Sie heißen Radicchio, Chicorée oder Catalogna, schmecken nussig, bitter oder mild: Die Blätter der Zichorien-Salate sind purer Genuss. Der Winter ist genau die richtige Zeit, sie näher kennenzulernen – hier im Portrait und in unseren Rezepten.
Statt wohlgehegten Gartenbeeten bevorzugt sie unwirtliche Orte wie den Straßenrand, schmückt ihn mit ihren himmelblauen Blüten. Und zwar von fünf Uhr morgens bis elf Uhr am späten Vormittag, wie der Botaniker Carl von Linné seinerzeit notierte. Doch was eint die wilde Wegwarte, von der hier die Rede ist, mit dem vornehmen Chicorée? Oder rotem Radicchio und spitzem Zuckerhut?
Die Antwort ist einfach und doch verwirrend: ihre Wurzel. Die ist kräftig und lang, bohrt sich tief ins Erdreich hinein. Und markiert damit den Anfang der gemeinsamen Vergangenheit zwischen der Wegbewohnerin und dem Gemüse mit der herrlich besonderen Note. Für die Germanen war die Wegebewohnerin unverzichtbare Zutat geheimnisvoller Zaubertränke, Griechen und Römer nutzten die dicke Wurzel als Hausmittel bei Leber- und Magenleiden, sicherlich ohne vom hohen Inulingehalt der Wurzel gehört zu haben.
Der Weg auf unsere Teller war freilich noch weit, der zum Genussmittel allerdings nicht: Mitte des 17. Jahrhunderts waren die Bitterstoffe des Wurzelsaftes plötzlich in aller Munde. Kaffee trinken galt als en vogue, als Kaffeeersatz eroberten die dicken Wurzeln Acker um Acker. Aus dieser Kulturform entstanden zwei botanische Varietäten, von denen jede eine andere Richtung einschlug: die Kaffeezichorie und die Blattzichorie.
Zichorien, Blatt um Blatt
Mit ihren Blättern bahnte sich die Treibzichorie namens Chicorée einst den Weg ans Licht und in die Küche: Unbeeindruckt vom Weltgeschehen und mit ihrer üppigen Ernte überfordert, legten flämische Bauern im Jahr 1870 einen Teil der Wurzeln ins Gewächshaus und bedeckten diese mit Erde. Die so gelagerten Wurzeln blieben nicht untätig, trieben über den Winter kräftige Blattknospen ans Licht. Die Freude der Bauern über das wohlschmeckende Blattwerk kann man sich unschwer vorstellen. Drei Jahre später avancierten die blassgelben Blätter des „Brüsseler“ auf der internationalen Gartenausstellung in Gent zum Star. Auch in Venetien waren Gemüsegärtner keineswegs untätig, züchteten aus der Wegwarte eifrig verschiedene Formen des Gemüses.
Bei uns sorgen bis heute unzählige Trattorien und Ristorantes dafür, dass Radicchio zum Insalata mista gehört, wie Rucola einst auf die Pizza kam. Für die Küche sind Zichorien-Salate in jedem Fall eine Bereicherung. Nussig oder bitter, mild oder süß: Ihre Aromen sind so bunt und eigenwillig wie die Formen und Farben der Blätter. Die sind weinrot gesprenkelt, saftig grün oder vornehm cremeweiß, machen aus jedem Salat einen Schmaus für Gaumen und Augen. Mit Olivenöl, Sahne oder Käse und wenig Aufwand gelingt damit Köstliches. Chicon au gratin, Trevisano al parmigiano oder einfach nur gegrillt.
Im Zichorienbeet
In vielen Gärten ist das formenreiche Blattgemüse noch wenig bekannt. Sorten wie Castelfranco, Puntarelle und Trevisano haben wohlklingende Namen, die an den Süden erinnern. Wohlfühlen tun sich die Salate, die oft bis ins Frühjahr hinein geerntet werden können, aber auch bei uns. Im ersten Jahr bilden die zweijährigen Korbblütler dicke lange Wurzeln aus, die wie Rüben aussehen und botanisch betrachtet auch welche sind. Die Blätter der Pflanzen treiben derweil zu Köpfen, Rosetten oder Büscheln. Wenn die himmelblauen Blüten im zweiten Jahr erscheinen, ist das für samenfeste Sorten die Zeit der Samenernte.
Der Zuckerhut, der ursprünglich aus Südfrankreich und Italien stammt, ist bei uns einer der bekanntesten Vertreter seiner Art. Die äußeren Blätter sind dunkelgrün, umschließen dicht an dicht das Innere: die bleichen Blätter, die eigentliche Delikatesse. Dunkelgrün ist auch die Rosette des Catalogna, die gezackten Blätter erinnern an Löwenzahn. Der rotweiße Treviso, der weinrot gesprenkelte Variegata di Luisa oder der gelbgrüne Castelfranco sind köstliche und samenfeste Radicchiosorten, bilden geschlossene Köpfe.
Zichorien sind Dunkelkeimer, ihre Samen keimen bei einer Temperatur von etwa 25 Grad. Die Salate gedeihen am besten auf tiefgründigen Böden. Während Chicorée eine Hauptkultur mit langer Entwicklungszeit ist, können viele andere Blattzichorien ab Ende März vorgezogen und Mitte Mai ins Beet gesät werden. Tomaten, Bohnen und Fenchel sind gute Mischkulturpartner. Etwas Laub und Stroh schützt etwa Radicchiosalate über den Winter. Leichter Frost lässt ihren Geschmack zarter und milder werden.
Und hier geht es zu unseren besten Rezepten mit Zichorien:
Gebackener Radicchio mit Orangen, Puntarella-Salat mit Haselnüssen, Trevisano mit Mandeln und Parmesan, Geschmorter Chicorée mit Birnen
Text Kristina Hartmann
Foto und Produktion Severin Wohlleben und Lena Immler
Dieser Beitrag ist erschienen in Werde 01/2019