Während die Hände langsam Körbe flechten, ist unser Geist ruhig und konzentriert. Evey Kwong hat Korbflechter in vielen Ländern besucht und sich intensiv mit dem kreativen Schaffensprozess dieses Kunsthandwerks auseinandergesetzt.
„Jedes Wochenende bin ich ins Berliner Umland gefahren, um etwas über Pflanzen zu lernen und zu schauen, mit welchen Arten ich arbeiten kann. Ich war ganz schön stur“, erzählt Evey Kwong. Die Grafikdesignerin stammt aus Malaysia, lebt und arbeitet seit dreizehn Jahren in Berlin und entdeckte vor fast vier Jahren die Korbflechterei für sich.
Zunächst war sie allerdings auf der Suche. Da war das Gefühl, dass ihr Leben ein Eintauchen in die Langsamkeit brauchte: „Ich wollte mich verstärkt in das wirkliche, echte Leben vertiefen, den Geschichten von Menschen auf dem Land, von Handwerkern und Bauern, lauschen und Anteil an ihnen nehmen. Ihre Erzählungen interessieren mich sehr, weil diese Menschen mit ihren Sinneserfahrungen arbeiten. Das habe ich lange Zeit in meinem eigenen Dasein vermisst.“ Sie probierte sich zunächst im Töpfern, begleitete Pflanzenkundler und übte sich im Herstellen von Tinkturen, bis ihr Weg sie allmählich zum Korbflechten führte.
Die geistige Fokussierung wirkt therapeutisch
Evey Kwong lebt in Berlins Innenstadtbezirk Wedding in einem Apartmentblock aus der Nachkriegszeit. In einer Wohnung, die wirkt wie ein sehr spezialisiertes Hausmuseum. An den Wänden hängen Schätze von vielen Reisen, Körbe und Korbflechtereien, die sie von ihren Exkursionen und Forschungsaufenthalten in Kalimantan, Spanien, Schottland und Süddeutschland mitgebracht hat, sowie eigene Arbeiten. Sie gießt gekühlten Sencha-Tee in Glastassen und erzählt, was sie am Korbflechten schätzt: „Ich gelange dabei in einen Geisteszustand, in dem ich mich nur auf eine einzige Aufgabe konzentriere und nicht auf viele andere Dinge gleichzeitig. Für mich ist diese geistige Fokussierung therapeutisch. Auch deshalb habe ich mit dem Korbflechten begonnen.“
„Ich glaube, unser Leben ist zu zweidimensional und praxisfern. Oft mangelt es uns am Verständnis für gestalterische und handwerkliche Problemstellungen.“
Die Beschäftigung mit der Korbflechterei nahm im ältesten Dorf Berlins, Lübars, ihren Anfang. „Ich machte mich auf die Suche und probierte aus, mit welchen Pflanzen ich gut arbeiten kann und was ich mit den verschiedenen Zweigen und Baumrinden herstellen kann.“
Dabei kam Evey Kwong an ihre Grenzen und beschloss, bei erfahrenen Kunsthandwerkern in der ganzen Welt zu lernen. Auf ihren Reisen lernte sie die Offenheit und den Gemeinschaftssinn der Korbflechter schätzen. „Wenn man flechtet, dann geschieht das traditionell in einer Gruppe. Für mich hat das etwas sehr Besonderes, denn es werden Geschichten aus dem Leben ausgetauscht.“
Jeder Korbmacher empfahl ihr einen weiteren Kollegen, bei dem sie lernen konnte. Das gemeinsame Interesse an einem immer seltener werdenden Handwerk verbindet die Menschen. Mit vielen Lehrmeistern ist sie heute noch in Kontakt oder befreundet, spricht von innigen und dauerhaften Beziehungen.
„Etwas, das ich am Korbflechten am meisten mag, ist dieses sehr sinnliche und wesentliche Gefühl, etwas zu erschaffen. Natürlich haben wir oft einen Lehrer, der uns einfach das Flechten beibringt. Aber es gibt auch diese Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen, die eine Wirkung haben, selbst wenn wir die Sprache der Person, die uns unterrichtet, nicht verstehen“, erzählt Evey.
