Gut Haidehof Regenerative Landwirtschaft

Unser Hof fürs Klima

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Lange Zeit ging es in der Landwirtschaft darum, Erträge zu maximieren. Dabei kann sie als regenerative Landwirtschaft helfen, den Klimawandel zu mildern. Wie das funktioniert, zeigen das Gut Haidehof und die Umweltinitative Climate Farmers.

Gut Haidehof Regenerative Landwirtschaft

Nicht weit von den Toren Hamburgs entfernt führt ein Feldweg vorbei an Zäunen, Wiesen und Feldern zu Gut Haidehof, wo nach kalten Frühlingswochen endlich die Sonne scheint. Zwei Pfauen stolzieren auf den Dächern ehemaliger Stallgebäude umher und krakeelen wie vorlaute Möwen.

Doch statt auf das Meer blickt man im Hamburger Umland auf Felder, Büsche und Wälder. Hannes Höhne, 30, wartet vor einem weiß getünchten Gebäude. Der gelernte Wirtschaftsingenieur ist auf dem Gut unter anderem für Verkauf und Kommunikation zuständig. Sobald wir am langen Holztisch vor dem Haus sitzen, scheinen der Lärm, die Hektik und Stickigkeit der Stadt in weiter Ferne, obwohl der Hof nur 30 S-Bahn- Minuten von der Hamburger Innenstadt entfernt liegt. Vögel zwitschern, ein verletztes Huhn schlummert in einer Box, ein Mitarbeiter radelt über das Gelände, während die Hofkatze Chorizo einem Schmetterling hinterherjagt. So fühlt sich Entschleunigung an.

Gut Haidehof Regenerative Landwirtschaft

Dabei geht es auf Gut Haidehof alles andere als langsam und gemächlich zu. „Wie in der Landwirtschaft üblich sind die Tage oft relativ lang. Nine to five ist bei uns definitiv nicht, es geht eher in Richtung five to nine“, erzählt Hannes lachend.

Nach dem Studium war er für internationale Entwicklungsprojekte in Afrika unterwegs, für kurze Zeit in der Korruptionsbekämpfung und Finanzberatung tätig, studierte natürliches Ressourcenmanagement und arbeitete in der Beratung und Projektentwicklung für regenerative Landentwicklung.

2020 kam er gemeinsam mit Bork Dewenter zum Gut Haidehof. Seitdem sind beide Mitglieder des Mehrgenerationenhofes. Das Kernteam, bestehend aus Stephan Böhm, Astrid Nielsen, Alba Pestaña und eben Hannes und Bork, wohnt auf dem Hof – ein riesiges Areal, das eine Gebäudefläche von 5000 m² und 20 Hektar Land umfasst. Bork und Hannes teilen sich eine Wohnung in einem der alten Melkhäuser. Anfang März gesellte sich Christina Zielinski als Hofpraktikantin zu ihnen.

Ein Hof ohne Hierarchie

„Das Besondere an diesem Ort ist, dass man sich hier ebenso auf fachlicher wie auf persönlicher Ebene entwickeln kann. Außerdem gibt es kein klassisches, streng hierarchisches Unternehmensmodell. Wir alle sind Chef und Chefin, und wir alle haben Entscheidungsautonomie“, schildert Hannes.

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Bereits 1904 wurde Gut Haidehof als landwirtschaftlicher Betrieb mit Fokus auf Milchviehhaltung geführt, zuletzt war es ein Reiterhof – bis Alba, Astrid und Stephan mit den jetzigen Eigentümern in Kontakt traten und ihnen Pläne für ein modernes regeneratives Landwirtschaftssystem vorlegten. Kennengelernt haben sich Astrid und Stephan auf der Ridgedale Farm in Schweden.

Dieser Permakulturhof ist eine der wenigen Stellen in Europa, an denen verschiedene Strömungen der regenerativen Landwirtschaft zusammenkommen: Unter anderem werden hier die Grundsätze des ganzheitlichen Managements nach dem Savory Institute vermittelt.

