Jedes Jahr landen Millionen Tonnen Plastik im Meer. Marina und Michael Schmidt wollten nicht länger zuschauen, sondern selbst etwas tun – und haben den Verein Ozeankind gegründet. Ein Gespräch über die Liebe zum Meer und die Kraft der Gemeinschaft.
Wie würdet ihr eure Beziehung zum Meer beschreiben?
Marina Schmidt Das Meer ist für uns nicht nur ein Ort der Ruhe und des Friedens, es ist für uns vielmehr ein Gefühl von Zuhause sein. Wir fühlen uns einfach unendlich wohl in der Nähe des Meeres.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, euch für weniger Plastik im Meer einzusetzen?
Marina Schmidt Dafür nehme ich dich mal mit in die Tage, wo eben all das begann – im März 2016. Du wachst morgens von dem Geräusch der Wellen auf. Krabbelst aus deiner kleinen Kajüte aufs Deck eines Katamarans und blickst auf den absolut windstillen indischen Ozean. Du siehst kein anderes Boot, keine anderen Menschen, außer die paar wenigen, mit denen du auf dem Boot lebst. Vor dir nur den Ozean und am Horizont ein paar einsame Inseln. Um wach zu werden, springst du vom Boot, tauchst ein in das klarste Wasser was du jemals gesehen hast. Überall Fische. Unzählige Korallen – und zwischendrin Plastiktüten, Strohhalme und Dosen.
Was hat diese Beobachtung bei euch ausgelöst?
Marina Schmidt In zehn Tagen haben wir viele wundervolle Dinge sehen und erfahren dürfen, aber wir haben auch Unmengen Plastikmüll gesehen. Im Wasser, auf leeren Sandbänken oder auf unbewohnten Inseln. Wir haben zum ersten Mal am eigenen Leib erfahren, was unsere große Liebe, den Ozean, bedroht. Dass es Realität ist, dass wir das nicht einfach weiter geschehen lassen wollten, dass wir selbst aktiv werden wollten. Wir stellten uns die Frage, ob unsere geplante Weltreise im kommenden Jahr, das war, was wir wirklich wollten. Denn was würden wir unseren eigenen Kindern in der Zukunft erzählen wollen? Dass wir die Welt noch selbst bereist haben und die Schönheit erlebt haben, obwohl wir über die Plastikmüll-Problematik Bescheid wussten? Und dass es uns Leid tut, dass sie das vielleicht nicht mehr so sehen können wie wir es konnten? Nach dieser Reise war nichts mehr wie vorher.
Was habt ihr von da an anders gemacht?
Marina Schmidt Zurück in Düsseldorf haben wir unendlich viel gelesen, Dokus angesehen und unseren eigenen Konsum beleuchtet. Wir haben uns hinterfragt und einige Dinge geändert. Wir haben beschlossen, über all diese Themen zu schreiben – der Blog Ozeankind war geboren. Kurze Zeit später haben wir uns dann entschieden, auch unsere Jobs aufzugeben, die Wohnung zu kündigen und all unsere Ersparnisse in unser Projekt Ozeankind zu stecken. Wir mussten und wollten etwas verändern.
Wie wolltet ihr eure Ideen und Visionen für weniger Plastik im Meer umsetzen?
Marina Schmidt Ein Jahr, nachdem wir losgezogen sind, haben wir den Verein Ozeankind gegründet. Die Community, die sich bis dahin um unser Projekt gebildet hat, hat uns immer öfter gefragt wie sie unsere Mission unterstützen können und ob man ein Teil davon werden könne. Wir hatten eigentlich gar nicht vor, eine Umweltschutzorganisation zu gründen – aber letztlich war unser eigener Wunsch, noch mehr tun zu wollen, doch größer. Die Bereitschaft und die Zustimmung unserer Gemeinschaft haben uns dazu bewegt, aus dem Müllsammeln das Projekt Ozeankind und damit die Umweltschutzorganisation Ozeankind e.V. zu gründen.
Was waren dabei die größten Hürden?
