Two Balconies Balkon

„Gärtnern auf dem Balkon ist für uns eine Lebenseinstellung“

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Viele Menschen haben den Traum vom Dasein als Selbstversorger*in – aber was tun, wenn man mitten in der Stadt wohnt und nur einen Balkon hat? Am besten einfach loslegen. Platz für eigenes Gemüse ist auf dem kleinsten Balkon. Sabrina Trenkler und Jessica Uhlig, die den Blog „two balconies“ betreiben, wissen, worauf es ankommt, wenn man auf ein paar Quadratmetern eigene Tomaten und Radieschen anpflanzen und ernten möchte. Sie verwirklichen mitten in der Stadt ihren Traum vom Selbstversorgerinnen-Leben.

Two Balconies Balkon

Auf eurem Blog „two balconies“ bezeichnet ihr euch als Balkongärtnerinnen. Wie groß sind eure Balkone – und wie hängen sie miteinander zusammen? 
Sabrina Trenkler Wir haben jeweils zwei Balkone – also zusammen vier. Jeder unserer Balkone ist etwa fünf Quadratmeter groß. Wir wohnen seit mehr als zwei Jahren im selben Haus in der schönen Stadt Leipzig, sind also nicht nur Freundinnen, sondern auch Nachbarinnen. Unsere Balkone sind direkt übereinander. Unten wohnt Jessi, darüber wohnte ich. Im vergangenen Jahr haben wir die Balkone durch Schnüre verbunden, an denen Prachtwinde von Jessis Balkon hoch zu meinem Balkon wuchsen. Mal schauen, was in diesem Jahr dort ranken wird.

Was war euer erstes Pflanzprojekt – und hattet ihr eine reiche Ernte?
Jessica Uhlig Zuerst haben wir beide direkt daran gedacht, Kräuter anzubauen. Wir kochen gern, und da dürfen Rosmarin, Koriander, Salbei, Thymian und Co. nicht fehlen. Danach haben wir damit begonnen,  Auberginen auf dem Balkon anzubauen. Damit sollte man zeitig beginnen und sie schon im Februar im Haus vorziehen. Und dann kamen die Tomaten.

Nach und nach haben die Jungpflanzen immer mehr Zeit auf dem Balkon verbracht, bis sie im Mai nach den Eisheiligen dann endgültig draußen bleiben durften. Die meisten Auberginen zogen in unseren Schrebergarten, aber eine Pflanze wuchs auf dem Balkon. Anfangs ist sie deutlich schneller gewachsen als ihre Freunde, die in den Garten wanderten – einfach, weil es bei uns auf dem Balkon etwas wärmer ist als im Freiland. Es hat Spaß gemacht, die kleinen lila Blüten zu Auberginen ausreifen zu sehen. Und noch mehr Spaß natürlich, sie zu essen – sie kamen auf unseren Grill. An einer reichlichen Ernte gelber und roter Tomaten durften wir uns ebenfalls erfreuen.

Two Balconies Balkon   Two Balconies Balkon

Was sind die ersten Schritte, wenn man selbst auf dem Balkon gärtnern möchte? 
Sabrina Trenkler Zunächst sollte man eine kleine Standortanalyse betreiben: Hat man einen Nord- oder Südbalkon? Wie viel Sonneneinstrahlung gibt es auf dem jeweiligen Balkontyp? Ist er vor Regen geschützt oder der Witterung frei ausgesetzt? Wieviel Platz hat man eigentlich zur Verfügung?
Wenn man diese Sachen bedenkt, sollte man sich überlegen: Will ich nur Blumen anbauen? Möchte ich einen Selbstversorger-Balkon mit Obst und Gemüse oder reicht mir ein Kräuterbalkon aus?

Danach geht es an das Equipment: Man benötigt Kästen, Töpfe, Kübel oder kleine Hochbeete, Erde und natürlich zu guter Letzt die Pflanzen.