Alba arbeitete ebenfalls auf der schwedischen Permakulturfarm. Heute ist sie gemeinsam mit Bork für den Gemüsegarten des Haidehofs verantwortlich. Trotzdem ist die Ridgedale Farm für sie „einer der besten Orte in ganz Europa, um alles über regeneratives Landwirtschaften zu lernen“.

Auf Gut Haidehof wird regenerative Landwirtschaft wie auf anderen deutschen Höfen weiterentwickelt und angepasst. Im Grunde geht es darum, bewährte Anbaumethoden und selbstregulierende Systeme aus der Natur mit modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu verknüpfen. Nachhaltigkeit, Produktion von Lebensmitteln, Profitabilität sowie sinnhaftes und intrinsisch motiviertes Arbeiten schließen sich hier nicht gegenseitig aus, sondern verschmelzen zu einem großen Ganzen. Auch Klimaschutz steht im Zentrum des Handelns.

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Durch diese Arbeitsweise werden Ressourcen auf- statt abgebaut. „In der Vergangenheit haben wir natürliche Kreisläufe zunehmend durch technische, chemische und industriell optimierte ersetzt. Wir müssen endlich wieder in natürlichen Nährstoffkreisläufen denken“, erklärt Hannes. Das bedeutet unter anderem den Einsatz von Zwischenfrüchten, Untersaaten, Leguminosen (Stickstoff speichernde Pflanzen) und die Verwendung von Mist als wertvollem Dünger.

Belohnung für eine bessere Humusschicht im Boden

„Im Moment zahlen wir nicht den wahren Preis für unsere Nahrung. Wir zahlen weder die Verschmutzung der Grundwässer noch die Emissionen von Treibhausgasen, noch den Artenverlust, noch den Abbau von fruchtbarem Boden“, führt Hannes fort.

Genau aus diesem Grund gibt es die Initiative Climate Farmers, mit denen das Gut in Austausch steht. Die Grundidee der 2020 gegründeten Bewegung ist es, Landwirte dafür zu entlohnen, dass sie den Humusgehalt im Boden erhöhen. Denn so bleibt das CO2 im Erdreich, statt in die Atmosphäre zu steigen, was sich mildernd auf den Klimawandel auswirkt.

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„Weltweit kommen derzeit 24 Prozent der CO2-Emissionen von der Landwirtschaft, in Europa sind es zwischen 10 und 13 Prozent. Gleichzeitig haben wir in der Landwirtschaft ein riesiges Potenzial, Ökosysteme zu regenerieren und Kohlenstoff zu binden. Viele Landwirte würden gerne regenerative Praktiken in ihre Betriebe implementieren. Das dafür nötige Wissen ist aber oft noch nicht zugänglich“, erklärt Ivo Degn, 29-jähriger Mitbegründer der Initiative Climate Farmers.

Hier vermittelt das Bündnis Wissen und agiert als Netzwerk. Aktuell arbeitet die Initiative mit knapp 200 Landwirten europaweit zusammen. In ihrer Academy berät sie die Betriebe bei der Umstellung auf regenerative Landwirtschaft, hilft bei der Ermittlung der Kosten sowie der anschließenden Finanzierung und erarbeitet einen detaillierten Projektplan.

„In der Landwirtschaft haben wir ein riesiges Potenzial, Ökosysteme zu regenerieren und Kohlenstoff zu binden. Das dafür nötige Wissen ist aber oft noch nicht zugänglich.“ Ivo Degn

Die Initiative agiert so als Schnittstelle: „Wir verknüpfen Unternehmen mit landwirtschaftlichen Betrieben, die in Zukunft regenerativ arbeiten möchten. Die Unternehmen investieren in die Umstellung dieser Betriebe und ermöglichen es den Landwirten, ihre Kosten möglichst niedrig zu halten und damit eine langfristige Umstellung zu erreichen. Außerdem arbeiten wir an einer Reihe von Metriken, um die positiven Auswirkungen von regenerativer Landwirtschaft für alle transparent und messbar zu machen. Aktuell messen wir die jeweilige Kohlenstoffspeicherung und den Ökosystem-Mehrwert, der durch die Umstellung entsteht“, erklärt Ivo Degn.

