Das ganze Team von Eocfario forscht am Prototypen

„Wir setzen bei den Kläranlagen an“

Werde & Friends

Pro Jahr gelangen in Deutschland über 300.000 Tonnen Mikroplastik in die Umwelt. Wie holt man es da wieder raus? Dazu haben sich die Gründer des Startups ECOFARIO Gedanken gemacht – und haben dafür den Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2021 gewonnen. Ein Gespräch mit Mitbegründer Dr. Sebastian Porkert über eine innovative Idee, den langen Weg zum Erfolg – und was Funktionskleidung mit Mikroplastik zu tun hat. 

Gründer Sebastian Porkert steht am Ufer vom Ammersee

Warum fasziniert dich das Thema Wasser und Mikroplastik?
Sebastian Porkert Ich bin ein Seekind, am Ammersee aufgewachsen und wohne heute mit meiner Frau und unseren beiden Kindern dort. Wer am See groß wird, für den spielt Wasser einfach eine essentielle Rolle.

Und wie kam es zur Gründung von ECOFARIO?
Sebastian Porkert Eigentlich bin ich Papieringenieur, habe in dem Bereich mein Diplom und meinen Master gemacht und promoviert. Ich bin also mit Leib und Seele Verfahrenstechniker  – und habe den kompletten Kreislauf begleitet, vom Holz bis zum Altpapier. Das sind teilweise sehr komplexe Prozesse mit viel Technik dahinter.

Und natürlich spielt bei der Papierherstellung auch das Wasser eine zentrale Rolle. Wer in diesem Job arbeitet, beschäftigt sich auch mit Verunreinigungen. 2013 gab es dann von der Uni Bayreuth erste Publikationen über Mikroplastik im Gardasee. Zuerst habe ich nicht verstanden, wie die Partikel in den See kommen. Damals wusste man allgemein noch wenig über das Thema. Also hab ich mich eingelesen und herausgefunden: Das Mikroplastik kommt vor allem aus unserem Abwasser – das heißt, dass die Kläranlagen es nicht ausreichend herausfiltern. Da war mir klar, dass wir bei den Kläranlagen ansetzen müssen. Eines Nachts bin ich aufgewacht und hatte die Idee, das mit Hydrozyklonen zu machen.

Hydrozyklonen – was heißt das genau?
Sebastian Porkert Das bedeutet: Wir versetzen das schon saubere Abwasser in einen ganz starken Wirbel, der von oben nach unten durch unseren “Filter” geht. Dadurch erzeugen wir extreme Fliehkräfte und Fluidkräfte. Das Mikroplastik wird in die Mitte gezogen, sammelt sich dort und wir können es abtrennen.

Der Prototyp des Start-Ups Ecofario

Und wie wird man das Mikroplastik los, sobald es rausgefiltert wurde?
Sebastian Porkert Es gibt zwei Absätze, je nach Art der Kläranlage. In Deutschland wird Klärschlamm in den allermeisten Fällen verbrannt, weil da wirklich alles drin ist, was in unserem Abwasser landet: Plastik, Medikamentenrückstände, Schwermetalle, Schadstoffe. Unsere Mikroplastikrückstände werden mit verbrannt und eliminiert. Das ist wichtig, damit das Mikroplastik nicht wieder in die Umwelt eindringen kann. Wenn das nicht passieren kann, verwenden wir zum Schluss einen Filter, der das Mikroplastik herausfiltert und entsorgen es dann über den Restmüll, der ja ebenfalls verbrannt wird. 

Was ist anders an eurer Idee?
Sebastian Porkert Es gab natürlich vorher schon Ideen, bei denen Filter zum Einsatz kommen. Das ist aber zum einen sehr anfällig, weil neben Mikroplastik natürlich auch Rückstände wie Schwebstoffe, Zellreste, Bakterien und Algen darin hängen bleiben. Zudem ist es zeitaufwändiger, weil man die Filter öfter reinigen und austauschen muss. Die Grundidee unserer Technologie bei ECOFARIO gibt es so schon für andere Anwendungen seit mehr als hundert Jahren. Aber wir haben das Ganze 50 Mal leistungsfähiger gemacht, damit man eben auch Mikroplastik rausfiltern kann, das ja so fein ist, dass man es nicht einmal sieht.

