Charles Dowding

Bitte nicht stören

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Er gärtnert mit Leidenschaft und ohne Spaten. Der Engländer Charles Dowding baut Obst und Gemüse ohne Umgraben an, weil er den Boden schonen will. Ein Besuch.

Wer soll dieses verlassene Anwesen bloß kaufen? Ein ungepflegtes Natursteinhaus versteckt sich hinter Brombeerbüschen. Mitten in der südenglischen Grafschaft Somerset liegt es, die Zäune windschief, die Wiese bräunlich, und überall wuchert Unkraut. Doch Charles Dowding gibt nicht viel auf Äußerlichkeiten. Die Maklerin staunt, als der drahtige Engländer eine Schaufel auspackt. Dowding kauert sich auf den Boden, zerkrümelt die Erde in seinen braun gebrannten Händen. Dann nickt er entschlossen.

Charles Dowding steht in seinem kleinen Gärtchen in England

Sechs Jahre später streift Charles Dowding durch sein neu geschaffenes Gartenparadies. Wie hat er „Homeacres“ in der kurzen Zeit verändert! An der Außenwand des Steinhauses steht nun ein Wintergarten. Und die verwilderte Wiese ist einem Mosaik von Beeten gewichen: Ein Streifen spitzer Zwiebelblätter liegt neben einem Dschungel aus grünen Bohnen. Artischocken recken ihre Köpfe in die Luft. Schmetterlinge flattern zwischen hüfthohen Kartoffelpflanzen, tanzen zwischen Stockrosen, Klatschmohn und Dahlien. Dowding stoppt bei den Zuckerschoten. Prüfend bricht er eine auf, betrachtet die winzigen Erbsen im Inneren. Sie sitzen wie glänzende Perlen in ihrer Schote.

Das Leben im Erdreich schützen

 

Der Reichtum in „Homeacres“ ist nicht nur das Ergebnis von harter Arbeit. Er ist vielmehr auch Dowdings Dickkopf zu verdanken, seiner Überzeugung, dass man manchmal gegen den Strom schwimmen muss. Denn der Engländer ist ein Pionier der „No Dig“-Methode. Er verweigert, was die meisten Gärtner noch immer für unverzichtbar halten: den Boden seiner Gemüsebeete umzugraben. Charles Dowding ist überzeugt, dass man sich diese Mühe sparen kann, hält es sogar für schädlich, die Erde aufzubrechen, zu vermischen, oder auch nur anzukratzen.

Obst und Gemüse wächst auf den Feldern

„Der Boden lebt“, erklärt Dowding und deutet auf die dunkle Erde in einem Beet, aus der appetitliche Rote-Bete-Knollen herausschauen. „Jedes Mal wenn ein Gärtner mit dem Spaten einsticht, stört er die empfindliche Bodenstruktur und verletzt das Leben im Erdreich.“

Wäre es möglich, unterzutauchen und den Boden von „Homeacres“ von unten zu betrachten, könnte man ein Netz aus feinen Poren bewundern, eine stabile Struktur, die luftig ist und gleichzeitig das Regenwasser festhält. Man würde dort unten eifrige Regenwürmer entdecken, feine Fäden von verschiedenen Pilzen, Bakterien und andere mikroskopisch kleine Organismen. Unaufhörlich bauen die Winzlinge abgestorbenes Material ab und machen die Nährstoffe für die Wurzeln der Gemüsepflanzen zugänglich.

Ein Ziegelhaus mit einem grünen Garten davor

Charles Dowding lässt seinen Boden nicht nur in Ruhe, sondern er nährt ihn auch im Herbst, indem er eine mehrere Zentimeter dicke Schicht Kompost über alle Beete breitet, wie eine Decke. „Eigentlich mache ich nichts anderes als die Natur: Auch dort landet organisches Material auf der Oberfläche – und verrottet dank der Bodenorganismen zu Humus.“

Eine Hand mit brauner Erde

Eine Temperaturanzeige auf dem Kompost misst die Hitze

Den Boden nicht umzugraben funktioniert: Gemeinsam mit seinem jungen
Gehilfen Josh erntet Dowding auf 1000 Quadratmeter Fläche jedes Jahr rund 1500 Kilo Salat und 3000 Kilo biologisches Gemüse – ohne Maschinen, vollständig von Hand. Mit herkömmlichen Methoden wäre das zeitlich kaum zu machen, glaubt Dowding. Seine Methode erspart ihm nämlich nicht nur das mühsame Umgraben, sondern erleichtert auch den Kampf gegen Unkraut. Wicken, Ackersenf und Löwenzahn keimen seltener auf ungestörtem Boden. Wo man hingegen umgräbt, schießen sie wenig später aus der Erde. „In umgegrabenen Beeten muss sich der Boden schließlich von einem Trauma erholen“, erklärt Dowding. „Und womit heilt er seine Wunden? Mit Pionierpflanzen, mit Unkraut!“

