Manta Yvan Bourgnon Sea Cleaners

„Wenn wir nicht handeln, erstickt das Meer im Plastikmüll“

Werde & Friends

Yvan Bourgnon hat als Extrem-Segler Rekorde aufgestellt und zahlreiche Preise gewonnen. Im Interview erklärt er, wie er bald den Ozean von Müll befreien will.

Manta Yvan Bourgnon Sea Cleaners

Herr Bourgnon, als Kind sind Sie mit Ihren Eltern und Ihrem Bruder um die Welt gesegelt. In welchem Zustand haben Sie den Ozean in Erinnerung?
Yvan Bourgnon Das war Anfang der achtziger Jahre, und ich erinnere mich an klares, sauberes Wasser. Wir waren vier Jahre unterwegs und haben im Rhythmus der Gezeiten gelebt. Ich habe bis heute eine tiefe Verbindung zum Meer, am und im Wasser sammle ich Kraft und Mut.

Manta Yvan Bourgnon Sea Cleaners
Gut 30 Jahre später, 2013, haben Sie die gleiche Reise noch einmal gemacht. Wie hatte sich der Ozean in der Zwischenzeit verändert?
Yvan Bourgnon Der Ozean war nicht mehr wiederzuerkennen. Überall war Plastik und anderer Abfall, und mir wurde schmerzlich bewusst, dass meine Generation dafür verantwortlich ist. Wir haben die Meere jahrzehntelang als Mülldeponie missbraucht. Mehrere Millionen Tonnen Plastikmüll gelangen jedes Jahr in den Ozean. Diese Reise hat alles verändert.

„Ich erinnere mich an schwimmende Inseln aus Plastikteilen, Flaschen und Verpackungen.
Und daran, wie ich manchmal nachts Plastik gegen den Rumpf schlagen hörte.“

Wo war die Verschmutzung am schlimmsten?
Yvan Bourgnon Vor Indonesien, den Malediven und Sri Lanka. Zwischendurch kam ich kaum voran, ich musste immer wieder anhalten und meinen Katamaran von Plastiktüten und anderem Müll befreien. Ich erinnere mich an schwimmende Inseln aus Plastikteilen, Flaschen und Verpackungen. Und daran, wie ich manchmal nachts Plastik gegen den Rumpf schlagen hörte. Am liebsten hätte ich den Müll gesammelt, aber dafür war kein Platz auf dem Boot. Mir war schon damals klar, dass ich etwas gegen diese Verschmutzung tun will, dass wir handeln müssen – sonst erstickt das Meer im Plastikmüll. Die Ozeane liefern Sauerstoff, sie ernähren uns. Wir haben sie viel zu lange schlecht behandelt.

Manta Yvan Bourgnon Sea Cleaners

Wieder an Land gründeten Sie 2016 die Ozeanschutzorganisation „The SeaCleaners“ und starteten mit der Entwicklung des „Manta“ – ein Katamaran, der aussieht wie ein riesiger Rochen und funktioniert wie eine schwimmende Müllabfuhr. Was war dabei die größte Herausforderung?
Yvan Bourgnon Es gab zwei: den CO2-Fußabdruck so gering wie möglich zu halten, und natürlich das Geld. Schiffe, besonders in der Größe, die uns vorschwebt, werden normalerweise mit fossiler Energie betrieben und verbrauchen jeden Tag zig Tonnen Benzin Das war für mich keine Option. Man kann nicht die Meere säubern und dabei die Luft verschmutzen. Zusammen mit vielen Fachleuten habe ich einen Weg gefunden, aus dem gesammelten Plastik Energie zu gewinnen, mit der wir das Schiff antreiben.

Wie funktioniert das genau?
Yvan Bourgnon Das Verfahren nennt sich „Pyrolyse“, dabei wird das Plastik bei hohen Temperaturen erst in Gas und dann in Strom umgewandelt. Der Prozess ist ziemlich sauber. Anders als bei herkömmlichen Motoren gelangen so gut wie keine giftigen Stoffe in die Umwelt. Den Rest der Energie liefern größtenteils Solarkollektoren und Windturbinen. Insgesamt kann sich der „Manta“ 75 Prozent der Zeit ohne fossile Energie fortbewegen.