Welche Pflanzen eigenen sich am besten?
Jessica Uhlig Man sollte beachten, dass die Pflanzen einen gewissen Platzbedarf haben – sowohl was die Topfgröße anbelangt als auch das Volumen, das die Pflanze einnehmen wird. Bei Tomaten gibt es zum Beispiel sehr große Exemplare oder eben ganz kompakte. Auf dem Balkon ist der Platz begrenzt. Der Boden könnte also ziemlich schnell mit Töpfen und Kübeln vollgestellt sein. Darum sollte man den ganze Raum nutzen, zum Beispiel in die Höhe: Kleine Obstbäume gedeihen gut im Kübel – bei Sabrina waren es im vorigen Jahr ein Johannisbeer-Hochstämmchen und ein Granatapfelbäumchen. Unten in den Kübel kann man noch Blumen setzen oder säen.

In diesem Jahr wird bei uns Baumspinat auf dem Balkon wachsen. Dieser wächst bis zu drei Meter hoch und bietet somit in der Höhe jede Menge Ernte, besser als etwa Spinat im Balkonkasten. Ebenso kann man das Balkongeländer nutzen, indem man etwas daran ranken lässt. Hier eignen sich Erbsen und Kürbis gut, oder auch Blumen wie Wicken.

Two Balconies Balkon Two Balconies Balkon

An wie viele verschiedene Gemüsesorten kann man sich am Anfang heranwagen?
Sabrina Trenkler Zwei bis drei Gemüsesorten reichen für den Anfang aus. Einfache Sorten wie Radieschen, Mangold oder Frühlingszwiebel gelingen immer und motivieren dazu, mehr auszuprobieren. Wenn man die Grundlagen beherrscht, kann man Schritt für Schritt zum Selbstversorger aufsteigen. Aber bitte dran denken: Die Pflanzen benötigen eine regelmäßige Pflege. Gießen steht beinahe täglich auf der Tagesordnung. Zudem wünschen sich die Pflänzchen ab und an ein bisschen Nahrung. Wir düngen gerne mit selbstgemachter Brennnessel- und Rhabarberjauche. Dazu haben wir im Hinterhof einen Schnellkomposter, den wir immer ordentlich füttern und der uns dafür mit frischer Komposterde belohnt. Im Spätherbst müssen die Pflanzen dann auf den Winter vorbereitet werden. Die ein oder andere verträgt jetzt einen guten Rückschnitt. In der kalten Jahreszeit ist der Aufwand wesentlich geringer, hier ist nur wöchentliches Gießen angesagt.

In welchem Monat fängt man am besten mit dem Balkongärtnern an?
Jessica Uhlig Anfangen kann man eigentlich in jedem Monat. Im Januar etwa beginnt man innen bei der Pflanzenanzucht mit Chili und Paprika. Hat man das verpasst, kann man die Pflanzen aber auch später noch in der Gärtnerei oder auf dem Wochenmarkt kaufen.

Im März fängt dann ganz klassisch die Tomatenanzucht an. Die macht auch viel Freude, weil man schnell Ergebnisse sieht – die Pflanzen wachsen recht zügig und zuverlässig. Möchte man gleich draußen beginnen, sät man bereits Spinat, Mairüben oder Zwiebeln aus. Außerdem kann man im März verschiedene Blumen vorziehen. Bei uns sind das in diesem Jahr Zinnien, Löwenmäulchen, Strauchpappeln, Nelken und auch Tagetes – die blühen übrigens gern bis in den Dezember. Sogar Blumenzwiebeln wie Lilien oder Milchsterne kann man im März auf dem Balkon in die Erde bringen.

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Wie gelingt die Aussaat der Balkonpflanzen?
Sabrina Trenkler Die meisten Pflanzen bevorzugen eine Aussaat im geschützten Innenraum. Sobald die kleinen Pflanzen kräftig genug sind, kann man sie tagsüber gerne der Sonne und der frischen Luft aussetzen. Zum Abend hin sollten die Pflanzen wieder hereingeholt werden. Die meisten Pflanzen mögen keinen Nachtfrost, daher sollten sie endgültig erst nach den Eisheiligen auch über Nacht draußen stehen. Aber man sollte vorher anhand des individuellen Standortes bewerten, wie geschützt die Pflanzen dort sind. Wenn man viel pflanzen möchte, sollte man sich einen Plan machen. Oder man schafft eben Platz, in dem man Schnüre zum Ranken spannt oder Regale aufbaut.