„Gute Landwirtschaft hat aber nicht nur das Potenzial, Kohlenstoff im Boden zu binden. Ganzheitlich gedachte Land- und Weidewirtschaft kann unsere Nährstoff- und Wasserkreisläufe regenerieren und fördert Biodiversität“, ergänzt Hannes Höhne. „Der massive Verlust von Artenvielfalt ist ein großes Thema unserer Zeit, das endlich auch in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wird und nicht zuletzt mit auf die Hochleistungslandwirtschaft zurückzuführen ist, bei der Monokulturen, chemischer Pflanzenschutz und synthetische Düngemittel an der Tagesordnung sind. Große Monokulturen gibt es in der Natur so nicht, denn Natur mag keine Einfalt. Natur funktioniert in Vielfalt.“

Die Natur als Vorbild

Höchste Zeit also, sich die Ökosysteme der Natur wieder zum Vorbild nehmen. Im Fachjargon nennt man das Agrarökologie. Ein gutes Beispiel dafür ist die Agroforstwirtschaft, die den Stockwerkbau des Waldes nachahmt. Dabei werden gezielt auch Bäume und Sträucher in landwirtschaftliche Fläche einbezogen. Denn die verschiedenen Ebenen schaffen mehr Wildlebensraum, stellen ein Ökosystem-Gleichgewicht her, schützen gegen Unwetter und vor Hitze und speichern Feuchtigkeit.

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Zur Agrarökologie gehört auch das Mulchen. Eine Decke aus Blattwerk und kleineren Ästen schützt den Boden, verhindert Unkrautwuchs und Austrocknung, während sie zugleich als Futter für nützliche Lebewesen in der Erde dient. Dieser Logik folgend, werden Tiere auf Gut Haidehof als ökologische Mitarbeiter betrachtet. Ein Huhn ist nicht nur Lieferant von Eiern und Fleisch, sondern zugleich eine Vertikutier- und Düngemaschine. Es scharrt den Boden auf und verteilt seinen Kot; sein Picken dient der Ungezieferbekämpfung.

Und weil Hannes, Astrid, Stephan und die anderen Anhänger der regenerativen Landwirtschaft verstanden haben, dass sich die Evolution eine ganze Menge bei ihren Vorgängen gedacht hat, begreifen sie diese agrarökologischen Zusammenhänge als eine Art Zahnrad, bei dem das eine in das andere greift.

Das zeigt sich auch in dem ganzheitlichen Weidemanagement des Hofes, das auf der Arbeit von Allan Savory basiert: Die Kühe, die den ganzen Sommer auf der Weide verbringen, werden frühmorgens auf neue Portionsweiden gebracht. So wandern sie täglich in andere Areale mit fri- schem Gras und Kräutern. Dies simuliert den natürlichen Herdenzug von Wiederkäuern. Sie hinterlassen wertvollen Dünger und Fußabdrücke, die Samen in den Boden bringen. Bis die Tiere wieder auf die gleiche Fläche kommen, hat der Boden oft bis zu drei Monate Zeit zum Regenerieren.

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Auf die Weise wird das Gras nie ganz heruntergefressen, kann ein tief gehendes Wurzelwerk entwickeln, sodass selbst in trockenen Jahren Gras nachwächst. Die Hühner werden in gebührendem Abstand nach den Kühen auf die Weide geschickt, damit sie genüsslich die Fliegenlarven aus den Kuhfladen picken können.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, ist der No-dig-Ansatz, den auch Gärtnerin Alba verfolgt. Die gebürtige Spanierin arbeitet seit zwölf Jahren in der Landwirtschaft, war auf Höfen in vielen Ländern der Welt und hat sich die jeweiligen Anbaumethoden der Regionen angeeignet. Als sie 2018 schließlich Astrid und Stephan über das Ridgedale-Netzwerk kennengelernt hat, wusste sie sofort, dass sie mit den beiden zusammen arbeiten wollte.