Der Engländer Charles Dowding in seinem Garten beim Umgraben

Dowding will mehr, als nur gesundes Gemüse anzubauen: Er will „No Dig“ bekannt machen und anderen Menschen helfen, es ihm nachzutun. Inzwischen pilgern Gemüseliebhaber aus ganz Großbritannien nach „Homeacres“, wo er sie in die Geheimnisse des schonenden Gärtnerns einweist. Dowding schreibt unermüdlich Bücher, hält Vorträge und hat bald mehr als 50.000 „Follower“ auf Instagram. Auf seinen Fotos verfolgen sie, wie die Salatpflanzen sprießen und die ersten blaugrünen Brokkoliköpfe geerntet werden.

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„Bilder von gesunden und kräftigen Pflanzen sagen viel mehr aus als alle Theorie“, sagt Dowding. „Indem ich das Ergebnis zeige, kann ich die Menschen am besten überzeugen.“ Er freut sich über die vielen E-Mails, in denen Anhänger berichten, wie gut „No Dig“ ihrem Garten tut. Denn lange Zeit musste Dowding für seine Überzeugung kämpfen. Als er vor rund drei Jahrzehnten mit dem Gemüsebau begann, hielten ihn die meisten seiner Bekannten schlicht für verrückt.

Charles Dowding

Josh

Charles Dowding stammt aus Somerset. Seine Eltern waren Bauern, betrieben konventionelle Viehwirtschaft. „Als Kind hatte ich keine besondere Verbindung zur Natur und mochte den Hof nicht. Ich wollte weg vom Land“, erzählt Dowding. Er studierte Geografie in Cambridge, und seine Familie erwartete, dass er einen gut bezahlten Bürojob annehme. Doch an der Universität veränderte sich der junge Mann. Er las Bücher von Naturaktivisten und Philosophen, interessierte sich für gesunde Ernährung, für bessere Tierhaltung und für biologischen Landbau. Gemüse hatte Dowding schon immer geliebt, nun wurde er in seinem Umfeld der erste Vegetarier.

Nach dem Universitätsabschluss begann er, auf einem ungenutzten Terrain des elterlichen Hofs Bio-Gemüse anzubauen. Das war in Großbritannien Anfang der 80er-Jahre völlig ungewöhnlich. Dowdings Vater war entsetzt: „Er hatte noch immer bittere Erinnerungen an den Weltkrieg und an den damaligen Hunger. Für ihn war klar: Organischer Gemüseanbau ohne Kunstdünger und ohne Pestizide musste zu einer geringeren Ernte führen. Warum sollte jemand so etwas freiwillig tun?“

Charles Dowding schneidet Gurken in seiner Küche

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Charles Dowding jedoch glaubte mit Leidenschaft an seine Mission: Gemüse zu ziehen, ohne der Umwelt zu schaden. Neben sein Feld stellte er ein Schild, auf das er „Gesundheit vom Land“ schrieb. Vor seiner allerersten Aussaat pflügte er die Erde mit einem Traktor: das Unterste nach oben, das Oberste nach unten. Genau so, wie es damals jeder tat. Doch das Umgraben fühlte sich falsch an, erzählt Dowding. Als würde er die Erde verletzen. „Das war etwas Instinktives. Ich fühlte, dass es besser für den Boden sein müsste, wenn ich in Ruhe lasse.“

Weil weniger mehr ist

Dann fiel ihm ein altes Buch in die Hand, das seine Ansicht bestätigte: Eine Amerikanerin namens Ruth Stout hatte bereits in den 1940er-Jahren begonnen, ihren Gemüsegarten nicht mehr umzugraben. Allerdings versorgte sie den Boden mit Nährstoffen, indem sie ihn mit Heu bedeckte. Im trockenen amerikanischen Kontinentalklima ging das. „Aber bei mir im feuchten Somerset haben Schnecken alle Pflanzen aufgefressen. Das hat mich gelehrt, bei jeder Art von Ratschlag vorsichtig zu sein. Man muss schauen, ob er zur eigenen Situation passt.“ Dowding begann mit Kompost zu experimentieren und entdeckte, wie „No Dig“ auch in Europa funktionieren kann.

Tools

compost

Im Garten von „Homeacres“ hat Dowding sich einen langen Unterstand
gezimmert, unter dem gleich mehrere Komposthaufen Platz finden. Prüfend hebt er eine schwarze Abdeckfolie hoch – zum Missfallen der Winzlinge, die darunter wohnen. Regenwürmer ringeln sich im grellen Licht, Kellerasseln wuseln wie empört zur Seite.

