In einem einzigen Gramm leben Millionen von Kleinstlebewesen und mehrere tausend Arten Bakterien. Der Bodenwissenschaftler Sven Marhan erklärt das Ökosystem Boden.
Unser Boden bietet nicht nur Pflanzen Nahrung. Er atmet auch, verdaut, und sammelt Reserven – wie ein Superorganismus. Wenn die Bedingungen ungünstig für ihn sind, stirbt und verschwindet er. Ein Gespräch mit dem Bodenwissenschaftler Dr. Sven Marhan darüber, was unsere Böden gesund hält.
Dr. Sven Marhan, Sie sind Bodenwissenschaftler. Wie gut kennen Sie den Boden unter ihren Füßen?
Sven Marhan Wir haben schon viele Untersuchungen in und auf diesem Boden durchgeführt. Hier auf der Filderebene in der Nähe von Stuttgart besteht die Bodentextur zu 70 Prozent aus Schluff. Mehr als 20 Prozent sind Ton. Der Sandanteil ist gering. Das ist ein sehr guter Ackerboden. Er ist nicht zu locker wie die sandigen Böden rund um Halle oder in Teilen Brandenburgs, die leicht abgetragen werden und schlecht Wasser speichern. Aber auch nicht zu schwer wie stark tonhaltige Böden, die zu Staunässe neigen und schwer zu bearbeiten sind.
Warum gibt es verschiedene Bodenarten?
Sven Marhan Die Bodenarten haben sich im Laufe von Jahrmillionen entwickelt, aus unterschiedlichen Gesteinstypen sowie spezifischen Mikroorganismen und Pflanzen. Das Gestein verwitterte, zerfiel in Bruchstücke und wurde von kleinen und größeren Organismen besiedelt. So haben sich verschieden große Mineralpartikel gebildet. Abhängig von der Größe dieser Körner unterscheiden wir drei Bodenarten: Sand, Schluff und Ton. Sandkörner sind recht groß, sie haben einen Durchmesser von bis zu zwei Millimetern. Die winzigen Tonpartikel hingegen messen höchstens 0,002 Millimeter. Schluffpartikel liegen dazwischen – sie sind kleiner als Sand, aber größer als Ton.
- Eine Mulchschicht schützt Böden vor Erosion. Wie hier im regionalen Lebensmittelanbau in Kopenhagen.
Woraus besteht das Ökosystem Boden noch?
Sven Marhan Aus Wasser, Luft, Humus und Lebewesen. Zwischen den Bodenpartikeln befinden sich Hohlräume, die Wasser speichern und in denen Luft zirkuliert. Die ist für die Wurzelatmung und die Bodenorganismen wichtig. Sie nehmen Sauerstoff auf und atmen Kohlendioxid aus.
Der weitere Bestandteil, Humus, färbt den Oberboden dunkel. Er setzt sich aus abgestorbenen organischen Substanzen zusammen, also aus Pflanzenteilen und den Organismen, die sie zersetzen. Zum Beispiel aus Springschwänzen, Asseln, Tausendfüßlern, Fadenwürmern, Pilzen, Bakterien und Milben. Zu den Bodenorganismen gehören auch räuberische Milben, die selbst keine Pflanzenzersetzer sind, sich aber von den Zersetzern ernähren. Jedes Lebewesen hat seine Funktion.
„Der Boden unmittelbar unter uns ist neben der Tiefsee eine der großen Unbekannten.“
Darüber hinaus befinden sich im Ökosystem Boden eine große Anzahl Archaeen. Das sind sehr ursprüngliche Mikroorganismen, noch kaum erforscht. Denn es müsste gelingen, den Boden von den winzigen Organismen zu trennen. Das ist aber sehr schwierig. Um mehr über diese Kleinstlebewesen zu erfahren, könnten wir auch einzelne Arten kultivieren. Doch leider sind die Bedingungen, unter denen sie sich vermehren, selten bekannt. Der Boden unmittelbar unter uns ist neben der Tiefsee eine der großen Unbekannten.
Im Boden wimmelt es also von Organismen. Ist bekannt, wie viele es sind?Sven Marhan Ja. Die Vielfalt der Bodenorganismen lässt sich zum Beispiel durch hochgerechnete Zellzählungen ermitteln. Oder über die Menge und Diversität der DNA in einer Bodenprobe. Nirgendwo in der Natur befinden sich die verschiedenen Arten so dicht nebeneinander wie im Ökosystem Boden. Ein einziges Gramm Boden kann Millionen von Individuen und mehrere tausend Arten Bakterien enthalten.
Welche Bodenorganismen sind schon besser erforscht?
Sven Marhan Zum Beispiel Regenwürmer, weil sie gut sichtbar sind. Schon Charles Darwin hat vor knapp 150 Jahren über diese Tiere und ihre Tätigkeit im Boden geschrieben – viele seiner Erkenntnisse gelten noch heute. Sehr interessant sind zum Beispiel tiefgrabende Regenwürmer. Sie legen Gänge an, die bis zu drei Meter in den Boden hinein reichen, dabei verlagern sie Pflanzenreste, wie zum Beispiel Laub, in diese tieferen Bodenschichten. Ohne diese Tiere würde es nicht dorthin gelangen.
Warum sind Laub oder Erntereste wie Stroh tief im Boden nützlich?
