Benedikt Bösel Landwirt

„Wir versuchen Fehler zu machen, um daraus zu lernen“

Interviews

Brandenburgs sandige Böden treffen die Auswirkungen des Klimawandels hart. Benedikt Bösel, Landwirt, setzt auf regenerative Anbaumethoden wie syntropische Landwirtschaft und ganzheitliches Weidemanagement und fordert ein grundsätzliches Umdenken in der Landwirtschaft.

Benedikt Bösel Landwirt

Herr Bösel, Sie sind auf einem Hof in Brandenburg aufgewachsen und haben später im Finanzbereich gearbeitet. Warum sind Sie wieder da?
Benedikt Bösel Ich war eine Zeit lang auch für Start-ups im Agrarbereich tätig. Das gab mir den Antrieb, wieder hierherzukommen. Ich dachte mir: Eigentlich musst du die Lösung auf die Fläche bringen, denn das passiert so gut wie gar nicht. Die wahren Bedarfe der Landwirt*innen sollten der Startpunkt sein. Deswegen wollte ich zurückkommen.

Ihre Eltern haben den Hof in Alt Madlitz 2004 auf Bio umgestellt, seit 2016 führen Sie ihn als „Gut & Bösel“ weiter. Wie sind Sie das angegangen?
Benedikt Bösel Am Anfang dachte ich, das Technologische, das Digitale, das wird uns alle retten. Leider ist das Gegenteil der Fall, zumindest jetzt noch. Ich bin kein Gegner von Technologie, doch das Wie und Warum ist entscheidend. Das wird heute leider noch ignoriert, denn die technischen Innovationen entstehen meist aus einem sogenannten exploitativen Verständnis heraus, bei dem der Boden so viel wie möglich produzieren soll. Damit ist man bei jeder Innovation oft nur in der Lage, die negativen Auswirkungen dieses Produktionsmodells zu verringern. Wir versuchen jedoch, einen imaginären Schritt zurückzugehen und über die Ursachen der Probleme nachzudenken. Um zu überlegen, wie wir die negativen Auswirkungen vermeiden können.

Benedikt Bösel Landwirt

Können Sie ein Beispiel nennen?
Benedikt Bösel Ein klassisches Beispiel im Ackerbau ist das Unkraut. Es gibt immer einen Grund dafür, warum Unkraut an einer bestimmten Stelle wächst. Der konventionelle Landwirt würde es wahrscheinlich mit Spritzmitteln vernichten. Der Öko-Bauer würde es möglicherweise mechanisch herausreißen. Wir versuchen etwas anderes und fragen uns: Okay, warum wächst das Unkraut dort? Ist da eine Verdichtung, oder fehlt dem Boden etwas? Wir denken darüber nach, welche Pflanze, die wir vielleicht sogar nutzen können, wir stattdessen dort anbauen, damit das Unkraut, das wir nicht haben wollen, gar keinen Grund mehr hat, dort zu wachsen.

Sie setzen dabei unter anderem auf die Syntropische Landwirtschaft. Können Sie das näher erläutern?
Benedikt Bösel Wir arbeiten eng mit Ernst Götsch zusammen, einem Schweizer, der in Brasilien lebt. Er hat die Form der syntropischen Landwirtschaft, des Agroforst, entwickelt. Das Ökosystem sollte sich selbst tragen und eine Resilienz aufbauen in Bezug auf Bodenaufbau, Bodengesundheit und Biodiversität. Deshalb stellt Ernst Götsch Pflanzensysteme zusammen, die aus etwa acht oder mehr Pflanzen mit Bäumen und Sträuchern aus unterschiedlichen Gesellschaften bestehen, die sich durch symbiotische Beziehungen ergänzen. Dazu gehören noch Beschattung, Hormone, Pilze und Nährstoffe und die Fotosynthese. Etwa die Hälfte der Energie des Systems bleibt für das System selbst und die andere Hälfte für die Nahrungsmittelproduktion.