Dowding hingegen nimmt etwas von der dunklen, warmen Masse zwischen die Finger. „Ich finde Kompost faszinierend“, sagt er. „Jeder Haufen ist anders, weil er andere Zutaten enthält. Das ist schwarzes Gold!“ Und ist es nicht ein Wunder, das die Natur vollbringt? In kurzer Zeit zersetzt sie Abgestorbenes und Überflüssiges. Sie verwandelt es in eine wertvolle Substanz, reich an lebenswichtigen Bakterien, Pilzen und Kleinstwesen. Bis zum Herbst noch darf dieser Kompost ruhen. Dann verteilt ihn Dowding als dicke Schicht auf seinen Beeten.

Zwei Hände ernten grüne Bohnen

Als Gemüsegärtner hatte Dowding in den 80er-Jahren bald Erfolg. Er
verkaufte viel Salat, stellte als Erster in der Region Biokisten zusammen und legte auf immer größeren Flächen Beete an. Selbst sein Vater war beeindruckt, als er die Ernten sah und als der Rundfunk über Dowdings Bio-Gemüse berichtete. „Aber ein Teil von mir war nicht glücklich. Ich konnte sehen, wie ich mich langsam in einen Geschäftsmann verwandelte“, erzählt Dowding.

Terry

Zum Glück hat er keine Angst vor Neuanfängen. 1991 verließ Dowding
England. Er lebte kurzzeitig in Afrika, dann fünf Jahre auf einem Gehöft in
Frankreich, bevor er wieder nach Somerset zurückkehrte und sich 2012 schließlich auf „Homeacres“ niederließ. Überall wo er war, sammelte er Erfahrungen mit dem Erdreich. Mal war es von Anfang an gesund, mal klebrig, kaum durchlüftet und von schweren Traktoren zusammengepresst. „Die größte Herausforderung war der Boden in Frankreich: ganz grauenhafter Lehm“, erzählt Dowding. „Anfangs habe ich geflucht. Aber in Wahrheit hat mir der Lehm dort viel beigebracht.“ Manchmal brauchte er Geduld. Aber letztlich hat es sich überall bewährt, den Boden nicht umzugraben.

Das Haus von Charles Dowding in England

Dowding weiß, dass noch immer viele Gärtner nicht an die Vorteile von „No Dig“ glauben wollen. Dass sie sich schwer damit tun, althergebrachte Regeln zu vergessen. Er vermeidet Rechthaberei und Diskussionen. Stattdessen will er mit seinem prächtigen, unkrautfreien Garten überzeugen – und mit Testbeeten, die er seit mehr als zehn Jahren anlegt. „Auf der linken Seite hier“, sagt er und deutet auf ein großes, in Holz eingefasstes Rechteck, „habe ich im Herbst die Erde umgegraben und Kompost dabei eingearbeitet. Rechts daneben ist ein ungestörtes No-
Dig-Beet. Das habe ich mit derselben Menge Kompost bedeckt, und die Würmer haben ihn teils selbst in die Erde hinabgezogen.“

Eine englische Straßenkreuzung auf dem Land

Kartoffeln, grüner Salat, Karottenpflanzen, wild rankende Erbsen: In Testbeeten pflanzt Dowding immer genau das Gleiche an. Dann beobachtet er und wiegt die Ernte. Seine Vergleiche aus den letzten zehn Jahren zeigen: Die ungestörten Beete starten im Frühling deutlich besser. Die umgegrabenen Bereiche brauchen bis zum Spätsommer, um sich zu
erholen – dann entwickeln sich auch dort die Pflanzen gut. „No-Dig“ liegt bei den Jahreserträgen etwas vorn, aber unter dem Strich sind die Ergebnisse ähnlich. „Bloß fragt man dann zu Recht: Warum sollte man sich mehr Arbeit mit Graben und Unkrautjäten machen, wenn es keinerlei Vorteil bringt?“, sagt Dowding.

Charles Dowding beim Ernten von Gemüse

Auf „Homeacres“ ist inzwischen die Mittagszeit angebrochen. In seiner
Küche reibt Dowding eine Rote-Bete-Knolle und vermischt sie mit Orangenstücken, Senfkörnern und Knoblauch. Er kocht Kartoffeln, macht Karotten sauber und legt einen Laib selbst gebackenes Vollkorn-Walnuss Brot auf den Holztisch im Wintergarten. Die Salatblätter sind so geschmackvoll, dass er sie am liebsten ohne Dressing isst. Gemeinsam mit Josh genießt Dowding das Essen. Zwischendurch schweift sein Blick immer wieder hinaus zu seinen Beeten, zu Zucchinipflanzen und sattgrünen Salatköpfen, zwischen denen eine Amsel umherhüpft. Dowding ist froh, dass er sich nie von seinem eigenen Weg hat abbringen lassen. Für ihn steht fest: Wer sorgsam mit dem Erdreich umgeht, der wird belohnt.

Hier gibt es drei Fragen an Charles Dowding