Welche Rolle spielt das Saatgut?
Jessica Uhlig Uns ist wichtig, dass unser Saatgut Bio-Qualität hat. Wir kaufen keine Hybride, da wir auch gern die Samen unserer Pflanzen ernten wollen, um im nächsten Jahr ähnliche Ernteerfolge zu erzielen. Außerdem achten wir Saatgut darauf, dass die Pflanze zu uns passt. Wir entdecken etwa gerne alte Sorten neu für uns. Die Möhre Duwicker ist beispielsweise perfekt geeignet für den Balkon, da sie klein und dafür eher dick wird und nicht so in die Tiefe wächst. Bei der Wahl von Tomaten achten wir auf ertragreiche Sorten, damit wir auf geringer Fläche möglichst viel ernten können. In diesem Sommer probieren die Fleischtomate Ananas aus, sie soll Früchte mit bis zu einem Kilo liefern.

Wie gewinnt man aus dem eigenen Gemüse das Saatgut fürs nächste Jahr?
Sabrina Trenkler Gut funktioniert hat dies bei uns mit Möhren und Radieschen. Dafür einfach die Pflanze solange stehen lassen bis sie zur Blüte kommt. Danach die ausgereiften Samenkapseln ernten und die Samen gut verschlossen an einem dunklen, trockenen Ort lagern. Manche Samenstände sind etwas schwieriger zu ernten, da der Samen sehr klein ist. Dafür einfach die Kapseln in einer Schlüssel oder einem hellen Tuch ausschütteln.

Jessica Uhlig Auch die Samen der Prachtwinde sind wirklich einfach zu ernten. Nachdem die Blüten verblüht sind, bilden sich Samenkapseln, in denen sich je zwei bis drei Samen befinden. Von der Prachtwinde konnten wir so einen großen Vorrat für dieses Jahr gewinnen. Eigentlich wollten wir damit auch gern mal Saatguttauschbörsen besuchen. Aber auch über Instagram läuft der Austausch mit Saatgut, das funktioniert sehr gut.

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Was sollten Einsteiger*innen noch wissen?
Jessica Uhlig Ganz wichtig: Scheitern ist erlaubt. Und da man aus Fehlern lernt, kann es beim nächsten Versuch nur besser werden. Wenn etwas nicht so geklappt hat, wie gewünscht, einfach beim nächsten Besuch in der Gärtnerei nach Tipps fragen. Die Gärtner kennen ihre Pflanzen und geben ihr Wissen sicher gern weiter.

Was habt ihr selbst seit dem ersten Pflanzprojekt dazu gelernt?
Jessica Uhlig Die Sache mit dem Basilikum. Eigentlich säen wir am liebsten selbst aus. Das klappt bei fast allen Pflanzen und Blumen sehr gut, nur eben nicht beim Basilikum, zumindest bei uns. Den kaufen wir mittlerweile bei der Gärtnerei und topfen ihn dann um. Dazu einfach die Pflanze aus dem Topf befreien und jeden Stängel einzeln mit größerem Abstand, als er im Topf gegeben war, in einen Balkonkasten einpflanzen. Die Stängel werden sehr groß und stark. Beim Ernten immer nur die obersten Blätter zupfen. Sehr ertragreich!

Was kann noch so alles schief gehen beim Balkongärtnern?
Sabrina Trenkler Es kann so einiges schief gehen, die Hauptsache ist aber, sich nicht entmutigen zu lassen. Wenn man dann noch ein bisschen Fehleranalyse betreibt, kann man das Ganze gleich nochmal etwas verbessert angehen. Man sollte die Ansprüche der Pflanzen, die man sät/pflanzt, kennen und diese sollten zuallererst zum gegebenen Standort passen. Eine Pflanze mit hohem Sonnenbedarf wird wohl einen Nordbalkon wenig attraktiv finden und die Erwartungen der Balkongärtner*innen  erfüllen.

Wie geht ihr mit ungebetenen Balkongästen wie etwa Läusen um?
Jessica Uhlig Die können tatsächlich ganz schön nerven. Gegen Blattläuse helfen eigentlich Marienkäferlarven – aber ist eine Pflanze erst einmal befallen, merkt man, wie wenig Marienkäfer sich im Umfeld des Balkons tummeln. Dann kann man noch zu anderen Mitteln greifen. Da wir auf chemische Produkte auf unseren Balkonen verzichten, probieren wir die verschiedensten Hausmittel aus. Im vorigen Jahr hat bei mir das Sprühen mit Kaffee-Wasser-Gemisch oder Milch-Wasser-Gemisch Wunder gewirkt. Wir haben beides in relativ kurzer Zeitfolge genutzt, daher wissen wir nicht, welches Gemisch Wirkung zeigte – aber danach hatten wir die ganze Saison über Ruhe vor Blattläusen. Wir werden es wohl bald wieder ausprobieren.