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Stephan Böhm, gelernter Intensivmediziner, beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Thema Nahrungsmittelproduktion und Permakultur. Inzwischen ist er zertifizierter Lehrer für das „Holistic Management“ des Savory Institute. Astrid Nielsen ist Mathematikerin und hat früher an einem Gymnasium in Dänemark unterrichtet.

Ob Mediziner, Weltenbummlerin, IT-Spezialist, Mathematikerin oder Elektroingenieur – fast alle hier auf dem Hof sind Quereinsteiger. Die Lebensläufe sind ebenso vielseitig und komplex wie die Landwirtschaft, die sie gemeinsam betreiben. „Ich liebe die Art und Weise, wie wir hier arbeiten und leben – als Gemeinschaft, in der die Arbeit und Erfahrungen eines jeden wertgeschätzt werden“, schwärmt Alba Pestaña.

Lebensgemeinschaft Boden

Alba und Bork bearbeiten den Gemüsegarten nach dem Prinzip des sogenannten Market Gardening.  „Der  Garten ist unser Boss. Wir verfolgen sehr aufmerksam, was hier passiert, und nehmen regelmäßig jedes einzelne Beet genau unter die Lupe und schauen, wie alles wächst, ob es allen gut geht und ob es irgendwelche Schädlinge gibt. Wir lieben, was wir tun – auch wenn wir im Sommer manchmal zwölf Stunden am Tag arbeiten. Jeden Abend, wenn ich todmüde ins Bett falle, bin ich schon auf den nächsten Tag gespannt“, erzählt Alba und lächelt dabei übers ganze Gesicht.

Bork nickt: „Das Besondere ist, dass wir die Pflanzenanzucht komplett selber machen.  Dadurch sind die Pflanzen keinem Transportstress ausgesetzt, denn Pflanzen sind ortsfeste Organismen. Und wir können die Qualität von Anfang an kontrollieren und sehen direkt, wenn etwas schiefgeht.“

Hier wird der Boden als Lebensgemeinschaft verstanden und biointensiv bewirtschaftet. Das bedeutet, möglichst viele Pflanzen pro Fläche zu kultivieren. Denn die oberirdischen Lebensgemeinschaften der Pflanzen teilen einen Teil ihrer Fotosyntheseleistung in Form von Wurzelsäften mit dem Bodenleben. Viele Pflanzen bedeuten also auch viel Nahrung für den Boden. Außerdem arbeiten Alba und Bork eng mit Saatgutherstellern zusammen, um ungewöhnliche Sorten für mehr Vielfalt anzubauen.

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Was hier wächst und gedeiht, kann sich sehen lassen: Neben Gemüse erzeugt der Hof auch eine große Vielfalt an Kräutern, Würzpflanzen und essbaren Blüten. Gut Haidehof setzt dabei auf drei Vertriebskanäle: Die pflückfrischen Erzeugnisse und die Eier werden per Abo-Kiste an feste Abnehmer aus der Nachbarschaft vertrieben.

Dann gibt es auf Gut Haidehof einen Hofladen, der jeden Samstag geöffnet hat und in dem Hannes und Stephan „glückliche Produkte an glückliche Kunden“ verkaufen. Zudem beliefert der Hof die Gastronomie, unter anderem die „grünen Michelins“ Hamburgs. Denn auch sie „wissen die Qualität unserer Handarbeit und die Frische der Produkte zu schätzen“, so Hannes.

Die Hofgemeinschaft ist fest davon überzeugt, dass Landwirtschaft einen enormen Beitrag zur Bewältigung unserer globalen Probleme leisten kann. Und ganz nebenbei schmecken die Produkte auch noch gut. Boden- und Weltrettung haben also weit mehr miteinander gemein, als man zunächst denken würde.

Text Lesley Sevriens
Foto Jewgeni Roppel

Dieser Beitrag ist erschienen in Werde 02/2021