Sharing is caring: Auf eben dieser Philosophie beruht das Konzept des Modeverleihs Kleiderei. Wir haben mit der Geschäftsführerin Lena Schröder über gemeinschaftlichen Konsum, zirkuläre Mode, das Kaufhaus ihrer Träume, das Meistern von Krisen und die Kraft, die in der Gemeinschaft liegt, gesprochen.
2016 hast du in Köln-Ehrenfeld die erste Filiale des Modeverleihs Kleiderei eröffnet. Mit welcher Motivation hast du damals gestartet?
Lena Schröder Die Idee der Kleiderei-Gründerinnen Thekla Wilkening und Pola Fendel, mit denen mich eine lange Freundschaft verbindet, hat mich bei der Gründung 2012 sofort begeistert. Durch ein Crowdfunding hatten die beiden es geschafft, eine Online-Plattform zu finanzieren, um die deutschlandweite Nachfrage nach einem Verleih-Versand bedienen zu können. Dank meiner persönlichen Liebe für kleine, reale Einzelhandelsgeschäfte habe ich das Potenzial des Konzepts gesehen. Ich wollte das gerne auch für alle Kölner:innen umsetzen. Außerdem habe ich mir schon seit meinem Modedesign-Studium die Frage gestellt, wie wir Kleidung am nachhaltigsten konsumieren können. Ich fand den Verleih von Kleidung eine passende Ergänzung zu meinem damaligen Upcycling-Fashion-Label „Trinkhallen Schickeria“.
Wie funktioniert das Konzept der Kleiderei?
Lena Schröder Das Konzept ist simpel: Mitglieder zahlen monatlich 29 Euro und können in unserem Second Hand-& Fair-Fashion-Store alles ausleihen. Immer vier Teile gleichzeitig. Diese können sie dann so lange wie nötig behalten oder jederzeit austauschen – ohne Extrakosten. So können wir eine erschwingliche Alternative zum Fast-Fashion-Kauf anbieten, die als beste Erweiterung des eigenen Kleiderschranks funktioniert und unnötige Neukäufe verringert.
Nach welchen Kriterien sucht ihr die Kleidung für euren Modeverleih aus?
Lena Schröder Hauptsächlich nach Look und Zustand. Es geht uns ja darum, bestehende Kleidung weiterleben zu lassen. Deswegen bekommen auch weniger hochwertige Stücke von konventionellen Modemarken im Modeverleih eine weitere Chance, auch wenn sie vielleicht nur zwei- oder dreimal verliehen werden können. Was abgetragen ist, wird aussortiert. Das heißt aber nicht, dass es in die Tonne kommt! Wir erweitern regelmäßig unser Netzwerk von Upcycling-Brands, die Textilien noch verarbeiten können und kooperieren mit der Deutschen Kleiderstiftung für europaweite humanitäre Hilfsprojekte.
Wer sind eure Kund:innen und worauf legen sie Wert beim Modeverleih?
Lena Schröder Wir wollten ein Angebot schaffen, das für möglichst viele erschwinglich und umsetzbar ist. Unsere Kundinnen sind im Durchschnitt zwischen 20 und 40 Jahre alt und haben Lust auf Abwechslung im Schrank, zugleich wollen sie Rücksicht auf Mensch und Natur nehmen. Wer gerne mal Neues ausprobiert und Spaß an Mode hat, ist bei uns super aufgehoben. Durch diese Art von gemeinschaftlichem Konsum lässt sich das eigene Kaufverhalten sehr gut reflektieren. Und man kann weitere Schritte in Richtung „nachhaltigen Kleiderschrank“ gehen.
Angenommen, ich möchte meinen Kleiderschrank ausmisten und meine Garderobe massiv reduzieren – welche Tipps kannst du mir geben?
Lena Schröder Ehrlich gesagt bin ich keine Freundin von Minimalismus. Dafür finde ich viele Dinge einfach zu schön. Ich kombiniere manchmal wild und kann mich über eine fast vergessene Bluse im Schrank plötzlich unglaublich freuen und den besten Tag damit haben. Aber natürlich schlummern in jedem Schrank Teile, die nie getragen werden.
So würde ich radikal ausmisten, wenn ich müsste: Kleiderbügel falsch herum auf die Stange hängen und nach dem Tragen wieder richtig herum. Alles was nach einem Jahr noch falsch auf der Stange hängt, in eine Kiste packen und im Keller verstauen. Was ein Jahr später nicht vermisst und wieder ausgekramt wurde, kann weitergegeben werden.