Two Balconies Balkon

Ihr pflanzt nicht nur Gemüse an, sondern auch Kräuter und bunte Blumen – welche Pflanzen eigenen sich am besten?
Jessica Uhlig Der Balkonklassiker schlechthin ist der Oleander: immergrün, blüht zuverlässig den gesamten Sommer über und kann sogar den Winter draußen verbringen, wenn er geschützt ist. Auch Basilikum darf natürlich nicht fehlen. Den benötigen wir in rauen Mengen, und wenn man ihn wie beschrieben erntet, hat man ewig was davon. Begeistert hat uns das Currykraut mit seinem intensiven Duft und den vielen kleinen, gelben Blüten. Strauchveronika lockt viele Insekten an. Lavendel ist für uns ebenso ein Muss auf dem Balkon. Und Rosen sind relativ pflegeleicht, genauso wie Ringelblumen.

Kann jeder das Balkongärtnern lernen?
Sabrina Trenkler Ja, und genau das wollen wir zeigen: Jede*r kann Balkongärtner*in werden! Vor ein paar Jahren waren wir auch Anfängerinnen. Einfach ausprobieren hilft, um nicht zu verkrampft an das  Gärtnern heranzugehen. Man muss nicht unbedingt Unmengen von Fachliteratur wälzen, um sich dem Thema zu nähern. Gärtnern auf dem Balkon ist für uns eine Lebenseinstellung geworden. Mut haben, einfach mal ausprobieren, sehen was kommt – und dann auch mal mit Misserfolgen zurecht zu kommen. Denn genau das ist es beim Gärtnern, ob im eigenen Garten oder auf dem Balkon: Man lernt nie aus. Und Gärtnern kann man wirklich auf jedem Balkon, denn für jede Lichtverhältnisse gibt es spezielle Pflanzen, die genau an diesem Standort gut gedeihen.

Warum macht ihr euch in der Freizeit all diese Arbeit? 
Sabrina Trenkler Wir leben mitten in einem urbanen Raum – und es ist uns ein Anliegen, diesen grüner zu machen. Täglich sehen wir verwahrloste Balkone, ungenutzte Flächen, die auch als wunderbare Wildblumenwiesen dienen könnten und auch Gärten, die nur aus Rasenfläche bestehen. Wir wollen aber auch nicht mit erhobenem Zeigefinger voranschreiten. Auf unserem Blog und bei Instagram zeigen wir einfach, was wir anbauen und wollen auch die Arbeit anderer Gärtner*innen sichtbarer machen.

Jessica Uhlig Wir tun das aus vollem Herzen. Weil wir es lieben, etwas wachsen zu sehen, unsere Ideen zu verwirklichen und unsere Welt damit ein bisschen schöner und grüner zu machen. Unsere Vision ist, zu zeigen, was alles auf dem Balkon möglich ist. Es kann blühen, es kann wachsen, ranken – und vor allem kann es schmecken und Freude bereiten. Wenn wir in den Menschen den Wunsch wecken, auch auf dem Balkon aktiv zu werden und vor allem in den Städten für etwas mehr Grün sorgen, ist schon so viel gewonnen.

Two Balconies   Two Balconies Balkon

Zur Person
Jessica Uhlig und Sabrina Trenkler sind Freundinnen, Nachbarinnen, Balkon- und Schrebergärtnerinnen und wohnen im selben Haus in Leipzig. Anfang 2020 haben sie ihr Herzensprojekt “two balconies” ins Leben gerufen. Hier bloggen sie über ihr Balkon- und Gartenleben, von der Aussaat bis zur Ernte. Dazwischen tummeln sich noch Interviews mit Gärtner*innen und Blumen-Enthusiast*innen, Rezepte und DIYs. Eines ihrer Lieblingsrezepte haben sie uns verraten. Hier geht es zum Focaccia mit Gemüse vom eigenen Balkon

Interview Ulrike Bretz   Fotos „two balconies“, Jonathan Hexel