Sven Marhan Sie enthalten Stickstoff und Phosphor. Für Pflanzen sind das wichtige Nährstoffe. Die Wurzeln können sie aber zum Teil erst aufnehmen, wenn sie über den Stoffwechsel des Regenwurms umgewandelt werden. Seine Ausscheidungen sind wertvoller Dünger. Wenn dieser Dünger auch in tieferen Schichten vorliegt, stärkt das das Ökosystem Boden insgesamt. Der Landwirt kann diesen Zusammenhang direkt nutzen, zum Beispiel wenn er tiefwurzelnde Pflanzen wie Lupinen oder Sonnenblumen anbaut. Die Wurzeln finden dort unten erstens ausreichend Nährstoffe und zweitens Wasser – selbst in heißen Sommern, wenn der Oberboden ausgetrocknet ist.
Welche Funktionen übernehmen Regenwürmer noch?
Sven Marhan Sie durchmischen und verändern den Boden. Auch die anderen Bodenlebewesen sind daran beteiligt. Die Organismen nehmen Bestandteile auf, setzen sie um und scheiden sie wieder aus. Das macht den Boden fruchtbar. Obendrein durchlüften die Organismen durch ihre Bewegungen das Erdreich. Wenn ein Boden von Regenwurmgängen durchzogen ist, nimmt er darüber hinaus Wasser ähnlich gut auf wie ein Schwamm.
- Auch bei Feldkulturen lassen sich Böden effektiv schützen. Wie hier bei der regenerativen Landwirtschaft auf Schloss Tempelhof
Wie geht es dem Ökosystem Boden in Deutschland?
Sven Marhan Wir haben noch sehr gute Böden. Doch einige landwirtschaftliche Praktiken machen den Äckern zu schaffen. Starkes Pflügen ist nicht gut. Dadurch wird der Boden zwar aufgelockert und Unkraut untergepflügt. Dieser Eingriff in die oberen 30 Zentimeter schädigt aber Bodentiere wie – wieder einmal – die Regenwürmer. Auch der Einsatz von Pestiziden beeinträchtigt das Bodenleben. So setzen die Bauern zum Beispiel Mittel gegen Fadenwürmer ein, denn die können bei Kartoffeln oder Zuckerrüben zu kompletten Ernteausfällen führen. Doch leider werden dabei nicht nur die Schädlinge bekämpft, sondern auch die nützlichen Fadenwürmer. Die fressen Bakterien und Pilze und versorgen durch ihre Ausscheidungen ähnlich wie der Regenwurm den Boden mit Mineralien. Viele Felder werden zusätzlich mit schweren Maschinen befahren, so dass sich der Boden verdichtet und das Wurzelwachstum behindert wird. Und es gibt noch mehr Probleme.
Welche Probleme?
Sven Marhan Felder liegen häufig brach. Dabei ist eine dauerhafte Bedeckung viel sinnvoller, weil das den Boden schützt und verhindert, dass er durch Wasser und Wind abgetragen wird. In Deutschland geht auf Ackerflächen jährlich im Durchschnitt ein Millimeter Boden verloren. Demgegenüber steht eine jährliche Bodenneubildungsrate von rund 0,1 Millimeter.
Welchen Eindruck haben Sie: Wie gut kennen sich die Landwirte mit ihrem Boden aus?
Sven Marhan Die Landwirte wissen in der Regel seit jeher viel über ihre Böden. Sie wissen, welche Pflanzen dort am besten wachsen und welche Schädlinge es gibt. Wir bilden Agrarwissenschaftler aus, viele kommen von Höfen. Sie interessieren sich aber mehr für Agrartechnik und Pflanzenzucht als für Bodenkunde. Solange die Ernteerträge hoch sind, macht sich keiner Gedanken. Wenn aber wie im Jahr 2018 Dürre herrscht, und der Boden austrocknet, steigt das Interesse.
Der Klimawandel rückt mehr ins Bewusstsein, dass gute Böden Feuchtigkeit halten und somit Dürren abfedern. Ein gutes Bodenmanagement wird wieder wichtiger. Auf landwirtschaftlichen Kongressen wird zur Zeit empfohlen, nach der Ernte größere Anteile der Pflanzenrückstände wie Stroh auf den Feldern zu lassen. Die Pflanzenreste tragen Kohlenstoff in das Ökosystem Boden ein, wodurch das Bodenleben gefördert wird. Die Biodiversität nimmt zu und die fruchtbaren Anteile, der Humusgehalt, vergrößern sich. Außerdem speichern Böden, die so bewirtschaftet werden, Wasser besser.
Weltweit findet sich zunehmend Mikroplastik in den Böden. Welche Auswirkungen haben die winzigen Teilchen?
Sven Marhan Mikroplastik ist überall. Es gibt viele Eintragswege in die Böden. Es reicht zum Beispiel aus, den Aufkleber auf der Bananenschale zu vergessen, bevor die Schale im Biomüll landet. Wird dieser Abfall zu Kompost verarbeitet, gelangen Teile des Aufklebers mit aufs Feld. Zusätzlich verschwinden komplette Äcker unter Folien, auch in Deutschland. Um zum Schutz vor Schädlingen den Kontakt von der Erdbeere mit dem Boden zu verhindern, werden Folien gespannt. Reste davon verbleiben auf den Feldern. In anderen Ländern wie in China werden die Folien nach der Ernte zum Teil sogar gleich mit untergepflügt. Wir wissen allerdings noch nicht, ob Mikroplastik tatsächlich das Bodenleben schädigt.
Zur Person
Dr. Sven Marhan ist Bodenwissenschaftler an der Universität Hohenheim und erforscht die Zusammenhänge vom Ökosystem Boden.
Interview Stephanie Eichler
Fotos Barbara von Woellwarth, Uffe Weng, Regina Recht