Micha Schmidt Eine der größten Hürden war auf jeden Fall die fehlenden Informationen darüber, wie man einen Verein im 21. Jahrhundert aufbauen kann und was man dabei unbedingt beachten sollte. Das Internet ist zwar voll mit Infos zu Sportvereinen – aber man findet doch recht wenig über die Gründung einer Umweltschutzorganisation. Wir haben uns wie bei allen Belangen von unserer Intuition leiten lassen und einfach erstmal losgelegt. Natürlich nicht, ohne Rechts- und Steuerberatung in Anspruch zu nehmen, etwa bei der Satzungserstellung.
Was waren dann eure ersten praktischen Schritte mit Ozeankind?
Marina Schmidt Wir fingen an, selbst Müll zu sammeln und mit anderen Menschen an verschiedenen Orten der Welt CleanUps zu veranstalten. Während unserer Ozeankind-Reise kamen wir im Herbst 2017 nach Sansibar. Ich recherchierte nach einem Abfall- oder Recyclingunternehmen, die unseren gesammelten Müll auf Sansibar entgegen nehmen würden. Wir haben dann gemeinsam größere CleanUps veranstaltet und blieben auch nach der Abreise in Kontakt. So kam der Kontakt zu Zanrec, unserem heutigen Ozeankind Projektpartner auf Sansibar, zustande.
Was waren die wichtigsten Stationen eurer bisherigen Arbeit?
Micha Schmidt Es war ein unvergesslicher Moment, als die ersten Fördermitgliedsanträge und die erste Geldspende reinflatterten. Außerdem war der Start unserer regionalen Stützpunkte eine wichtige Station – diese gibt es seit dem Sommer 2020. Bisher sind wir in folgenden elf Städten vertreten: Kiel, Berlin, Leipzig, Dortmund / Unna, Düsseldorf, Osnabrück, Frankfurt a. M., Regensburg, Stuttgart, München und Wien. Unsere Teams sind regionale Ozeankind Ansprechpartner. Sie führen vor Ort CleanUps durch und arbeiten mit Schulen und anderen Bildungseinrichtungen zusammen. Wer sich für ein müllreduziertes, umweltbewusstes Leben interessiert und sich aktiv gegen Plastikmüll einsetzen möchte, kann sich sehr gern unserer Stützpunkte anschließen. Und natürlich war auch der Beginn unserer Projekte auf Sansibar ganz besonders, etwa die Eröffnung des ersten Ozeankind Recycling SwopShops voriges Jahr.
Was ist denn ein SwopShop?
Micha Schmidt In einem solchen Shop geht es darum, die Themen Umweltschutz und Recycling für möglichst viele Kinder greifbar zu machen. Und auch darum, dem Material Plastik und dem Thema Umweltschutz einen Wert zu geben. In einem SwopShop bekommen die Kinder weder Geld noch Süßigkeiten, sondern sie nützliche Dinge: verschiedene Schulutensilien, Kleidung, Schuhe oder auch Spielzeug. All das können die Kids gegen gesammelte Plastikflaschen eintauschen, die unser Recycling-Partner dann abholt.
Worauf seid ihr besonders stolz?
Unser größter Erfolg sind ganz sicher all die Menschen, die sich mit unserer Arbeit identifizieren können. Menschen, die auch ein Teil der Lösung sein wollen, die ihre Handlungen hinterfragen und ändern. Gemeinsam mit unserer Community und unseren Projekten haben wir seit November 2017 über 63.000 kg Müll aus der Natur in mehr als 34 Ländern entfernen können.
Wie viele Menschen haben euch dabei vor Ort unterstützt?
Marina Schmidt Das lässt sich schwer beziffern, sicherlich sind es inzwischen über 1.000 Menschen. Wir haben im November 2017 das ortsunabhängige „Plastikrebell CleanUp“ ins Leben gerufen. Dabei rufen wir über soziale Medien immer am letzten Wochenende eines Monats zu einer Müllsammelaktion auf. Jeder kann mitmachen, egal wo man lebt oder sich gerade aufhält. Die Idee dahinter ist ganz simpel: Wilden Müll findet man leider überall mehr als genug. Jede*r Einzelne wird gebraucht, um den Müll aufzusammeln und bestmöglich zu entsorgen.
Was passiert mit dem Plastik, das ihr einsammelt?