Das Handwerk sorgt für die Kommunikation
Von den Erfahrungen in Kalimantan, dem indonesischen Teil der Insel Borneo, ist sie am tiefsten beeindruckt. Hier traf sie Menschen, für die das Handwerk nicht nur ein Beruf war, sondern ihr gesamtes Leben prägte. Ihr Wissen gaben sie von Generation zu Generation weiter. Viele der Korbflechter erlernten das Handwerk von und in der Gemeinschaft und ohne einen direkten Lehrer. Sie erinnert sich: „Wenn ich ein indigenes Dorf besuchte, konnte ich mit den Menschen vor Ort nicht in Worten sprechen. Nur das Handwerk selbst sorgte für die Kommunikation. Allein durch das Beobachten von Handbewegungen und durch Augenkontakt entstand eine Verbindung, und wir traten in eine Beziehung zueinander. Das fand ich sehr interessant.“
Auch die Körperhaltung der Korbflechter nahm sie unterwegs ganz bewusst wahr, denn dieses Handwerk verlangt großen Körpereinsatz. Die indigenen Gemeinschaften arbeiten etwa ebenerdig auf dem Boden, das entspricht der Tätigkeit am besten. Arbeitstische sind durch eine beschränkte Sichtebene und wenig Bewegungsfreiheit denkbar ungeeignet.
Es ist das Zusammenspiel von Händen und Körper, das das Korbflechten auszeichnet. „Wenn wir eine geflochtene Form bearbeiten und Druck auf sie ausüben, spüren wir diese Spannung des Materials gleichsam auch als innere Anspannung in unserem Körper. Es entsteht eine Art symbiotische Beziehung“, beschreibt Kwong. „Selbst wenn wir die Vision einer Form haben, ist es noch lange nicht sicher, dass wir diese auch erschaffen können. Erst wenn wir Druck auf das Material ausüben, den Druck verstärken und wieder abschwächen, tasten wir uns allmählich an die Form heran, die uns vorschwebt. Korbflechten ist in dieser Hinsicht vielleicht dem Töpfern ähnlich. Erst durch die Erfahrung lernen wir, die Formgebung zu kontrollieren.“
Neuer Blick auf die Natur
Evey Kwong ist als Stadtkind in Kuala Lumpur aufgewachsen, der Hauptstadt von Malaysia, und lebt inzwischen seit dreizehn Jahren in Berlin. Die tropischen Wälder ihrer Heimat nahm sie lange Zeit als bedrohlich wahr. Das waren Orte, in denen Schlangen, Spinnen und gefährliche Tiger lebten.
Wenn sie heute zurück in ihre Heimatstadt kommt, sieht sie die Natur mit anderen Augen. Durch die Korbflechterei hat sie die Wälder kennen- und schätzen gelernt. Die Entfremdung des Menschen von seiner natürlichen Umwelt betrachtet sie mit Sorge. Wir hätten unsere Sinne für die Natur verloren und könnten nicht mehr harmonisch mit ihr und als Teil von ihr leben, erklärt sie und nimmt diese Entfremdung auch im eigenen Leben wahr.
Wenn Arbeit entmenschlicht
Seit vielen Jahren verdient sie ihren Lebensunterhalt als freiberufliche Grafik- und UX-Designerin. Und obwohl auch diese Form von kreativer Arbeit eine ästhetische Dimension hat, spürt sie ihre Beschränkungen. „Manchmal fühle ich mich wie eine Maschine, die eine Maschine bedient. Auf eine gewisse Art entmenschlicht mich meine Arbeit.“
Sie ist überzeugt davon, dass wir Menschen unsere natürliche Umwelt zerstören, weil wir ihre Wirkungskraft nicht mehr kennen und daher auch nicht mehr wertschätzen. Mit ihrer Arbeit will sie einen Bezug zur Natur aufbauen, Empathie und Respekt für sie entwickeln. Die Korbflechterei hilft ihr dabei.