Das ganze Team von Eocfario forscht am Prototypen

Denkst du, dass es auch deshalb so lange gedauert hat, bis Mikroplastik ein Thema wurde?
Sebastian Porkert
Der Hauptgrund liegt sicherlich an der Messbarkeit. Man kann die Partikel erst seit etwa zehn Jahren reproduzierbar nachweisen, zudem gibt es immer noch keine standardisierte Messmethode. Es ist sehr komplex und aufwändig. Wenn wir eine Messung machen, brauchen wir dafür tausend Liter Wasser. In der Probe muss man zuerst die Zellrückstände, Bakterien und Algen mit Hilfe von Enzymen abbauen – das lässt sich nicht einfach abtragen und dauert schon einmal mehrere Wochen. Dann wird mit einem Laser gemessen, wie viele Mikroplastikpartikel in der Probe sind. Eine Messung kostet über 1.200 Euro und dauert zehn Wochen.

Aber klar, für viele ist das Thema noch nicht greifbar, eben weil sie es nicht sehen können. Ich werde auch oft gefragt, ob ich zeigen kann, was wir bei ECOFARIO da rausfiltern. Als wir damals unsere Crowdfunding-Kampagne gestartet haben, haben wir das auch schnell gemerkt: Das Thema ist noch nicht so sichtbar – im wahrsten Sinne.

Euch hat dann ein Artikel gerettet. Wie kam es dazu?
Sebastian Porkert
Aufgrund der Crowdfunding-Kampagne hat die Presse über uns berichtet – unter anderem auch die Süddeutsche Zeitung. Eine Leserin hat sich darauf bei uns gemeldet. Sie hatte Geld übrig und wollte ECOFARIO damit unterstützen. Wir haben uns natürlich riesig gefreut, wollten ihr das Geld aber unbedingt zurückzahlen. Die Spenderin hatte keine Verwendung dafür und deshalb zahlen wir es jetzt der Prinzessin Therese von Bayern-Stiftung der LMU zurück, die Frauen in der Wissenschaft unterstützt. Das war das Beste, was uns passieren konnte. Die Jahre zuvor haben wir immer versucht, auf eigenen Beinen zu bleiben, ohne Investor.

Die Gründung und die ersten Jahre eurer Firma habt ihr selbst finanziert. Gab es jemals den Moment, wo du ans Aufgeben gedacht hast?
Sebastian Porkert Aber klar, jeden zweiten Tag! Das war oft eine zähe Zeit, wir haben viel Geld investiert. Wir sind immer wieder an unsere Grenzen gekommen, aber wir glauben nach wie vor dran. Und nun sind wir endlich soweit: Mit dem geliehenen Geld konnten wir voriges Jahr unseren Prototypen bauen. Das Ziel für dieses oder nächstes Jahr wäre es, die erste Kundenanlage zu verkaufen.

„Laut einer Studie nimmt jeder pro Woche ungefähr fünf Gramm Mikroplastik zu sich. Manches atmet man ein, die meisten Partikel nimmt man über das Essen und Trinken zu sich.“

Bevor das Wasser verunreinigt in die Kläranlage geht: Was kann eigentlich jeder von davor schon gegen Mikroplastik tun?
Sebastian Porkert
Weniger Funktions- oder Fleece-Kleidung verwenden! Denn bei jedem Mal Waschen gehen mehrere 10.000 Kunststofffasern ins Wasser ab. Außerdem weniger Auto fahren, denn der Reifenabrieb macht einen großen Teil unseres Mikroplastiks aus. Und natürlich Müll trennen. Und wenn man Müll in der Natur sieht, unbedingt mitnehmen und entsorgen.