Wie können Sie syntropische Landwirtschaft in Brandenburg umsetzen?
Benedikt Bösel Wir haben hier in Brandenburg einen äußerst sandigen Boden und sehr wenig Niederschlag. Dazu kommen Spätfrostgefahr und extreme Wetterereignisse. Brandenburg hat nur etwa 30 bis 35 Bodenpunkte von 100. Im Gegensatz zum Durchschnitt ist die Situation sogar noch schwieriger. Deshalb haben wir ein Testfeld von 3,5 Hektar bepflanzt, mit 19 Einzelreihen im Abstand von zehn Metern. Zu jeder Einzelreihe haben wir ein oder zwei große Fragestellungen, die wir klären wollen. Auf jedem Meter stehen Bäume von Obst- und Nussbäumen bis hin zu schnell wachsenden Bäumen, etwa Pappel, Birke oder Ahorn. Sie werden Jahr für Jahr von oben gekürzt, das Schnittgut wird geschreddert und als Biomasse, als Bodenbedeckung und Nahrung für die Mikroorganismen unten wieder in den Zyklus eingebracht.

Benedikt Bösel Landwirt

Sie schneiden die Pflanzen ab und brauchen keinen zusätzlichen Dünger?
Benedikt Bösel Das ist das Besondere an der Syntropie. Nach einer initialen Düngung mit Rindermist entsteht die weitere Energie durch das System selbst, über Nutzung und Pflege, Schneiden und Bodenbedeckung. Das ist alles, was wir noch dafür tun. Was das für die Bodenbiologie und die Vielfalt bedeutet, kann man gar nicht in Worte fassen. Als Unterschicht, die sogenannte Plazenta, setzen wir eng aneinanderliegende Baumsamen.

Ernst Götsch sagt: Wenn wir uns anmaßen, als Mensch einen Baum zu pflanzen, heißt das, wir glauben, wir wissen, was dort wachsen oder nicht wachsen kann. Das ist jedoch von der Klimaanpassung und der Resilienz weit entfernt. Weil Bäume aus Baumschulen seiner Ansicht nach nicht gut mit neuer Umgebung zurechtkommen können, weil sie oft zu schnell wachsen und meist eine große Blattmasse ausbilden. Aus Baumsamen vor Ort angebaute Bäume wachsen langsam und zunächst in die Tiefe. Durch mehrere an einer Stelle eingebrachte Samen finden wir die geeigneten Standorte für die Arten heraus. Häufiger Baumschnitt zu Beginn verstärkt das Wurzelwerk, und mit dieser kraftvollen Basis verändert sich über die Blattmasse das Mikroklima. Es wird nach unten kühler und der Boden dadurch feucht und porös.

Welche Pflanzen probieren Sie aus?
Benedikt Bösel Es gibt zum Beispiel eine Pflaumen- und Birnenreihe mit 17 Pflaumen- und vier Birnensorten, weil wir immer im ersten Schritt schauen müssen, welche Arten sich in so einem trockenen Gebiet durchsetzen. Bei allem, was wir tun, probieren wir viel aus, und das mit einer möglichst hohen Pflanzen- und Artenvielfalt. Wir versuchen sogar, viele Fehler zu machen, um daraus zu lernen.

Ist der Standort entscheidend?
Benedikt Bösel Wir haben insgesamt 1900 verschiedene Bäume und Sträucher und versuchen, die Informationen nutzbar zu machen. Wir haben eine Kooperation mit dem Leibniz- Institut für Gewässerökologie, die fliegen hier mit einer Hyperspektralkamera einen Parcours entlang, immer zweimal pro Monat während der Vegetationsperiode und sammeln die Daten. Unser GIS-Modell, ein Geoinformationssystem, kann genau sagen, wo welcher Baum, welche Sorte in welcher Konstellation steht. Über vier Jahre verteilt, kann man dann die Bilder aufeinanderlegen und genau sagen, wo was wie stark wuchs. Das wollen wir natürlich alles Open Source machen und unsere Daten zur Verfügung stellen, denn es gibt in der Landwirtschaft keine unabhängige Beratung. Auch da muss ein Umdenken stattfinden.