Evey Kwong bezeichnet sich selbst zwar als „Novizin im Korbflechten“, als Neuling, und gründete 2018 eine Initiative mit Namen „Futurprimitiv“. Sie entwickelt experimentelle Lehrformate und veranstaltet seit 2019 Workshops, bei denen sie ihre Erfahrung von Naturverbundenheit und intuitivem Arbeiten weitergibt. Beim ersten Kurs „Gefundenes Flechten“ im Künstlerdorf Gerswalde in der Uckermark begleitete sie die Kursteilnehmer zunächst auf einem Streifzug durch die Natur, sprach über die Pflanzen und zeigte, welche sich gut zum Flechten eignen.
Mit den gesammelten Materialien vermittelte sie im Studio Grundtechniken des Korbflechtens und regte zu eigenen Experimenten an. „Es war eine große Überraschung für mich, dass sich Menschen, die kaum über handwerkliche Fähigkeiten verfügten, etwas so Brutalistisches, Skulpturales und Schönes einfallen lassen konnten.“
„Ich benutze das Korflechten als ein Ritual, um mich an die Kraft der Langsamkeit zu erinnern und ein Gleichgewicht in meinem Leben herzustellen.“
Während in traditionellen Workshops der Schwerpunkt auf das Erlernen von Techniken gelegt wird, stehen bei Evey Kwong gestalterische Experimente und ein sinnlich-haptisches Eintauchen in den kreativen Schaffensprozess im Vordergrund. Ihre Kurse sind ortsgebunden und basieren auf Improvisationen mit begrenzten Rohstoffen. Gearbeitet wird mit Pflanzen, die in der unmittelbaren Umgebung wachsen. „Ich finde diesen Ansatz so interessant, weil wir hierbei fehlgeschlagene Versuche, aber gleichzeitig auch viele Erkundungen beobachten können. Ich glaube, dass die Menschen in prähistorischer Zeit ihr Schaffen auf diese Weise begonnen haben. Es ist ein intuitiver Lernprozess.“
Die Natur mit anderen Augen sehen lernen
Für ihre Schüler erschafft sie einen Raum, in dem sie lernen können, ihre natürliche Umwelt ganz genau zu beobachten, zu erkunden und in einen Gestaltungsprozess im Zusammenspiel mit der Natur einzutreten. Evey Kwong: „Wenn die Teilnehmer das nächste Mal zurück in den Wald kommen, sehen sie die Natur mit anderen Augen.
Drei Fragen an Evey Kwong
Warum machen Sie diese Arbeit?
Auf meinen Forschungsreisen inspiriert mich die Begegnung mit traditionellen Formen des Korbflechtens. Viele dieser Kenntnisse und Geschichten vermitteln uns wichtige Einblicke in die Widerstandsfähigkeit von Kulturformen und in ein Leben mit Respekt vor der Natur. Dieses Wissen könnte bedeutsam im Umgang mit der drohenden Klimakrise sein.
Was ist Ihre Vision?
Ich möchte mit meiner Arbeit hinterfragen, wie wir lernen, und bin fasziniert von der Herangehensweise des Erfahrungslernens und von den Schriften Claude Lévi-Strauss’. Sie beschreiben die Wichtigkeit des ungezähmten Geisteszustands im kreativen Schaffensprozess. Ich möchte meine Methode des lebenslangen Lernens der Öffentlichkeit zugänglich machen.
Was wollen Sie weitergeben?
Es ist mir wichtig, nicht nur Objekte zu flechten und herzustellen, sondern auch interessierte Kinder und Erwachsene dazu führen, sich mit Materialien auseinanderzusetzen und ihr Umfeld aufmerksam wahrzunehmen. Ich sehe es als einen Prozess der Selbstwerdung an, in dem sich die individuelle und die kollektive Welt gemeinsam entwickeln und gegenseitig formen.
Dieser Beitrag ist erschienen in Werde 04 / 2020
Text: Dörte de Jesus
Fotos: Anna Rosa Krau
Hier teilt Evey Kwong eine Anleitung für einen selbstgemachten Handbesen aus Espartogräsen.