Wo steckt mittlerweile eigentlich überall Mikroplastik drin?
Sebastian Porkert In dir, in mir – überall. Laut einer Studie nimmt jeder pro Woche ungefähr fünf Gramm Mikroplastik zu sich. Manches atmet man ein, die meisten Partikel nimmt man aber über das Essen und Trinken zu sich. Mittlerweile gibt es kaum mehr Lebensmittel, die nicht kontaminiert sind. Vieles davon scheidet der Körper zum Glück wieder aus.

Das Problem sind eher die ganz kleinen Partikel, die die Zellmembranen durchdringen können und dort Entzündungen hervorrufen. Bei Muscheln kam es so im Laufe von Studien schon zu krebsartigen Wucherungen. Man geht davon aus, dass das beim Menschen auch der Fall sein kann, aber es fehlen einfach noch Langzeitstudien.

Denkst du nicht manchmal: Es ist eh schon alles zu spät?
Sebastian Porkert Das ist eine schwierige Frage. Natürlich könnte man jetzt sagen: Wir müssen Plastik sofort stoppen, um den Planeten zu retten! Denn jeder Partikel, der schon in der Umwelt draußen ist, den bekommen wir nie wieder ganz weg. Aber ein Alltag ganz ohne Kunststoff ist in unserer westlichen Welt undenkbar.

Was macht dich wütend in Bezug auf Umweltschutz?
Sebastian Porkert Was mir das Herz bricht, sind Leute wie der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro, die tausende Hektar Regenwald abholzen, um kurzfristig Profit zu machen. Was mich auch wahnsinnig macht, sind Nationen, die ihren Müll einfach ins Meer kippen. Daran trägt aber auch die westliche Welt Schuld. Manche Länder wurden regelrecht überrannt vom Kapitalismus und hatten gar nicht die Zeit, die nötigen Strukturen aufzubauen, um mit der damit verbundenen Müllentsorgung fertig zu werden.

Sebastian Porkert von Ecofario steht neben einer Maschine

Und wie ist es in Deutschland? Hast du das Gefühl, mittlerweile weiß jede*r um die Nachteile von Plastik – oder musst du noch Aufklärungsarbeit leisten?
Sebastian Porkert Manchmal frage ich mich auch hier noch, warum manche Menschen so unüberlegt handeln. Ich spüre es im Moment sehr stark bei uns am See: Es kommen immer mehr Touristen, die immer mehr Müll zurücklassen. Und das, obwohl sie es doch besser wissen sollten. Es stehen aber auch zu wenige Mülleimer in Deutschland, in anderen Ländern hast du alle paar Meter ein komplettes Trennungssystem.

Muss sich also die Politik auch mal etwas einfallen lassen?
Sebastian Porkert Unsere Politik denkt und behauptet, der freie Markt würde das Problem schon lösen. Aber das stimmt bei Umweltthemen einfach nicht. Denn der freie Markt wird immer das tun, was die größten Gewinne erzielt. Solange Gesetzgeber erlauben, dass man 20 Gramm Käse in Plastik verpacken darf, wird sich nichts ändern.

Aber die Käseverpackung schmeiße ich doch im besten Fall in die Recyclingtonne?
Sebatian Porkert Leider ist unser Kunststoff-Recycling wirklich großer Mist. Das liegt vor allem daran, dass in sehr vielen Verpackungen Mischplastik vorkommt – und das kann man nicht ordentlich recyceln. Sobald Kunststoffe vermischt werden, führt der Weg nur noch nach unten, zum Downcycling. Eine Käseverpackung alleine besteht schon aus mehreren verschiedenen Kunststoffen!

Lebst du selbst plastikfrei?
Sebastian Porkert Wir versuchen, weniger Plastik zu verbrauchen. Aber gerade mit Kindern ist es fast unmöglich, komplett plastikfrei zu leben. Ich bin auch kein Plastikfeind, ich weiß, dass Kunststoffe das Rückgrat unserer Wohlstandsgesellschaft sind. Ohne Kunststoffe gäbe es unsere heutige Gesellschaft nicht. Trotzdem müssen wir versuchen, Plastik zu vermeiden und danach sauber zu recyceln.

Interview Anja Schauberger          Fotos Janina Laszlo