Was bedeutet Landwirtschaft auf Ihrem Hof?
Benedikt Bösel Die regenerative Landwirtschaft versucht, durch das Beobachten des Ökosystems die Stärken der Natur zu nutzen. Zum Beispiel: Auf der einen Seite haben wir Kühe, deren Fladen Brutstätten für Fliegen sind, unter denen die Kühe später leiden. Gleichzeitig gibt es hier Hühner, die sich dauernd gegenseitig picken, weil ihnen vielleicht langweilig ist und denen Proteine in der Nahrung fehlen.

Beim ganzheitlichen Weidemanagement stehen die Kühe auf kleinen Flächen und werden jeden Tag umgestellt. Die Hühner laufen hinterher, kratzen die Kuhfladen auseinander und verteilen für uns die Nährstoffe. Sie picken die proteinhaltigen Larven, die Kühe haben weniger Ärger durch Fliegen, und die Hühner hören auf, sich gegenseitig zu picken. Man könnte es eine Win-win-win-Situation nennen (lacht).

Welche Vorteile hat das für den Boden?
Benedikt Bösel Dadurch, dass die Kühe jeden Tag umgestellt werden, fressen sie die Pflanzen nicht bis zum Boden ab, sondern lassen sehr viel Blattmasse stehen. Sie trampeln aber auch viel um. Man hat also wieder die Bodenbedeckung und den Schutz und für die Mikrobiologie gleich wieder Nahrung sowie den Dünger. Die Kunst ist es, die Kühe in den Ackerbau zu integrieren. Heutzutage importieren wir noch einen Großteil der Nährstoffe von außen, etwa Rindermist und Geflügelmist, um Nährstoffe zu ergänzen. Das kostet viel Geld und ist ökologisch der Horror, weil man mit großen Maschinen fahren muss.

Alternativ könnten bei einem Feld, auf dem bereits die Untersaat steht, bei uns die Kühe drauf. Damit hätten wir geringere Futterkosten und bringen den Dünger direkt auf die Fläche. Die Amerikaner sagen: It’s not the cow, it’s the how. (lacht) Kühe sind keine Klimakiller. Aktuell probieren wir es mit Roggen und Wicke, damit es verlässlich viel Biomasse gibt.

Regenerative Landwirtschaft

Wie könnten mehr landwirtschaftliche Betriebe auf regenerative Methoden umstellen?
Benedikt Bösel Man müsste in diesem Zusammenhang verschiedene Themenkomplexe verändern. Etwa Wissenschaft und Industrie, denn die Forschung ist häufig weit weg vom Bedarf. Auch der Forschungs-und-Entwicklungs-Etat der Bundesregierung in Bezug auf Landnutzung beträgt für Ökolandwirtschaft nur 2 % im Vergleich zu 98 % für konventionelle Landwirtschaft. Gleichzeitig wollen wir aber die ökologische Fläche bis 2030 bei 20 Prozent in Deutschland haben und in der EU bei 25 Prozent. Da merkt man, was für ein extremer Widerspruch besteht.

Auch die Bildung und Ausbildung von Landwirt*innen hat lange Jahre das Thema Boden und die natürlichen Prozesse zu Bodenbiologie nicht in der Tiefe behandelt, sondern war ausgerichtet auf Pflanzenschutz und die Optimierung von Maximalerträgen, Spezialisierung und Konkurrenz mit dem Weltmarkt. Als Nischenland können wir jedoch nicht mit dem Weltmarkt konkurrieren, denn unter der erforderlichen Kostenoptimierung leiden dann wieder Aspekte wie Tierwohl und Ökologie.

Welche Themen spielen hier noch mit hinein?
Benedikt Bösel Wir, die Landwirt*innen, wurden oft zu immer höheren Investitionen in Anlagen, Maschinen, Lagerhallen und Ställe getrieben, weil das Thema Kostenoptimierung „auf Masse“ ging. Der Verschuldungsgrad ist dabei oft hoch, und die Bank fordert ihre Annuitäten, egal ob du selbst jetzt mehr Tierwohl willst. Wir müssten Finanzierungsinstrumente haben, die auf diese Komplexität der Landwirtschaft eingehen.

