Ocean Now Meike Schützek

„Ich kann nicht nichts tun“

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Meike Schützek, Gründerin der Ozeanschutzorganisation Ocean. Now!, möchte Menschen für die Verschmutzung der Meere und die Gefahr durch Mikroplastik sensibilisieren – und nutzt dafür Kunst.

Ocean Now Meike Schützek

Frau Schützek, welche Verbindung haben Sie zum Meer?
Meike Schützek Ich bin ein Wassermensch und liebe alles, was mit dem Wasser zu tun hat, Tauchen und besonders das Surfen. Es hat mir großen Respekt vor dem Meer beigebracht. In dem Moment, kurz bevor man eine Welle surft, hat man das Gefühl, als würde die Zeit stillstehen. Das Meer ist ein besonderer Ort für mich. Ich fühle mich dort zu Hause. Der Ozean gibt mir gleichzeitig das Gefühl von Freiheit und von Ruhe. Er ist ein mystischer Ort für mich, ungebändigt und unberechenbar.

Ocean Now Meike Schützek

Erinnern Sie sich an den Moment, als Ihnen klar wurde, dass der Ozean, den Sie so lieben, in Gefahr ist?
Meike Schützek Ich erinnere mich leider an keinen Strand, an dem kein Plastik oder anderer Müll lag. Egal ob es an der Küste von England war, in Portugal oder in New York. Am schlimmsten war es in Marokko. An der Atlantikküste in Portugal, wo ich am meisten bin, halten sich die Plastikmengen dagegen noch in Grenzen. Das liegt aber nur an der Strömung. Der Müll sammelt sich an Ecken an, die ich noch nicht kenne.

Die Menschen haben den Ozean Jahrzehnte lang als Müllhalde genutzt. Es war ein erschreckendes Gefühl, dass meine Clean-Ups, beispielsweise in Marokko, endlos weitergehen könnten: Immer wenn ich Strand war, habe ich Taschen voll mit Plastikmüll gesammelt, der dort angeschwemmt worden ist. Ich selbst bin mitten in der Natur in Norddeutschland aufgewachsen. Dafür bin ich sehr dankbar. Vermutlich rührt daher auch mein Bedürfnis, etwas zurückzugeben. Ich hatte schon früh das Gefühl: Ich kann nicht nichts tun.

Wie fing Ihr Engagement für den Umwelt- und Klimaschutz an?
Meike Schützek Mit 15 bin ich Vegetarierin geworden, etwa zur selben Zeit habe ich zum ersten Mal auf der Straße Unterschriften gegen Tierversuche gesammelt. Später habe ich ehrenamtlich für verschiedene NGOs gearbeitet. Mit der Klimaschutz-Organisation 350.org zum Beispiel habe ich geholfen, die Stadt Berlin dazu zu bringen, ihren Pensionfond statt in fossile Energien in grüne Anlagen zu reinvestieren. 2014 lebte ich in New York und habe den „People’s Climate March“ mit organisiert. Ich war als Neighbourhood-Captain dafür zuständig, die Bewohnerinnen und Bewohner in meinem Stadtteil zu mobilisieren, an den Klima-Protesten teilzunehmen.

Für mich war das ein wichtiges Erlebnis. Diese Arbeit hat mir gezeigt, wie es sich anfühlt, gemeinsam in der Gruppe etwas zu bewegen, etwas zu schaffen. Gleichzeitig spürte ich damals, dass meine Werte im Leben zunehmend im Widerspruch zu meiner Arbeit stehen.

Inwiefern?
Meike Schützek Ich habe zwölf Jahre lang im Online-Marketing für verschiedene Modemarken gearbeitet. Dabei ging es um Zahlen und Gewinnmaximierung. Und ich selbst war auch ziemlich karriereorientiert. Ich habe gemerkt, dass mich diese Arbeit nicht erfüllt. Irgendwann konnte ich nicht mehr in den Spiegel schauen. 2018 habe ich einen Cut gemacht und beschlossen, mein Engagement fürs Klima mit meiner Leidenschaft für den Ozean zu kombinieren. Und meine Erfahrung im Marketing dafür zu nutzen.