Manta Yvan Bourgnon Sea Cleaners

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Wie genau sammelt der „Manta“ Müll aus dem Meer?
Yvan Bourgnon Mit Förderbändern und Schleppnetzen bringen wir den Müll in die bordeigene Fabrik. Zwei Kräne fischen größere Teile aus dem Wasser, danach wird der Müll sortiert, zerkleinert und weiterverarbeitet. Der Rest wird gepresst, gelagert und an Land recycelt. Zwei kleinere Sammelboote fischen den Müll aus Wasserläufen. In drei Wochen können wir 5.000 bis 10.000 Tonnen Müll sammeln. Danach ist immer eine Woche an Land geplant, für die Wartung des Schiffes und um die Menschen für den Schutz des Ozeans zu begeistern. Wir werden Schulklassen einladen und an Bord Events veranstalten.

Kann der „Manta“ auch Mikroplastik aus dem Meer filtern?
Yvan Bourgnon Nach aktuellem Stand können wir Makroabfall ab einer Größe von zehn Millimetern aus dem Wasser fischen. Unsere Netze sind so konstruiert, dass Fische herausschwimmen können. Wir wollen möglichst wenig in die Meeresfauna eingreifen. Darum sammeln wir nur bis zu einem Meter Tiefe Müll aus dem Wasser. Die meisten Fische schwimmen nicht so weit an der Oberfläche.

Sie erwähnten eben noch ein zweites Problem, das Geld.
Yvan Bourgnon Für den Bau des „Mantas“ brauchen wir 35 Millionen Euro. Natürlich haben mir auf unserem Weg immer wieder Menschen erklärt, dass nichts aus dem Projekt wird, dass es zu teuer ist. Aber ich will das nicht hören. Ich bin stur und glaube fest an das Projekt. Wir sammeln seit 2016 Spenden, ein Drittel der Summe für den Bau des Bootes haben wir bereits akquiriert, mehr als zehn Millionen Euro. 90 Prozent kommen von Unternehmen, zehn Prozent von Privatleuten. Wir sind weder Bootsbauer noch ein Startup, sondern arbeiten für das Gemeinwohl. Daher wird jede Spende direkt in das Projekt investiert. Natürlich haben wir laufend Ausgaben bei der Entwicklung.

Also sind wir ständig auf der Suche nach neuen Partnern, die bereit sind, uns bei diesem Abenteuer zu unterstützen. Wir planen noch einmal ein Crowdfunding. 2016 haben wir schon gute Erfahrungen damit gemacht und in Frankreich sogar einen Rekord aufgestellt. Wir wollten 80.000 Euro sammeln, am Ende haben wir fast doppelt so viel geschafft.

Manta Sea Cleaners

Eine Besonderheit auf Ihrem Schiff ist das Labor an Bord des „Manta“. Was genau untersucht Ihr Forscherteam?
Yvan Bourgnon Sechs bis zehn Wissenschaftler werden an Bord den Müll analysieren. Wir wollen herausfinden, wer und was die größten Verursacher der Verhüllung der Meere sind. Man weiß zum Beispiel bis heute nicht, wie das Plastik aus Flussmündungen in die Mitte des Ozeans gelangt, oder wie es Fische wirklich aufnehmen. Wir wollen herausfinden, wo man den Müll am besten sammelt, bevor er in die Nahrungskette gelangt. Damit wir dabei möglichst effizient vorgehen können, brauchen wir eine Strategie. Unsere Erkenntnisse und Daten werden nicht nur uns, sondern hoffentlich Wissenschaftlern und Projekten auf der ganzen Welt weiterhelfen. Darum werden wir die Ergebnisse open data, also frei für alle zur Verfügung stellen.

2022 wollen sie mit dem Bau des Prototyps beginnen, 2024 soll der „Manta“ erstmals in See stechen – können Sie den Zeitplan trotz der Covid-19-Pandemie einhalten?
Yvan Bourgnon Es sieht ganz gut aus. Wenn wir im kommenden Jahr mit dem Bau beginnen, können wir zwei Jahre später erste Testfahren in Europa durchführen. Vorher werden wir eine erste Müllsammelaktion mit unserem kleinen, umweltfreundlichen Boot durchführen, der „Mobula 8“. Wir haben es zusammen mit unserem Partner entwickelt, der französischen Firma KMU EFINOR Sea Cleaner, die sich auf Schiffe zur Bekämpfung der Meeresverschmutzung spezialisiert hat.

Die „Mobula 8“ kann feste und flüssige Abfälle, Treibgut, Mikroabfälle und Ölverschmutzungen sammeln. In ruhigen Gewässern kann sie Müll zusammen suchen, in Flüssen, Kanälen, Seen und im Meer bis zu fünf Meilen vor der Küste. Ende des Jahres wird es nach Indonesien aufbrechen. Wir wissen noch nicht genau, wo wir damit Müll sammeln dürfen. Derzeit sind wir noch in Gesprächen mit den Behörden.

