuse schneller waren oder das Beikraut überhandnimmt.
Wieviel Zeit investierst du in deine Arbeit?
Sabrina Wagner Meine Arbeit besteht aus vielen Bestandteilen. Zum einen ein großer Teil Care-Arbeit: Kinder versorgen und betreuen, Haushalt, täglich frisch kochen, Brot backen, Tiere versorgen, Gemüse pflanzen, pflegen, ernten und den restlichen Garten bewirtschaften. Und dann gibt es da noch einen Erwerbs-Arbeitsteil: Kooperationen, E-Mails, Texte schreiben, Vereinsarbeit, Führungen, Workshops, Kurse ausarbeiten und abhalten, Öffentlichkeitsarbeit. Insgesamt arbeite ich etwa 12-14 Stunden täglich. Rein für den Garten und die Tiere fallen täglich zwei bis fünf Stunden – je nach Saison – an.
Was machst du, wenn du Gemüse essen möchtest, das bei Dir nicht wächst?
Sabrina Wagner Abwägen. Wenn es rein nach mir gehen würde, gäbe es radikal nur regionales und saisonales Gemüse und Obst, mit kleinen Ausnahmen an besonderen Tagen. Aber: Ich wohne hier ja nicht allein. Hier sind zwei kleine Kinder, die auch im Winter mal eine Gurke essen möchten. Auch Bananen und Zitronen kaufen wir zu. Aber immer mit ganz viel Demut und Wertschätzung. So lernen schon die Kinder, dass es eben nicht selbstverständlich ist, das ganze Jahr über alles kaufen zu können.
Was machst du mit Deinen Abfällen – gehört zur Selbstversorgung auch die Entsorgung?
Sabrina Wagner In der Permakultur ist ein funktionierender Kreislauf ein ganz wichtiger Bestandteil. Für mich ist es selbstverständlich, so wenig Abfall zu produzieren wie nur möglich. Auch hier sind in einer Familie Kompromisse nötig. Verpackungsmüll vermeiden wir, wo immer es geht. Alles, was an Gemüseabfällen und Obstresten anfällt, wird weiterverwertet: in der Wurmkiste, bei den Hühnern oder auf dem Kompost. Von dieser wertvollen Ressource kommt nichts in die Tonne. Wir gehen sogar einen Schritt weiter und nutzen gerne unsere Komposttoilette. Denn auch diese Abfälle sind wertvoll und können verwertet werden. Etliche Abfälle kann man auch wieder verwenden: Alte Kleidung wird zerschnitten und als Tücher zum Aufwischen benutzt, aussortierte Plastikschüsseln wandern in den Sandkasten.
Was erfüllt Dich bei Deiner Arbeit besonders mit Freude?
Sabrina Wagner Der Sinn! In meinem Bürojob habe ich mich abends gefragt, was in aller Welt ich an diesem Tag Sinnvolles gemacht habe. Ich konnte nicht zwei Dinge aufzählen. Jetzt macht alles so unglaublich viel Sinn. In vielerlei Hinsicht: Für die Natur, für die Familie, für die Gesundheit, für mich.
Du bietest auch Seminare an. Mit welchen Wünschen kommen die Menschen zu Dir?
Sabrina Wagner Das ist ganz unterschiedlich. Einige möchten nachhaltiger leben und ihren Teil zu einem grünen Paradies beitragen, andere möchten ihr eigenes Gemüse ernten, und viele haben den Wunsch nach einem naturnahen Leben und einem Garten, der dazu passt.
Was möchtest du anderen Menschen beibringen?
Sabrina Wagner Jeder von uns kann etwas ändern. Im Kleinen wie im Großen. Und eigentlich ist es ganz einfach. Der erste Schritt ist: anfangen. Nicht lange reden, einfach machen. In meinen Kursen und mit meinen Social Media-Aktivitäten möchte ich aufzeigen, dass alles miteinander verbunden ist. Unser Verhalten hat einen Einfluss. Positiv wie negativ. Wir haben es in der Hand und können alleine schon mit unserem Konsumverhalten etwas bewirken. Denn es gilt immer noch das Prinzip von Angebot und Nachfrage.
Und auch im eigenen Garten sind die ersten Schritte gar nicht so schwer. Einfach mal ein bisschen Unordnung zulassen, weniger Rasenmähen, einheimische Sträucher pflanzen – und schon ist eine Veränderung zu erkennen. Insekten und Vögel finden sich ein, es wachsen wertvolle Wildkräuter, und der Nachbar möchte wissen was dahinter steckt. Und schon haben wir vielleicht einen weiteren Menschen mit der Idee angesteckt. Es gibt doch nichts Besseres! Wenn meine Kursteilnehmer das verstanden haben, bekommen sie Grundkenntnisse in der Permakultur, in der Selbstversorgung oder Hilfe bei der Gestaltung des eigenen Gartens.