2018 haben Sie Ocean. Now! gegründet. Was machen Sie anders als andere Ozean-Schutzorganisationen?
Meike Schützek Wir nutzen Kunst, um Menschen zu motivieren, sich für die Meere einzusetzen. Kunst ist ein Türöffner. Sie spricht den emotionalen Teil des menschlichen Gehirns an, der unser Handeln bestimmt. Mit Kunst erreichen wir die Menschen und auch die Medien, die wiederum die Politik beeinflussen. So haben wir mit unserer ersten Petition für ein Verbot von Mikroplastik in Kosmetik und Reinigungsmitteln und mit unserem Projekt „In Your Face“ 2018 bereits viel Aufmerksamkeit erregt.

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Worum ging es genau bei dem Projekt?
Meike Schützek Das Projekt haben wir in Kollaboration mit der Hamburger Konzeptkünstlerin Swaantje Güntzel realisiert. Sie stellte uns ihr Kunstwerk Microplastics II zur Verfügung, das wir auf bekannten Gesichtern repliziert haben. Fünf Monate lang haben dafür Menschen an 50 Stränden auf der ganzen Welt Mikroplastik-Samples gesammelt, indem sie Strände durchkämmt haben. 50 bekannte Persönlichkeiten, darunter die Fridays for Future-Aktivistin Luisa Neubauer und der Schauspieler Dieter Hallervorden, haben sich mit solchen gesammelten Plastikteilchen im Gesicht fotografieren lassen. Diese Bilder haben wir dann, gemeinsam mit einem Statement der jeweiligen Person in den Sozialen Medien veröffentlicht.

Wir haben alle Teilnehmenden gefragt: „Was bedeutet Dir der Ozean?“ Die Statements, gemeinsam mit dem Gesichtsausdruck der Personen, sind ziemlich eindringlich. Es ergab sich schnell eine Welle in den Sozialen Medien. Zeitungen und Magazine haben berichtet. Und wir haben auch die Aufmerksamkeit des Umweltministeriums erregt.

Bereits sechs Monate nach Kampagnenstart konnten wir der Umweltministerin Svenja Schulze unsere Petition mit 90.000 Unterschriften überreichen. Ich hatte sogar die Gelegenheit, persönlich mit ihr zu diskutieren. Für uns als kleine, neue NGO war das ein großer Erfolg. Unser Kernteam besteht aus zwölf Menschen, die an wöchentlichen Meetings teilnehmen. Ungefähr 20 sind bei Aktionen dabei.

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Warum ist der Ozean so wichtig für das Klima?
Meike Schützek Die Forschung steht noch am Anfang, aber wir wissen, dass der Ozean eine elementare Rolle im Klimaschutz spielt. Er kühlt den Planeten, speichert 30 Prozent des emittierten CO2s und produziert Sauerstoff, er reguliert also das Klima. Ohne den Ozean wäre die Erde eine Wüste, wir könnten nicht auf dem Planeten leben. Jeder zweite Atemzug, den wir machen, enthält Sauerstoff aus dem Ozean.

„Wir nehmen jede Woche im Durchschnitt bis zu fünf Gramm Mikroplastik auf. Das ist so viel wie eine Kreditkarte.“

Welche Auswirkung hat die Verschmutzung durch Mikroplastik und anderen Müll auf die Sauerstoffproduktion?
Meike Schützek Gerade ist eine Studie erschienen, die nahelegt: Je mehr Mikroplastik ins Wasser gelangt, desto weniger Sauerstoff könnte produziert werden. Wenn Mikroplastik der Sonne ausgesetzt ist, werden außerdem Treibhausgase freigesetzt. Nicht nur CO2, sondern auch Methan.

Es gibt heute wenig Orte auf der Welt, an denen es kein Mikroplastik gibt, und auch kaum noch Lebewesen, die es nicht in sich tragen. Es ist in der Luft, es ist im Boden. Über den Klärschlamm gelangt es auf die Felder, und damit in die Nahrung für Tiere und Menschen. Wir nehmen jede Woche im Durchschnitt bis zu fünf Gramm Mikroplastik auf, hat eine Studie des WWF (PDF) gezeigt. Das ist so viel wie eine Kreditkarte.