Manta Sea Cleaners

Und wo wird der „Manta“ zum Einsatz kommen?
Yvan Bourgnon Die geplanten Einsatzgebiete sind hauptsächlich in den Gewässern vor Südostasien, Afrika und Südamerika, also an den Orten, an denen die Meere nachweislich am schlimmsten verschmutzt sind. 2017 hat eine Studie gezeigt, dass 20 große Flüsse, darunter der Ganges, der Jangtse und der Mekong, 65 Prozent des Plastiks im Meer ausspülen. In den Flussmündungen kommen vor allem unsere kleinen Sammelboote zum Einsatz, die Müll aus dem Wasser fischen, bevor er überhaupt in den Ozean gelangt.

Kritiker sagen, es sei eine Illusion, dass man die Meere noch säubern könne. Denn an der Wasseroberfläche schwimmt nur ein Teil des Problems, am Meeresboden sollen sich 80 Millionen Tonnen Müll gesammelt haben. Zweifeln Sie manchmal oder haben das Gefühl, Sie können nicht genug bewegen?
Yvan Bourgnon Das sind natürlich Mengen, die man sich nur schwer vorstellen kann. Uns ist durchaus bewusst, dass wir längst nicht genug Menschen sind, die gegen die Vermüllung der Meere kämpfen. Wir bräuchten ungefähr 400 „Mantas“, um nur etwa ein Drittel des Plastiks aus dem Meer zu holen. Aber ich handle lieber als abzuwarten. Wir werden sicher nicht sofort alle Ozeane sauber kriegen. Aber wir machen einen ersten Schritt und motivieren hoffentlich auch andere Länder und Unternehmen, mit an zu packen. Vielleicht fahren irgendwann wirklich hunderte „Mantas“ über die Meere. Jede große Sache fängt erst einmal klein an.

Was kann jeder von uns gegen die Vermüllung der Meere tun?
Yvan Bourgnon Alle Projekte, die versuchen, Müll aus den Meeren zu holen, sind aussichtslos, wenn wir alle weiter so konsumieren und wegwerfen wie bisher. Jeder von uns kann Abfall vermeiden, schon beim Einkauf. Und wenn man Müll produziert, dann sollte man ihn ordnungsgemäß entsorgen und recyclen und auf keinen Fall in der Natur herumliegen lassen oder ins Meer werfen.

Manta Yvan Bourgnon Sea Cleaners

Sie sind das, was man einen Extremsegler nennt. Sie haben zahlreiche Geschwindigkeitsrekorde aufgestellt. Stellen Sie demnächst einen Rekord im Ozeansäubern auf?
Yvan Bourgnon Klar, ich bin ehrgeizig. Ein Typ, der gern Rekorde aufstellt. Mein Engagement für „The SeaCleaners“ ist trotzdem ein wenig anders, mein Ehrgeiz bezieht sich nicht nur auf meinen eigenen Erfolg. Ich möchte wirklich, dass das Projekt vorankommt. Nicht nur unseres, sondern alle Projekte, die sich dem Ozean und der Umwelt widmen. Und da kann ich sagen: Wir tun, was wir können, um so viel wie möglich zu bewegen.

Sie nehmen jedes Jahr an mehreren Segelregatten teil, außerdem sind Sie Unternehmensberater, Finanzstratege, Motorradsport-Manager.
Yvan Bourgnon Ich verbringe gerade tatsächlich am meisten Zeit mit der Arbeit als ehrenamtlicher Präsident für The SeaCleaners, halte aber immer noch Vorträge in Firmen. Und zwischen März und Oktober bin ich viel auf dem Meer. Auch wenn das eine ziemliche Herausforderung für das Team ist.

Sie sind als erster Mensch auf einem Katamaran ohne Kajüte oder sonstigen Schutz und ohne GPS um die Welt gesegelt. Sie sind in Ihrem Leben so oft gekentert, dass Sie es nicht mehr zählen können. Haben Sie auch vor etwas Angst?
Yvan Bourgnon Nein, ich habe keine Angst. Außer um andere Menschen, zum Beispiel um meinen Sohn, der auch sehr gut und ambitioniert segelt. Auf meiner nächsten großen Tour will ich wieder allein die Welt umsegeln, aber dieses Mal gegen die Windrichtung. Da würde ich ihn niemals mitnehmen – viel zu gefährlich.

 

Interview: Kathrin Hollmer
Fotos: Yvan Bourgnon, SYNTHES3D for The SeaCleaners