Dann kommen wir zu den externalisierten Kosten der Produktion, dem sogenannten true cost accounting. Heute müssen ganz viele Kosten, die zulasten des Ökosystems und der Gesellschaft gehen – von schmutzigem Wasser über Nahrung, die nicht unmittelbar auf Gesundheit ausgerichtet ist –, vom Ökosystem oder der Gesellschaft getragen werden und sind nicht der Produktion zugeordnet. Würden wir sie bewerten, hätten wir eine andere Finanzierungslogik.

Dann gibt es von der anderen Seite das Thema „richtig rechnen“ in der Landwirtschaft. Viele Leistungen, die man erfüllt in Bezug auf gesunden Boden und Wasser, sowie die Investition in Zwischenfrüchte, also alles, was dem Unternehmen und der Gesellschaft im weitesten Sinne zugutekommt, wird heutzutage in die wirtschaftliche Abrechnung und Bewertung von landwirtschaftlichen Unternehmen gar nicht mit eingearbeitet. Obwohl sie mit hineinmüssten.

Wie kann die Politik das verbessern?
Benedikt Bösel Das ist auch wieder sehr komplex. Flächenbezogene Förderung bevorzugt die großen Betriebe, das ist sicherlich langfristig abzuschaffen. Das sage ich, obwohl ich davon abhängig bin. Am Ende des Tages lauten die Fragen: Wie können wir langfristig in Deutschland international wettbewerbsfähig bleiben? Und wie können wir überhaupt neues Denken und Innovation ermöglichen und junge Leute wieder in die ländlichen Räume bringen?

Regenerative Landwirtschaft

Haben Sie da eine Idee?
Benedikt Bösel Zum einen die Ausrichtung auf neue Landnutzungssysteme, die Landwirtschaft ermöglichen ohne externe synthetische Inputs wie Stickstoffdünger oder Pestizide. Ein Instrument zum Beispiel, das aus meiner Sicht genial wäre, weil es viele Probleme auf einmal abhaken würde, wäre eine Art „Innovationsgutschein im ländlichen Raum“. Als junger Mensch könntest du dich nach der Schule oder der Uni zusammen mit einem Betrieb bewerben, würdest ein bis drei Jahre ein Gehalt bezahlt bekommen, um in und mit dem Betrieb einen neuen Betriebszweig zu entwickeln. Um etwas Neues aufzubauen, sei es digitale Technologien zu testen oder die Direktvermarktung aufzubauen.

Das würde bedeuten, man ermöglicht jungen Menschen, in einem Betrieb zu sein, man bringt ihnen etwas bei und fördert ein neues Denken. Es gibt viel Potenzial, und wir würden gleichzeitig die Attraktivität der grünen Berufe und sogar eventuelle Hofübernahmen unterstützen.

 

Zur Person
Benedikt Bösel ist Landwirt und Geschäftsführer von Gut & Bösel, einem ökologischen Land und Forstwirtschaftsbetrieb mit 1100 Hektar Ackerfläche etwa eine Stunde östlich von Berlin. Er hat einen Bachelor in Business Finance, einen Master in Agrarökonomik und ist Vorstand von Soil Alliance – Verein für regenerative Landwirtschaft e.V.

Kulturtipps von Benedikt Bösel

Hören „Here, my Dear“ von Marvin Gaye
Die Musik dieses Albums war damals so sehr ihrer Zeit voraus, dass sie von keinem Menschen verstanden wurde. Bis heute mein absolutes Lieblingsalbum.

Lesen „Aphorismen zur Lebensweisheit“ von Arthur Schopenhauer
Hat mir als junger Mensch sehr geholfen, mein Umfeld und mich zu beobachten und eventuell auch zu verändern.

Sehen „The Permaculture Orchard. Beyond Organic“ von Stefan Sobkowiak Theorie, Praxis und Anleitungen – wer aktiv werden will, findet hier super Ansätze. 

Dieses Interview ist erschienen in Werde 04/2020
Text und Foto Jessica Jungbauer