Was macht Mikroplastik so gefährlich?
Meike Schützek Es baut sich nicht oder nur sehr schwer biologisch ab, reichert sich an und wirkt in hoher Konzentration toxisch. Auch zieht Mikroplastik weitere toxische Stoffe an. Internationale Studien haben in den letzten Jahren mehrfach bewiesen, dass sich Mikroplastik negativ auf lebende Organismen auswirkt. Muscheln verlieren ihre Haftkraft, wenn sie Mikroplastik ausgesetzt sind, bestimmte Fischsorten werden am Wachstum gehindert, Wasserflöhe, die Mikroplastik oder Plastik aufnehmen, werden gelähmt.

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Darum war es für uns ein großer Rückschlag, als die Regierung verkündete, dass sie warten will, bis das gesetzliche Verbot von Mikroplastik in der Kosmetik auf EU-Ebene beschlossen wird. Das steht schon lange aus. Aber wir geben nicht auf und versuchen seitdem, ein progressives Gesetz auf EU-Ebene voranzutreiben. Leider will sich Deutschland nicht auf die eben genannten internationalen Studien beziehen, sondern will erst eigene durchführen. Dabei gibt es die Daten längst.

Warum ist Mikroplastik, zum Beispiel in Kosmetikprodukten, nicht längst verboten?
Meike Schützek In Deutschland hat die Industrie großen Einfluss auf politische Entscheidungen. Kunststoff – feste oder flüssige Polymere, aus denen Mikroplastik besteht – ist sehr günstig und liefert immer neue Kaufargumente. Es gibt zum Beispiel Polymere, die die Haut weich machen oder Falten glätten, indem sie einen Film auf der Haut hinterlassen – das ist nichts anderes als Plastik.

In unseren Augen ist es falsch, dass man jetzt beweisen soll, dass Mikroplastik toxisch ist, damit ein Verbot geschaffen werden kann. Es sollte in den sechziger Jahren gar nicht erst erlaubt worden sein, es Produkten zuzufügen und Mikroplastik an die Umwelt abzugeben. Man sollte doch meinen, dass man vorher testet, ob etwas der Umwelt schadet, bevor es zugelassen wird. In der Kosmetik und bei Reinigungsmitteln ist Mikroplastik besonders leicht zu vermeiden, weil es genug Alternativen gibt, auf die zum Beispiel Naturkosmetikfirmen setzen.

Wie erkenne ich, ob in einem Produkt Mikroplastik enthalten ist?
Meike Schützek Für Konsumentinnen und Konsumenten ist das in der Tat oft nur schwer erkennbar. Man muss sich schon mit dem Thema auseinandersetzen und die Namen der Inhaltsstoffe kennen, um das Kleingedruckte zu verstehen. Das Wort „Polymere“ in der Liste der Inhaltsstoffe ist immer ein guter Anhaltspunkt. Wir von Ocean. Now! empfehlen mehrere Apps, mit denen man Produkte auf ihre Inhaltsstoffe untersuchen kann: Mit „Beat the Microbead“ kann man die Liste der Inhaltsstoffe fotografieren, und die App wertet sie aus. „Codecheck“ und „Toxfox“ vom BUND lesen jeweils die Barcodes von Produkten ein und geben Auskunft über enthaltene Schadstoffe.

Wie Sie sagen, ist Mikroplastik inzwischen nahezu überall auf der Welt – haben Sie manchmal das Gefühl, nicht genug zu bewirken?
Meike Schützek Wenn ich Nachrichten über Mikroplastik lese oder Bilder von den Abfallmengen an den Küsten sehe, fühle ich mich auch ohnmächtig. In der Gruppe kann man aber auf jeden Fall etwas bewegen. Und auch jeder für sich allein kann etwas tun: so wenig Müll wie möglich produzieren, Produkte kaufen, die kein Mikroplastik enthalten, kurz gesagt: ressourcenschonend reisen, konsumieren – leben.

Interview: Kathrin Hollmer
Fotos: Ocean Now!, Saskia Uppenkamp

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