Marina Schmidt Das ist sicher eine der am häufigsten gestellten Fragen. Die Antwort darauf ist natürlich vielfältig, denn das hängt immer davon ab, an welchem Ort der Müll gesammelt wird. Wir finden erstmal, dass jeder Ort ein besserer Ort für Müll ist, als wenn dieser wild in der Umwelt herumliegt. Und das ist auch unsere erste und wichtigste Prämisse. Bei unseren CleanUps in Deutschland wird der Müll bestmöglich getrennt und dem deutschen Müllmanagement übergeben.
Und an all den anderen Orten, an denen ihr aktiv seid?
Marina Schmidt Wir suchen immer die bestmögliche und lokal realistische Lösung. Die bestmögliche Lösung auf Sansibar ist natürlich eine andere als die in einem Industriestaat wie Deutschland. Im Idealfall werden die gesammelten Materialien getrennt und dem jeweiligen Recycling-Kreislauf zugeführt. Bei unserem Sansibar-Projekt werden etwa die PET-Flaschen geschreddert und als Flakes verkauft, aus dem Bestandteil HDPE (Hart-Polyethylen) werden neue Gegenstände wie beispielsweise Uhren und Tische. Das Glas wird ebenfalls verkauft, der organische Müll wird kompostiert, und der Rest wird – mangels lokaler Alternativen – verbrannt oder auf die legale Mülldeponie gebracht.
Wie darf man sich eurer Leben vorstellen: Wie reist ihr von Ort zu Ort und wie finanziert ihr euch?
Marina Schmidt Unser Leben unterscheidet sich wahrscheinlich nicht sonderlich von anderen Selbstständigen. Generell sind wir Befürworter des ortsunabhängigen Lebensstils. Schließlich müssen wir für unsere Arbeit nicht zwingend an ein und demselben Ort sein. Durch die Corona-Pandemie sind wir jedoch seit März 2020 in Deutschland und reisen nicht. In der Anfangszeit von Ozeankind, also von 2017-2019, finanzierten wir uns zum Großteil aus unseren Ersparnissen. Parallel haben wir einen eigenen Onlineshop mit nachhaltigen und Upcycling-Produkten aufgebaut (wwww.ozeankind-shop.de). Aus dessen Gewinnen bestreiten wir zur Zeit unseren Lebensunterhalt. Seit 2021 bin ich beim Verein neben meiner ehrenamtlichen Tätigkeit auch angestellt und beziehe ein kleines Gehalt.
Was wollt ihr noch erreichen?
Marina Schmidt Unsere Mission ist es, so viele Menschen wie möglich an ihre eigene Macht zu erinnern. Jede*r kann einen Teil zu einer besseren Welt beitragen. Wir glauben, dass der Schlüssel in der Aufklärung und in einem wachsenden Bewusstsein für dieses Thema liegt. Denn nur wer – wenn auch nur im Ansatz – die Hintergründe versteht, kann ein Verantwortungsbewusstsein entwickeln. Unser Verein Ozeankind möchte möglichst viele Menschen dabei unterstützen, mit weniger Plastikmüll zu leben. Und das, ohne dabei zu missionieren. Wir streben keinen “Zero Plastic/Waste” Lifestyle an. Sondern wir möchten Menschen dazu motivieren, in ihrem Alltag auf möglichst viele Einweg-Plastikprodukte zu verzichten und Mikroplastik aus dem Badezimmer und Kleiderschrank zu verbannen. Und wir wollen zu einem bewussteren, nachhaltigeren Leben inspirieren. Mit unseren Umweltbildungs- und Recyclingprojekten möchten wir unseren Beitrag leisten für ein besseres Morgen mit weniger Einwegplastik in der Natur und im Meer.
Wie kann man sich bei euch einbringen und mitmachen?
Marina Schmidt Man kann sich bei einem unserer elf regionalen Stützpunkte anschließen und somit aktiv werden. Oder man nimmt an unserem regelmäßigen Plastikrebell CleanUp teil – und wird auch so ein Teil der Lösung.
Zur Person
Michael Schmidt und Marina Schmidt sind Gründer*in und im Vorstand von Ozeankind e.V.. Marina ist zusätzlich als Marketingkauffrau angestellt. Bevor sie gemeinsam den Verein gründeten, war Michael Schmidt Teamleiter im Kundenservice der Dentalbrache. Marina Schmidt war Online Salesmanagerin in der Vermarktung.
Interview Ulrike Bretz Fotos Ozeankind e.V.