„Weil wir schon bestehende Kleidung nutzen, gibt es bei uns eigentlich keine Trends. Aber Trends interessieren mich auch nicht wirklich. Es geht mehr um ein Gefühl – und das kann jeden Tag anders sein.“
Du bist gut mit Thekla und Pola, den beiden Gründerinnen der Kleiderei befreundet, die beiden stammen auch aus Köln. Wie würdest du den Blick, den ihr auf Mode habt, beschreiben?
Lena Schröder Auf jeden Fall wild! Das gilt für uns alle drei. Ansonsten fällt es mir schwer, für uns alle zusammen zu antworten. Mode muss für mich gemütlich und praktisch sein, aber vor allem auch Spaß machen. Deswegen funktioniert für mich das Kleiderei-Konzept auch so gut. Weil wir schon bestehende Kleidung nutzen, gibt es bei uns eigentlich keine Trends. Aber Trends interessieren mich auch nicht wirklich. Es geht mehr um ein Gefühl – und das kann jeden Tag anders sein.
Wie hat sich deiner Meinung nach die Modebranche verändert, seitdem du vor zwölf Jahren Textiltechnik und Modedesign studiert hast?
Lena Schröder Da ist extrem viel Gutes passiert. Ich freue ich mich natürlich sehr zu sehen, wie sich die nachhaltige Mode stylemäßig über die letzten Jahre entwickelt hat. Und dass Konzepte wie Upcycling, Tauschen und Teilen – die die Nutzungsdauer der vorhandenen Textilien verlängern – präsenter geworden sind. Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem viele Menschen viel besser über die Textilbranche und ihre Auswirkungen informiert sind. Leider wird dadurch auch immer mehr Greenwashing betrieben, und da müssen wir alle wirklich aufpassen und genau hinschauen. Ich hoffe sehr, dass es bald Richtlinien dazu gibt. Spannend finde ich momentan vor allem den Second Hand-Hype, der gefühlt seit Fridays for Future immer trendiger vermarktet wird und eine riesige neue, junge Zielgruppe dazugewinnen konnte.
Glaubst du, dass das Online-Modebusiness den klassischen Einzelhandel auf Dauer verdrängen wird?
Lena Schröder Ich hoffe nicht! Über die letzten anderthalb Jahre hat sich ja auch gezeigt, dass einigen Menschen bewusst geworden ist, wie wichtig der lokale Einzelhandel für sie und die Städte ist. Da gab es viel Support. Gerade für nachhaltige Konzepte und Fashion-Sharing wie den Modeverleih finde ich den realen Austausch in der Gemeinschaft besonders wichtig. Wir können alle noch viel voneinander lernen.
„Wir brauchen unbedingt mehr Konzepte, die die Nutzungsdauer von Produkten verlängern oder sogar zirkulär sind.“
Wenn du die Einkaufspassagen dieser Welt gestalten dürfest, wie sähen diese aus? Welche Geschäfte und Konzepte würden wir dort vorfinden?Lena Schröder Also ich bin ja seit der ersten Stunde der größte Fan von „ReTuna“, dem ersten Second Hand- und Recycling-Kaufhaus in Schweden! Wir brauchen unbedingt mehr Konzepte, die die Nutzungsdauer von Produkten verlängern oder sogar zirkulär sind. In meinem Wunsch-Kaufhaus gäbe es hochwertige, langlebige, fair produzierte Eco-Mode, viel Upcycling, Sharing-Angebote, Swap-Shops, Recyclingprodukte, natürlich vor allem Gebrauchtwaren und einen Repair-Service.
Apropos neue Konzepte: 2008 hast du gemeinsam mit einer Freundin den Designmarkt „Der Super Markt“ ins Leben gerufen. Wie würdest du das Konzept beschreiben?
Lena Schröder Wir haben den „Der Super Markt“ gestartet, weil wir eine Plattform für Menschen bieten wollten, die super Produkte machen. Zu der Zeit haben meine Kollegin Anna und ich beide selbst genähte Kollektionen verkauft und fanden es einfach toll, so auch selbst direkt auf die Kund:innen treffen zu können. Ich fand schon immer schön, dass Besucher:innen Einblicke über die Produktion, Designprozesse und die Besonderheiten der Produkte aus erster Hand erfahren und direkt Fragen stellen können. Mittlerweile kooperieren wir mit Museen oder Festivals und bringen bis zu 100 Hersteller:innen individueller, nachhaltiger Produkte zusammen. Dazu gibt es ein Rahmenprogramm mit Workshops, Führungen oder Tastings.