Was rätst du anderen Interessierten, die auch Selbstversorger werden wollen?
Sabrina Wagner Fangt klein an und seid realistisch, was eure zeitlichen Ressourcen betrifft. Vor allem, wenn Kinder da sind. Überlegt, welches Gemüse ihr wirklich gerne esst und konzentriert euch anfangs auf einfache und wenige Gemüsesorten. Lasst euch im ersten Jahr nicht von Fruchtfolge und Mischkulturtabellen die Freude nehmen. Und versucht erstmal, testet euch aus. Die Erfahrung kommt mit der Zeit.
Was ist der erste Schritt, wenn man beginnen möchte?
Sabrina Wagner Der erste Schritt ist die Auswahl der Gemüsesorten. Dazu sollte man sich die richtigen Aussaatzeitpunkte und die Besonderheiten notieren. Danach geht’s an die Aussaat. Wem das im ersten Jahr noch zu heikel ist, kann im Frühjahr auch Jungpflanzen kaufen und diese einsetzen. Auch das ist völlig in Ordnung, um sich einmal an die Materie heran zu tasten. Die Vorbereitung der Beete ist natürlich auch enorm wichtig, hier sind bei der Gestaltung der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Bewährt haben sich Beete mit etwa 1,20 Meter Breite und 2-4 Meter Länge. In die Beete kommen die liebsten Gemüsesorten. Anbauanleitung beachten, angießen, warten.
Wann ist der beste Zeitpunkt für die Aussaat?
Sabrina Wagner Man darf nicht zu früh beginnen. Ich fange im Februar mit Chilis, Auberginen, Physalis und Paprika an und starte frühestens Mitte, Ende März mit meinen Tomaten. Zucchini, Gurken, Kürbisse und Melonen kommen dann erst Mitte April an die Reihe.
Wie sät man die Samen am besten ein?
Sabrina Wagner Bei mir hat sich folgendes System bewährt: Ich mache die Anzucht in einem ausgedienten Plastikschälchen. Je nach Gemüsesorte gibt es unterschiedliche Keimtemperaturen zu beachten. Wenn das erste richtige Blattpaar erscheint, wird das zarte Pflänzchen vorsichtig pikiert. Am besten in ein etwa 9 mal 9 Zentimeter großes Töpfchen. Nach ein paar weiteren Wochen des Wartens, Gießens und gut Zuredens kommt das Ganze in die Erde. Die Ernte ist der Lohn für alle Mühen!
Warum tust du das, was du tust – was ist deine Vision?
Sabrina Wagner Ich glaube: Eine andere Welt ist pflanzbar. Wenn wir Feldränder und Äcker mit fruchttragenden Bäumen bestücken würden – sogenannten Agroforstsystemen – würde das ziemlich viele Probleme lösen. An diese schöne Vision glaube ich. Wir fangen hoffentlich in diesem Jahr an mit einem Modellprojekt. Damit wollen wir zeigen, dass Bäume auf Äckern einen Mehrertrag bedeuten, und dass sich das wirtschaftlich durchaus rechnet. Viele Projekte machen dies schon vor. Ich wünsche mir, hier bei uns ein Umweltzentrum zu erschaffen, einen Ort an dem sich Interessierte und Gleichgesinnte treffen, um Wissen zu erlangen oder zu vertiefen und sich vernetzen zu können. So erreiche ich, so erreichen wir hoffentlich möglichst viele Menschen und regen zu einem nachhaltigeren Lebensstil an.
Zur Person
Sabrina Wagner ist Selbstversorgerin, Mutter und Permakultur-Beraterin. Zusammen mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern wohnt sie in Niederbayern, inmitten eines Intensiv-Gemüseanbaugebiets. Dort hat sie sich ihr auf einem ein Hektar großen Gelände, das sie zusammen mit den Schweigereltern bewirtschaftet, ein eigenes kleines Paradies erschaffen. Außerdem hat die Familie 25 Hühner, 10 Laufenten und einen Hund. Sabrina Wagner bietet Gartenberatungen, Workshops und Online-Kurse an. Zusammen mit einer Freundin hat sie den Verein cum natura Umweltakademie e.V. gegründet. Ziel ist es, durch das Wissen über nachhaltige Entwicklung junge und ältere Menschen dazu zu motivieren, sich mit dem eigenen Handeln auseinanderzusetzen und nachhaltige Alternativen aufzeigen.
Interview Ulrike Bretz Fotos Sabrina Wagner
Hier erklärt Sabrina Wagner die wichtigsten Schritte zur Selbstversorgung.
Wer keinen Platz für einen Garten hat, sondern nur einen kleinen Balkon, kann auch dort sein eigenes Gemüse ernten: Wie das geht, berichten Jessica Uhlig und Sabrina Trenkler von „Two Balconies“ im Interview.