Du hast nie in einem konventionellen Textilkonzern gearbeitet, sondern dich direkt nach dem Studium selbstständig gemacht. Warum hast du dich für diesen Weg entschieden?
Lena Schröder Während meines Modedesignstudiums ist mir bewusst geworden, was Textilindustrie überhaupt bedeutet. Und dass es eigentlich schon viel zu viel Kleidung gibt. So viele verschwendete Rohstoffe und Ressourcen. Am Ende des Studiums fand ich meinen Job in der Industrie total überflüssig. Außerdem hatte ich mir mein Studium mit selbst genähten Upcycling-Kollektionen finanziert und wollte einfach wissen, ob es möglich ist, davon zu leben und unabhängig zu sein.
Welchen Einfluss hatte und hat die Coronakrise auf euren Modeverleih und auf deine Events?
Lena Schröder Nachdem wir 2019 mit einer Partnerin in Freiburg unseren zweiten Kleiderei-Store eröffnet haben, konnten wir gemeinsam unsere firmeneigene Software sowie ein Franchise-Konzept weiter ausarbeiten. Wir hatten fest vor, im Folgejahr weitere Stores zu eröffnen. Dadurch hatten wir genau vor der Krise unser gesamtes Kapital in die Expansion des Modeverleihs gesteckt, und das Jahr 2020 wurde eine Zitterpartie. Meine Backup-Einnahmen von den Events blieben komplett aus, da wir nur einen einzigen „Der Super Markt“ im Kunstpalast in Düsseldorf veranstalten konnten.
Das klingt nach einer schwierigen Zeit…
Lena Schröder Ja, dennoch haben wir uns bewusst dafür entschieden, ohne Investor:innen weiterzuarbeiten. Es ist mir einfach extrem wichtig, unabhängig zu sein. Vielleicht packe ich Dinge manchmal eher unkonventionell an, aber so macht mir mein Job einfach am meisten Spaß. Wir werden jetzt erst mal wieder eine Weile brauchen, um die nächsten Schritte für die Kleiderei umsetzen zu können. Vielleicht machen wir ein Crowdfunding für den nächsten Store für Modeverleih. Aber wir haben auch einfach eine tolle Community, die uns unglaublich unterstützt. Ohne unsere Mitglieder wären wir vielleicht nicht mehr da.
Was hast du für die Zukunft geplant?
Lena Schröder Wir sind davon überzeugt, dass der Modeverleih der Kleiderei in allen Städten funktionieren kann. Über die letzten Jahre konnten wir unglaublich viele Erfahrungswerte über Fashion-Sharing sammeln und möchten dieses Wissen jetzt weitergeben. So können wir junge, motivierte Gründer:innen unterstützen, ihre eigenen Läden erfolgreich aufzubauen und zusammen – als Gemeinschaft – wachsen. Wir werden weitere Partner:innen für Filialen suchen, und ein neuer Store in Berlin ist auch in Planung. Unsere Vision ist es, eine deutschlandweite Kleiderei-Community aufzubauen, die über Städte hinweg Kleidung leiht und die Modewelt so nachhaltig mitgestaltet.
Gibt es Filme, Podcasts oder Bücher, die du zum Thema Fair Fashion oder nachhaltigen Konsum empfehlen kannst?
Lena Schröder Gerade lese ich das Buch „Das-Bio-Pizza-Dilemma“ von meiner Freundin Thekla Wilkening. Gäbe es in meinem Leben gerade nicht so viele akute Baustellen – ich hätte es wahrscheinlich am Stück durchgelesen!
Zur Person
Lena Schröder hat zunächst Textiltechnik studiert und sich mit dem Label „Trinkhallen Schickeria“ nach dem anschließenden Modedesign-Studium selbständig gemacht. Sie wollte nie in einem konventionellen Unternehmen arbeiten, stattdessen veranstaltet die Kölnerin regelmäßig Vintage-Pop-Ups. Zudem hat sie gemeinsam mit einer Freundin den Designmarkt „Der Super Markt“ ins Leben gerufen, der viermal jährlich stattfindet. 2016 hat sie in Köln-Ehrenfeld die erste Filiale der Kleiderei eröffnet. Den Store für Modeverleih betrachtet sie als großen gemeinsamen Kleiderschrank, der die Kund:innen vor Fast-Fashion-Fehleinkäufen schützt und stattdessen zu einem bewussten Konsum und Kreislaufdenken animiert.
Interview Lesley Sevriens
Fotos Die Kleiderei, Anna-Maria Langer